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Heidelberger Tagblatt — 1858/​1859 (Dezember 1858 bis Juni 1859)

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Mai
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https://doi.org/10.11588/diglit.3729#0464

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wahre Absichten im erstcn Augenblick ein-
gestanden worven, wo diescr Staat hin-
reichende Zuverstcht auf fremde Hilfe ge-
wonnen hatte , um keine Maske mehr für
ser'ne auf Kneg und Umstnrz gerichteten
Pläne für nvthig zu halten. Europa, das
in der Achtung der bestehenden Verträge
das Palladium scines Fricdens erblickt,
hat mit gerechtem Unwilien die Erklärung
vernvmmen, daß die Regierung Sardi-
nienö sich vonOesterreich angegristen glaube,
weil Oesterreich nicht auf die Uebung ver-
tragsmäßiger Rechre und Pflichtcn ver-
zichte, weil es sein von den Großmächten
Europa's vcrbürgtes Garnissnsrecht in
Piazenza behaupte, weil es wage, mit
anderen Souveränen der Halbinsel sich
über gemeinsame Wahrung rechtmäßiger
Jnteressen zu einigen. — Eine letzte An-
maßung blieb übrig, und auch diese ist
begangcn worden. Das Kabinct von Tu-
rin erklärte, daß es für die Zuftände
Jtaliens nur Palliativmittel gebe,
so lange die Hcrrschaft der österreichischen
Kaiscrkrone sich über italienische Gebicte
erstrccke. Damit war nun auch der Ter-
ritorialbesitz Oestcrreichs offen angetastet,
die äußcrste Grenze war übkrschritten, bis
zu welcher eine Macht wie Oesterreich
die Herausforderungen eines mindcr mäch-
tigen Staates hinnchmen kann, ohne mit
den Waffen zu antworten.

Dies ist, entkleidct von dem Gewebe
trügcrischer Entstellungen, die Wabrheit
über die Handlungsweise, zu der sich seit
zehn Iahren das königl. Haus von Sa-
vopen durch gewisscnlose Rathschläge hin-
reißen ließ. Sprechen wir nun ouch aus,
daß die Beschuldigungen und Vorwürfe,
^"^ch.welche das sardinische Kabinet seine
Angriffe aus Oesterreich zu beschönigen
sucht, nichts als inuthwilliqe Verläum-
dungen sind.

Oestcrreich iß konservative Macht,
und Religion, Sitte und geschichtliches
Recht sind ihm heilig. Was in dem Na-
tionalgktste der Völker Edles und Be-
rechtigtes liegt, weiß es zu achten, zu
schützen und mrt dcr Waage gleichen Rech-
tes zu wägen. 3n seinen weiten Gebie-
ten wohnen Nationen vcrschiedencr Ab-
staminung und Sprache, der Kaiser um-
faßt sie alle mit verielben Liebe, und ihre
Vereinigung unter dem erhabenen Kaiser-
hause frommt dem Ganzen der eurvpäischen
Völkerfamilie; der Anspruch aber, nach
Nationalitätsgränzen neu Staatenbildun-
gen zu bestimmcn, ist die gefährlichste der
Utopien. Diesen Anspruch aufsteuen, heißi
mit der Geschichte brechen; ihn an irgend
eincm Punkte Eurppas durchführen wollen,
heißt die festgeglicderte Ordnung der Staa-
ten in den Fundanienten erschüttern, den
Weltthcil mit chaotischex Verwirrung he-
drohen. Europa fühlt es und hält UM
so mehr an der. Territorial-Eintheilung
fest, die der Wicner Kongreß am Aus-

gange einer Epoche vorherrschender Kricge
die historischen Gcbietsverhältnisse mög-
lichst berücksichtigend gründete. Kein Besitz
irgcnd einer Macht ist rechtmäßiger, als
der Besitz in Jtalicn, den dieser Kongrcß
— dcrselbe, der das sardinische Königreich
wiederherstellte und mit der glänzcnden
Erwerbung von Genua beschenkle, — an
das Habsburgische Kaiserhaus zurückgab.
Die Lombardci war durch Iahrhunderte
ein Lchen des deutschcn Reichcs. Vcnedig
kam an Oesterrcich, weil dicscs auf die
belgischen Provinzen verzichtete. Was also
das Turiner Kabinet, die Nichtigkeit sei-
ner übrigen Anklagen dadurch selbst er-
weisend, den wahren Grund der Unzu-
friedcnheit der Bewohner Lombardo-Ve-
netiens nennt, die Herrschaft Oesterreichs
am Po nnd der Avria, — das ist ein in
jcdcr Hinsicht fest und unumstößlich be-
gründctes Rccht, ein Necht, das die öster-
reichischen Adler gegen jede Anfeindung
schirmen werden. Aber es ist nicht nur
eine rechtmäßige, eö ist auch einc gercchte
und wohlwollende Regierung, die über
den lombardisch-vcnetianischen Provinzen
waltet. Rascher als es nach den schwe-
ren Geschicken der Revolutionsjahre zu
erwarten war, sind diese schönen Lande
aufgeblüht, Mailand und so viele andere
berühmte Städte entfalten ein reiches,
ihrcr Gcschichte würdiges Leben; Venedig
erhebt sich aus tiefem Verfalle zu neucr
wachscnder Wohlfahrt, Verwaltung und
Justiz sind geregelt, Jndustric und Han-
del gedeihen, Wissenschaft und Kunst sind
mit Eifer gepflegt. Die öffentlichen Lasten
sind nicht schwerer, als alle Kronländer
der Monarchie sie tragen, sie würden leich-
ter scin, als sie sind, wenn nicht die
Wirkungen der unheilvollen Politik Sar-
diniens die Anforderungen an die Staats-
kräfte steigern. Die große Mehrzahl
des Volkes der Lombardei und Venedigs
ist zufricden; neben ihr ist die Zahl der
Unzufriedenen, welche die Lchre von 1848
vergessen haben, nicht bedeutend; sie würde
noch kleiner sein, als sie ist, wenn nicht
Piemonts rastlose Aufwiegelnngskünste sic
vermehrten. Piemont nimmt sich also
nicht etwa leidender und unterdrückter Be-
völkcrungen an, es hemmt und unterbricht
vielmehr eiuen Zustand regelmäßigen Auf-
schwungs und zukunftreicher Entwicklung.
Menschliche Voraussicht ermißt nicht, auf
wie lange Zeit dies bcklagenswerthe Wag-
niß den Frieden Jtalicns stören wird, aber
eine furchtbare Verantwortlichkeit lastet
auf den Häuptern Derer, die ihr Vater-
land und Europa mit böswilligem Vor-
bedacht erneuten Katastrophen ausgesetzt
haben. Die in dcr ganzen Halbinsel so
Wrgfältig genährte Revolution folgte schnell
^em gegebenen Anstoße. Eine Militär-
Empörung in Florenz hat Se. kais. Hoh-
den Großherzog von Toskana bcwo.äen,
scine Staaten zu vcrlasscn. Jn Maffa

unv Carrara herrscht der Aufstand unter
dem Schutze Sardiniens. Frankreich aber,
längst jene — wfx wiederholen es —
furchtbare Verantwortlichkeit moralisch
theilcnd, hat flch vxxilt, sie nunmchr auch
durch ^haten in ihrem ganzen Umfang
auf sich zu nehmen. Die kaiserl. franz.
Regicrung Ueß am 26. d. M. durch ihren
Geschäftsträgcr in Wicn eröffnen, daß sie
die Ueberscheeltung des Ticino durch öster-
reichische Truppen als eine Kriegscrklärung
gegcn Frankreich betrachten würde.

Noch während man zu Wien der Ant-
wort Piemonts auf die Aufforderung zur
Entwafsnung entgegensah, senvete Frank-
rcich seinc Truppen über die Luud- und
Seegränzc Sardiniens, wohl wissenv, daß
cs hierdurch das entscheidende Gewicht in
die Wagschale der letzten Entschließungen
des Turiner Hofes lege. Und warum,
fragen wir, mußten mit Einem Schlage
die so rechtmäßigen Hoffnungcn der An-
hängcr des Friedens in Europa vernichtet
werden ? Wcil die Zeit gekommen ist, w»
lange im Stillen gehegte Pläne zur Rcife
gediehen sind, wo das zweite französische
Kaiscrreich seine „Jdeen" in's Leben rufen
will, wo der politische Rechtszustand Eu-
ropa's seinen unberechtigten Ansprüchen
gcopfert werden, an die Stelle der Ver-
träge, welche die Grundlage des euro-
päischcn Völkerrechtes bilden, die „poli-
tische Weisheit" gesetzt werden soll, mit
deren Verkündigung die in Paris thro-
nende Macht die Welt überraschte. Die
Traditionen des ersten Napoleon wer-
den wieder aufgenommen. Dieß ist die
Bcdeutung des Kampfes, an dessen Vor-
abend Europa stcht. Möge die enttäuschte
Welt sich von der Ueberzeugung durch-
dringen, daß es sich heute wie vor einem
halben Jahrhunderte um die Verthcidi-
gung der Unabhängigkeit der Staaten,
uni den Schutz der höchsten Güter der
Völker gegen Ehrgeiz und Herrschsucht
handelt! Kaiser Franz Joseph aber,
der Herrscher unseres Reiches, obwohl
trauernd ob der bevorstehenden Leiden des
Krieges, befiehlt mit ruhiger Brust <seine
gerechte Sache dem Walten der göttlichen
Vorsehung. Er hat das Schwert gezogen,
weil frevelnde Hände an die Würde und
Ehre seiner Krone gegriffcn haben; er
wird es führen im Vollgefühle seineS
Rechtes, stark durch die Begeisterung und
den Muth scf,"ksVoIres Und bcgleitet von
den Siegeswünschcn Aller, deren Gewiffeu
untcrscheivet zwlschen Wahrheit und Trug,
zwischefl "Ud Unrecht. — Sowohl
vas kaiserliche Manifest, wie dcn gegen-
wärtigen Erlaß wollen Sie zur Kenntniß
ver Regierung bringen, bei welcher Sie
vie Ehre haben beglaubigt zu sein. Em-
pfangen rc. rc.

Redaction, Druck und Vcrlag von AdoIph Emmerltug, UntversitätS - Luchhandlung in Heidelbcrg. Erpedttion östl. Hauptstraße 20.
 
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