Heidelberger Tagblatt (1858/1859 (Dezember 1858 bis Juni 1859))

wenn man sich ber Mi'tte hält. Die
geschichtlich gewordenen napoleonischen
Schlachtberichte scheinen — um aufrichtig
zu sprcche» — auch „ns schon ein wcnig
angesteckt zu baben; dennoch ist der amt-
liche Bericht des östcrreichischen Ober-
Coinmando's ein Actenstück, das nach kei-
ner Richtung hin die Wirklichkeit über-
schreitct, namcntlich so weit dicse bis jctzt
durch Zahlen zu bestimmen ist. Ich qlaubc
nicht zu irren, wenn ich die Verluste auf
beiden Seiten so ziemlich gleich hoch schäye,
aber annehme, daß den Franzosen durch
dcn stauf und Charakter des Gcfechtes
mchr Gcfangenc in die Hände gefallcn
sind als den Oesterreichern. Man kann
ohne jedc Uebertreibung saqen, daß in
diesem blutigen Treffen gegen 18,000 Mann
abgeschlachtet und verwundet worden sind.
Bedenkcn Sie, daß dieses Gemetzcl von
11 Vormittags bis Abends gcgen 7 Uhr
dauerte, so wurdcn in jeder Stundc
2500 Mann zcrfleischt — wahrlich ein
Stück Arbeit der thierischen Rohhcit, dcren
unserc Vorfahrcn, wie kriegerisch man sie
auch ncnnt, nicht fähig warcn. Es scheint,
als vcrvollkonimnetkii wir uns, während
wir uns äußerlich immer mehr poliren,
rasi ren und pomadisiren, mit jedem Jahre
in innerer Nohheit. — Die Mincio-Fe-
stungcn sind jetzt ein Asyl aller Flücht-
linge aus dcn lombardischen und den ita-
licnischen Fürstenthümern geworden. Die
der Herzogin treu geblicbenen parmesaner
Truppen sind gestcrn und vorgestcrn in
Mantua angclangt. Die Verwnndetcn-
Transporte gehcn alle nach Mantua, zum
Thcil von dort wohl nach Verona und
wciter. Die Stadt Mantua ist von der
Behörde in strengen Belagerungsziistand
erklärt und somit das Kriegsgeseh dort
verkündigt. Die Eisenbahn ist selbst von
Peschicra nach Vcrona außcr Thätigkeit
gesetzt. Die Truppenmärsche von dcn Erb-
staaten zum Mincio dauern fort; täglich
rücken Abthcilungen ganz frischer Armcc-
corps hierhcr und das Hecr wird dem-
nächst wohl die Höhe von 300.000 Mann
erreichen.

Victor Emanuel hat die ihm von
der Stadtbebörde Bolog„„ angc-
botenc Gcwaltherrschaft geradezu abge-
lehnt. „Mache» S«e — sagte der Kö-
ui'g — Jhrcn Mitbiirgern vo,i Bologna
begreiflich, daß unter den geqenwärtigen
Zeituiiiständen alle unüberlegten Schesite
und Entschlüssc die Sache der Unabhä,,^^^
keit bloSstellen würden. Europa darf „üeh
nicht beschnldigen können, nur aus per-
sönli'chcm Ehrgeize zu handeln, und d,c
piemontesische Einverleibung an die stelle
der österreichischen Unterdrückung Z» setzcn.
Der heilige Vater, das geehrte Haupt dcr
Gläiibiqen, ist an der Spitze seines 'Vdl-
kes geblieben; er bat nicht wie die Herr-
schcr von Parma, Modena, Toscana scine
weltlichc Obrigkeit niedergelegt, welche wir

nicht nur achten, sondern befestigen miis-
sen; ich werdc also jeden Umsturzversuch
mlßbl'lligcn, welcher der Billigkeit zuwider
und für dic edle Sache, der wir diencn,
schädlich ist. Vergessen wir auch nicht,
daß Pius kX. ein italienischer Fürst ist.„
Außerdem hat Victor Emanucl, wie die
„Patrie" meldct, cinen seiner Adjutanten
an den Papst geschickt, uin ihm seinc Ehr-
furcht zu bezengen, und ihm dic feierliche
Erklärung zu wiederholen, daß das Hanpt
der katholisehen Christenheit nichts von
den Ereigliiffen ;u fürchten habe, und daß
die italienisä'e Unahhänglgkelt eine Bürg-
schaft, nie eine Drohung für die Neu-
tralität und die Unverletzlichkeit dcr Kir-
chcnstaatcn sein würde.

Deu^schland.

Karlsruhe, 20. Juni. La„t allerhöchster Ordrc
(Nr. 88) vom 10. d. M. haben Sich Se. Königl.
Hoheit der Großbcrzog veranlaßt geschcn, die
Bcstimmungcn übcr dtc Ergänzung dcS OsfizicrkorpS
für dtc Daucr der Marsch- „„p KricgSbereiischaft dc«
großh. Armeekorps dahin z„ crwciter», daß bct allen
Waffen junge Leutc mit genügcnder Vorbildung und
körpcrltchcr Tüchtigkeit z„ dcm Militärdtenst als R e-
gimentskadetten cingereiht wcrden können. Höchst-
dieselbcn befehlen htcrübcr deS Wctteren:

1) Die Regimentskadetten werden auf den Vor-
schlag dcr Kommandostcllen durch da« KrtegSmintste-
rium ernannt;

2) Die RegimcntSkadetten haben den Rang und
dte Auszcichnung der Korpvrale;

3) diesclben tragen dic Untform der Abtheilnng,
in welcher sic stehen, und al« bcsondereS Abzctchcn
um die Achselklappc cinc Schnur mit den HauSfarben ;

4) die Regtmcntskadetten habcn die Bezüge dcr
Korporalc nnd wcrdcn über den Dicnststand vcrpflegt;

5) dte Zahl derselben tst auf ctnen per Kom-
pagnte (Schwadron, Batterie) beschränkt.

Durch allerh. Befehl vom 10. d. M. wtrd der
Oberlteutcnant und BataillonSadjutant Gastcl vom
3. Jnfanterieregiment zum 4. (Rcserve-) Füsilter-
batatllon versetzt.

Mannheim, 20. Jlini'. Glltem Vei-
nehinen nach wurde ei'n großer Theil dcr
vor ei'ni'gen Wochen i'n die Kri'kgsschule
als Offiziersaspiranten aufgenomnreneii
Freiwilligen zu Li'ciltenaiits befördert und
soglcich den betreffcnden Regimentern zu-
getheilt, iiiit denen sie Ende dieser Woche
nacb beendigter Inspektion in die vcrschie-
denen Garnisonen einrücken wcrden.

Stuttgart, 18. Iuni. Se. königl.
Hoheit dcr Prinz Friedrich hat sich mit
seiner »lilitärischen Begleitung am Don-
nerstag nach Karlsruhe begeben, wo näch-
sten Montag die Musterungen über die
badischen Truppcn beginncn wcrden. Nach
Beendigung derselben soll (dem Vcrneh-
men nach am 27.) eine große Heerschau
dcr württembergischen und badischen Trup-
Ven zwischen Bretten und Pforzheim statt-
stnden, worauf dieselbcn in dieser Gcgcnv
Oii Bivouac beziehen werdcn. Dcr Lcr-
lauf pxx „pucstcn Bczichnngcn zwijchcn
Frankrrsch „„d Prcnßen ist maßgebend
für die weitere Bestimmung dieseö Trup-

penkörpcrs.

Coblenz, 16. I„ni. Noch täglich
werden Menschenleichen im Brohlthale
aufgcfnnden, u„ikr anderen anch einc Eng-
länderin, welche gerade mit ihrem Mann
ahf im Brohlthale spazicren

ging» als plötzlich psx f„i-chtbaren Wasser-
maffen angcstürzt kamen. Der Mann
rettete siw auf eliie„ Daum, die Frau
fand ihr Grab iii de„ ^,„,hx„

BerliN. l»-.V"ni. Hp. I„kob Ve.
nedcp beabslchtlgte a,„ he„tigcn Tage
cine öffentliche Vorlejung „hxr p,'x gegen-
wärtige europäische Verwicklung zii hal-
ten, wurdc abcr von dem Po>ize,'präsidillm
auf die deßfallsige Anzeige absch>ägliw h^
schiedcn.

Berlin, 18. Iuni. Dic „Preuß. ,tg."
bringt einc offiziöse Erläuterung
zu ihrer nculichen Notiz über dic
regel der Mobilmachung. Sie bczeichnet
dic „bewaffnete Stellung" Prcußcns als
im vollen Einklang mit der Auffaffung des
Landtags, macht daranf aufmerksam, daß
bek dem jetzigen Stadium dcr italienischen
Frage Picußcn nicht wcbrlos dastchen
bürfe. ES werde Vcranlaffung haben,
zu zcigen, „daß cs nicht gcmeint ist, den
Tendenzen der Unterdrückung oder der
Vergewaltigung Vorschub zu leisten."

Dic Regierung kenne dic tief eiiischnei'-
dcnde Bedeutung eincs Theils der i?and-
wehr, aber die Heerverfassiing Preußcns
gestatte ihr keine Wahl. Die Maßiegcl
sei eine rein dcfensive, d. h. die Regicrung
vcrthcidige die Unabhängi'gkeit Europa's,
welche bedroht wäre, wcnn ncue Ord-
nuiigcn in Europa ohne die Zusti'miiiling
der Großmächte aufgerichtet wcrden könn-
ten. „Preußen tritt nicht für ihm frcmdk
Intercsscn, cs tritt für sein Gcwicht iin
Rathe Europa's, es tritt für das deutsche
Vaterlanb, es tritt für die Freiheit und
den Fricden Europa's auf. Die Eutfal-
tung der preußi'schcn Wehrkraft erscheint
als ciii wirksamcs Mittel, den Fricden zu
erreichen, und Prcußcn wird diese Hoff-
nung nicht lassen, so langc uoch ein Schim-
mcr derselbcii übrig ist. Dcr Friedcn,
welchen Preußen erftrebt, muß den Opfcrn
ciitsprcchcii,welche die Regierung dcm i'aiide
abznfordern gczwungen war. '">cht den
Wcchsclfällen des Tagcs.darf cr entsprun-
gcn sein; er muß die ^eding„„^x„ pxx
Dauer in sich tragen. Er wird diese nur
bcsitze», wcn» er den realen Machtver-

hältniffen der europäi'lchen Staaten und
den sittl'chc" Grundlagen des Lebens dcr
Völkcr entspricht."

7Serlin, 19. Iuni. Graf Poiirtales
bcfindet sich he„>x „uch h,-xr, da ks noch
uiigewiß ,'st, yh hxx Kaiscr Napoleon in
Italien blcibt odcr nach Paris zurückkehrt.
Man glaubt das Letzte. Graf Poui tales
hat den Auftrag, dcm Kaiser die preußi-
schen Bkrim'ttlungsvorschläge zu überbrin-
sten, dieselbcn sinv auch in London, Peters-
burg und Wien und den deutschen Re-