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Heidelberger Zeitung — 1863 (Juli bis Dezember)

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August
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Samstag, 8 August

znsertionsgebührea für die Sspaltige Petit-
;eile werden mit 3 kr. berechnet.

Auf die „Heidelberger
V»Zektung" ka»n man fich
noch für die Monate
Augufi und Neptrmber mit 36 Kreuzern abon-
niren bei allen Postanstalten, den Boten und
Trägern, sowie der Erpedition (Schiffgaffe
Nr. 4).

Der europäische Orient.

Da die öffentlichen Blätter neuerdingS wie-
der Mitiheilungen über unruhige und drohende
Bewegungen unter den christlichen Stämmen
der Türkei gebracht haben, so dürften in die-
ser Beziehung folgende Bemerkungen am Platze
sein:

Daß schon der Pariser Friede von 1856
Ler Entwickelung deS großen politischen
Drama'S, welcheS wir die orientalische Frage
nennen, nichl auf die DauerHalt gebieten, daß
er biesen Prvceß der Auflvsung und Neubil«
dung überhaupt nur scheinbar hemmen konnte,
ist eine Thatsache, über die fich schon bei Ab-
schluß jenes BertcagS nur solche zu täuschen
vermochlen, welche mit den hierbei zu beach-
tenden Verhältnissen gänzlich unbekannt waren.

Die Türkei ist durch die damals angcbahnte
Ordnung der Dinge nicht gestärkt worden;
ihre Krankheit, eine Art pvlitischer Alters-
brand, rückte seitbem zwar nicht mehr so
augensäüig, aber ebenso stetig mit jedem Zahre
der Krisis näher, die mit dem Aushören der
Herrschaft des HalbmondcS in Europa enden
wird. Sie davor zu bcwahren ist unmöglich,
weil es unmöglich ist, Ler Natur andere Ge-
setze zu geben, unv weil eS gegen die Natur-
gesetze verstößt, daß eine gcifiig nicdrig stehenbe
Minorilät eine hoye entwickelte Majorität be-
herrscht. Dies aber ist das Verhällniß, in
dem fich die im Reiche der Psorte lebenden
Türke» zu den dortigen Christen, zu Ler Ge-
sammtheit der nicht türkijchen Stämme be-
finden. Dieje Stämme find natürlich als
Ganzes den Culturvölkern auch uicht beizu-
zählen, — wie sollten fie das auch bei ihrer
Geschichte! — Wohl aber haben fie an Bil-
dung und mit dieser an Selbstgefnhl die letz-
ten Zahre hindurch in aller Stille verhältniß-
mäßig sehr bekrächtliche Fortschritte gemacht.
Die Osmanen dagegeu flnv, wenn wir von
dem schwächlichen, unnatürlichen Zungtür-
kenthum absehen, geblieben was sie zu Aiifang
der revoluiionären Regungen unter ven Rajah
waren. SliUstand aber ist Rückschritt!

Mit jenem Wachsthum der Bildung und Ge-
stttung der Christen auf der illyrischen Halbinsel

aber hat sich die dortige Situation und die Stel-
ung deS christlichen Europa's zur ganzen Frage
auch nach einer andern Seite hin wesentlich ge-
ändert. Nochvor tveni'genJahren schiendemCza-
ren die Hinterlaffenschast des aus Europa
nach Asien zurückkehrenden Padischah durch die
Sympathien der Christen in der Tiirkei für
daS glaubensverwandte Rußland, wo nicht
ganz, doch in ihren besten Theilen so gut wie
gefichert. Jene Christen waren aber weniger
Nati'onen als Maffen von Angehörigen der
orlhodoren grtechischen Kirche. Jetzt stellcn
sich die Verhältniffe, auch abgesehen von der
gegenwärtigen Schwäche Rußlands und der
stärker erregten Eifersucht Englands, vielfach
anderS. Es lag auf dcr Hand, daß Rußlands
Einsinß auf dic Völkerschaften der Balkan-
halbinsel in demselben Maße abnehmen mußle,
als sich unter diesen Stämmen Bilbung ver-
breitete. Mit dcr Zahl der heller wcrdenden
Köpfe mußte auch die Anzahl derer wachsen,,
die ein Gefühl für den Werth ihrer, Natio-
nalität und die Bedeutung ihrer nationalen
Rechte hatten.

Ueber die Empsindung der Zusammengc-
hörigkcit im Glauben gcgenüber den Moslims
mußte allmählig die Erkenntniß des großen
Ugterschieds zwischen den betreffenden Völkern
und dem russischen aufgehen. Zn Gemüthern
ferner, welche die Freiheit zu ahnen be-
gannen, oder, wie die Serben, schon in leb-
haftester Bewegung nach ihr stritten, mnßte
Lie Furcht vor rusfischen Regierungsmarimen
rege werden. Und endlich wich von der Sonne
der Cultur auch der Nebcl, der Len Egoismus
der auSwärtigen Politik des Petersburger
Hofes dem uncivilifirten Urtheil verhüllt hatte.
Das alles svü, nach dem Urtheil zuverlässtger
Zeugen, schon in großem Maßstabe eingetreten
sein. Und sollte Lie Herrschaft der Pforte —
vielleicht noch in diesem Zahrzehent — durch
das Rationalitätsprincip in Trümmer ge-
sprengt wcrden, so wird der Nutzen von die-
sem Ereigniffc nicht der rusflschen Macht zu.
fallen, sondern es werden sich aus jenen Trüm-
mern nationale Reiche bilden, die, wenn die
Westmächte und Oesterreich ihr Zntcreffe rich-
tig begreifen, ihre Unabhängigkeit gegen die
drohende nordische Großmacht" sehr wohl zu
behaupten im Stande scin werden.

Die Anfänge zu solcher Umbildung der
Karte Sübost-Europa's sind vorhanden und
im Treiben nach fernerem Wachsthum begriffen.
Wir sehen ste in bem unvollendeten Staatö-
bau des Königrei'chs Griechenland, in dcm
neuen Ruinänenrciche, vor allem aber in Ser-

biensKernvolk vor uns, wclches seik Jahrenschon
zum Mittel- und Ausgangspunkt cine Erhe-
bung ber Südslaven organisirt, ohne die Da-
zwischenkunft der Diplomatih. schon jetzt im
halben Aufstande sein, und aller Wahrschein-
lichkeit nach bi'nnen Kurzem mit den namenS-
und glaubensvcrwandtcn Völkern der Türkei,
insbesondere noch mit den Bulgaren ein Reich
gründen würde, das mindcstens 8 Millionen
Menschcn umfaffen kann, und dic Einhei't der
Sitte, der Sprache und des GlaubenS für
sich hat.

Was uns üher die Lage der Dkngc in jencn
Ländern durch die Preffe bekannt wird, kam
uns iu der Regel über Wien zu, wo man
aus frcilich ziemlich verkehrten Rückfichten u.
in Verkennung der Aufgabe Oesterreichs nach
Osten, bisher ein selbstnütziges Zntereffe hatte,
den betreffenden Nachrichten und Urtheilen cine
andere als die ursprüngliche Farbe zu geben.
Lcider machte selbst die liberalc Wiencr Preffe
in der Regel hiervon keine Ausnahme. Des-
halb herrschen noch so viele falsche Meinungen
über den Charakter, die Bildungsstufe und die
Stimmungen der südslavischen Stämme, sowie
über die Gründc, aus denen sie mit ihren
jetzigen Znständen unzufrieden und stets im
Begriffe sind, sich gegen die türkische Herr-
schaft zu erheben. Diese schiefen Anfichten
hatten zur Zeit des Krimkrieges rhren Höhe-
punkc errcicht, beginnen jedoch jetzt allmählig
sich zu läutern.

* Politische Nmschau.

Die Conferenz der deutschen Fürsten, von
welcher wir gestern an dieser Stclle sprachen,
wird, nach Angabe der Wiener Blätter, in
der zweiten Hälftc des Septembers hier in
Frankfurt abgehalten werden. Kaiscr Franz
Joseph hat, 'wahrscheinlich in Folge einer Vcr-
ständigung mit dem König Wilhelm bei Ler
Zusammenkunft in Gastein, seine Collegen zu
eincr persönlichen Besprechung über eine „zeit-
gemäße Bundesreform" eingeladen. Es läßt
sich wohl annehmen, daß die meisten Fürsten
und die Bürgermeister der freien Städte der
Einladung folgen werden, schon weil das
Ausbleiben eine Verletzung Lerjenigen Höflich-
keil sein würdc, auf welche der Kaiser wohl
Anspruch machen darf.

Kaiser Franz Joseph ist als ein Mann von
Bonhommie, von gutem Willcn und von Ehr-
lichkeit bekannt. Er bcmüht sich volksthümlich
zu sein und den Volkswünschen nachzukommcn,
so weit er dieselben nach der Erziehung, die

Die Uewyorker Emeute.
(Schluß.)

Der Aufruhr war entfeffelt, und die Partei,
dcren Werk er war, begann sclbst vor dieser drohen-
den Wendung zurückzuvebcn. Zwar ftinen Willen
sollte das Volk haben, und so bewirkie Gouverneur
Seqmour dic Suspendirung der Drast in Washing-
ton und der Stadtrath »otirte 2'/r Millionen Dol-
larS zum Loskauf der Armen von dcr Loriscription.
Aber gleichzeittg sah man ein, daß man eilen müffc,
den Brand zu löschen, der das cigcne Haus zu
ergrcifen drohte. Dic Stadtmilizen wurden zusam-
mengezogcn, Kreiwilligc und auSgemusterte Soloa-
ten aufgeboten, Kanonen aus dcn Forts und ab-
wkftndc Regimenter requirirt, die Polizeimann-
schaft verstärkt und die Bürger zur Organisation
von Frciwilligen-Eompagnicn crmuntert. Gediente
Offiziere «urden hcrangezogen. General Kilpatrick,
gerade vom Schlachtfclde von Gettysburg zurück-
gekehrt und ftlbst der unvermeidltche Litti Mar
saßen im Kriegsrathc. Auch Staten Zsland erhielt

eine starkc Garnison unter Col. Ben. Wilson, der,
jctzt ein renommirtcr Ofstzier vermöge ftiner Ante-
cedentien auf das Lorps der Rvwdies noch den
Einfiuß eines Räuberhauptmanns ausübt.

Wcniger dem einstweiligen Nachgcbcn dcr Regte-
rung in Betreff der Draft, noch den cordialen
Ansprachen, mit welchcn der Gouverncur so wie
der Erzbischof HugheS dcn süßcn Pöbel zu besänf-
tigen suchten, als jcnen energischen Maßregeln, dcm
Erschetnen der aus Pcnnsylvanicn zurückgerufcnen
Milizregimenter, der planmäßigen Bekämpfung dcs
Crawalls in allen beunruhtgten Districten zugleich,
der Befttzung und Sicherstcllung aller gefährdetcn
öffcntlichcn Gcbäude, Arsenale u. s. w. ist die vcr-
hältnißmäßig rasche Bewältigung dteftr bcdcnklichen
und schmachvollen Ruhestörungen zuzuschrciben. Die
Straßcnkämpfe waren theilweift fthr erbtttert und
blutig; dic Truppen hatten vicl von den Stein-
würsen zu leiden, mtt denen fie von allen Seitcn
und von dcn Dächern herab angegriffen wurdcn;
das Gewehrfeuer allein zeigte sich nicht wirksam
genug; crst alS mit Kartätschen dreingeschoffcn
«urde, brach der Trotz der aufrührerischen Haufcn
und Alles stob auseinander und flüchtete in die

HLuser. Dann drang die Polizeiraannschaft in die
Verstccke der Menterer, mit ihrer auSgczetchneten
keulenartigen Handwaffc Alle zu Boden schinetternd,
dte thr in den Weg kamen und vollendete den Sieg-
Man muß der Unerschrockcnheit diescr Männcr und
der Loyalität, welchc auch dte Löschmannschaft überall
bewährte, alle Anerkennung widerfahren laffen,
während das Militär sich nicht allerorts durch
Tapferkett auszeichnete, zum Thetl wegen unge-
schickter Führung. Der Aufstand mußte indcffen
ein Ende nehmen, wte jcner Putsch, dem nichts
als eine politische Jntrigue zu Grunde liegt. Aber
wenn er auch verunglückte uud in stinem Ausgange
die Anstifter stark gcnug compromittirte, so erwcckcn
dicft Vorfälle doch Bcdcnkcn der ernstesten Art.
Offen prophezeten dic Coppcrhead-Demokraten „bin-
ncn 18 Wonatcn Anarchie", ja, daß Lincoln ge-
hängt «erden wird. Darauf und auf nichts Ge-
ringeres laufen die Pläne dieftr Politiker hinaus.
Dann wird „Fricde gemacht und alles nörhliche
wie südliche Papiergeld, das der Krieg hcrvorgr-
bracht hat, repudiirt". Jch glaube an eine Vor-
fthung oder an etnen Volksgenius, dcr eS nicht-
dahin kommen laffen wird. Aber von.der weit-
 
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