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Heidelberger Zeitung — 1863 (Juli bis Dezember)

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November
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N» 27V. Dtenstag. 17. November 18V3.

44 Der beutsche Protestantenverein.

Das Austreten einer Agitation aus kirch-
iichem Gebiete ist ein hervortretender Zng,
welcher die gcgenwärtige Neformperiobe von
der der Zahre 1848—1850 unlerscheidet. Das
Concordot in Baden, das octropirte Gesang-
buch in der baperischen Pfalz, der ociropirte
Katechismus in Hannover haben nicht aüein
das protestantische Volk in seinen sonst etwas
starr und unbewegten Tiesen aufgeretzt, son-
dern auch den unmittelbaren Anstoß gegeben
zn einer vorwärts drängenden Bewegung im
Geiste der Freiheil und Selbstregierung. Aehn«
liche Regungen zeigen sich in den beiven Heffen
und Nassau, wo wenigstens Ansätze zn kirch-
lichen Volksparteien bereits zum Vorschein ge-
kouimcn stnd. Jn Baden hat der gliicklichc
Zusall eines volksfreundlichen Negenten bie
weitere Wirkung gehabt, das Streben nach
repräseutativer Kirchenversaffung rasch und
vollstänbig zum Ziele zn sühren. So ist eS
drnn auch natüriich, daß in Baben zuerft der
Gebanke Gestalt angenommen hat, von dem
beschränkten Felbe der Landeskirche mit dem
gleichen Streben hinnberzutreten aus das um-
saffeube der vorerst allerbings nur in der Jbee
einzelner christlich.nationaler Gemüihcr vor-
handenen evangelischen Nationalkirche. Aus
diesem Gebiete tst noch so gut, wie Astes zu
lhun. Die Reformatio» hat statt einer Na-
tionalkirche eine Landeskirche zu Stande ge-
bracht, und mit bem dcutschen Reiche ift auch
jencs Schattenbild einer Nationalkirche, das
Lorpus LvÄUKelivllm gesallen (a. 1800).
Was seitdem zur Herstellung eineS unifaffen-
den Bandes geschehen ist, beschränkte stch mehr
auf conservattve Bestrebungen, aus tn gutcm
Sinn conservativc, wie die des Gustav-Adolphs-
Bereins, und reactionär.conservative, wie die
des evangelischen Kircheniages u. der Kircheu-
reglmeiitscolifkrenzcn. Activ liberale Bestre-
bungen waren aus diesem Felbe bis jetzl nicht
hervorgetreten, unb doch versprechen uur stc
gerabe, wie auf dem politischen Gebietc eine
Cinheit herzustellen, die den großen Zntereffen
der Nation gemäß ist. Zunüchst sreilich haben
oie Liberalen der prvlestantischen Kirche, auch
wenn ste ihre Kraft burch Vereinigung zu er-
setzen suchen, noch eine beschränkte Ausgabe.
Cs gtlt erst innerhalb der eiuzeliien Lanoes-
kirchen den Grundsatz der Selbstrkgieruiig durch
spnodale Repräsentation zur Geltung zu brin-
gen, bevor man für die Gesauimtkirche Deukjch-
lanbs zeitgemäße Organe schafft. Der nächste
Änstoß hierzu ist in neijerer Zeil bekannter-

maßen von unserem engeren Vaterlande Baden
ausgegange»; hicr wurde zuerst eine zeitge-
mäße Kircheiiversaffung aus Grund dcr Selbst-
ständigkcit der Gemeinden geschloffen, hier ist
auch die Jdee des allgkineinen Protestanten»
tages, dcr zu jenem weitern Behufe am ZO.
v. M. in Franksurt abgehalten wurde, zuerst
angercgt worden. Jn dieser Versammlnng
waren bie verschicdensten dogmatischen Rich-
tungen vertreten; gleichwohl kam es zu keinem
Dogmenstreit. Bon vorn hereia war man
beinahe von allen Seiten varüber klar, daß
man nicht eine Lehrpartei gründen könne unb
wolle, sondern eine liberale kirchliche Vcr-
laffungsparlei. Jn der That richten stch auch
alle Beschwerden bes Volkes in der einschlägi-
gen Begehrung nicht sowohl gegen veraltete
Glaiibenslchre oder Kirchengebräuche, als gegen
dieWillkühr eines »icht gewähllen, unverant-
wortlichen Kirchenregimcnts, bie ihm derglei-
chen auszuzwiiigen wagt, unb es ist haupt-
sächlich zum Schuße gegen solche hierarchische
Uedergriffe, daß man jetzt allenlhalben Spno-
den begehrt. Inncrhalb dieser Grenzen wird
stch baher die neu zu begründende liberalc
Partei vorerst auch halteu.

* Poiitische ttmscha».

Nach der „Jndep. belge" sei Herrn von
Bismarck's Rücktritt unmittelbar bevorstehenv;
er würde als Minister ben 20. Novbr. nichl
überleben.

Die Wiencr Preffe sagt, daß aus den mit
Berlin und Loüdon gepflogenen Unterhanb-
lunge» stch die Unwayrscheinlichkeit ergebe,
daß die Souveräne von Englanb, Preußen
und Oestcrreich dem Cvngreß beiwohnen werben.

Die „Norddeutsche AUgemeine Zeitung" er-
blickt in vcr bkvorstkyenben Einführung eines
neuen bänischen Vcrsaffungsgesctzes, Vurch wel-
ches mit der Jncorporation Schleswigs der
Bruch der Lereinbarung von 1852 vollendet
wird, cine höchst bedenkliche Erschwerung dcr
Lage/welche dic Ausstchten auf sriedliche Lö-
sung des Confiictes mindert. Die preußische
Regierung habe stch bereits in London und in
Kopenhagen in dtesem Sinne ausgesprochen.

Die „N. Zür. Ztg." spricht stch gegen eine
Beiheiligung der Schweiz am Pariser Congreß
auS.

Die „Correspondencia" meldet, die spanische
Regierung habe beschloffen, stch bei bem Pariser
Congreß vertreten zu laffen.

Dentschland

Karlsruhe, 14. Nov. Hauptmann Hugo
im (1.) Lcib-Grenadierregiuiklit wurde auf
sein Ansuchen und auf Grunb des Ausspruchs
der Superarbitririlngskommisston für Offizicre
und Kriegsbeamtc, unter Ertheilung des Eha-
raktcrS als Major und ber Erlaubniß, die
Uniform der Osfiziere vom Armeecorps zu
tragen, in Ruhestand verseßt. Hauptmann K.
Geres im 2. Jiifanterieregiment wird auö dem
großh. Armeecorps entlaffen. Dem Direktor
des evangelischen Schullehrerseminars, Prof.
Wilhelm Stern wurde das Ritterkreuz des
Ordens vom Zähringer Löwen verliehen.

Erlaubniß zur Annahme fremder Orden:
dem Generallieutenant von Seutker, Gouver-
neur der Bundesfestung Rastatt, für das Groß-
kreuz bes königl. hannover'schenGuelphenordcns
und das Großkrcuz des herz. braunschweig'schen
Ordens Heinrichs bes Löwcn; dem Hauptmann
Stölzel,, erster Adjutant beim GouvernementS-
stab der Bundessestung Rastalt, für den kgl.
haunovcr'schen Guelphenorden vierter Klaffe
und vas Ritterkrenz bes herz. braunschweig'-
schen Ordens Heinrichs des Löwen; und dem
Oberlieutenant v. Schilling vom Generalstab
sür den königl. hannover'schen Guelphenorden
viertcr Klaffe und das Ritterkreuz des herz.
braunschweig'schen Ordens Heinrich's des
Löwen. Kammerherr und Hosmarschall Wilh.
Pleikart Freiherrn von und zu Gemmingen
erhielt die Ertaubniß, das ihm von Sr. Maj.
dem König der Nieverlande verliehene Groß-
offijlkrskreuz des Ordens der niederländischen
Eichenkrone anzunehmcn und zu tragen.

Dcm israelitischen Hauptlehrcr Leop. Moos
in Randegg wurde iii Anerkennung seineS 50-
jährigen xflichtgetreuen Wirkens die stlberne
Civii-Verdienstmevaille verliehen.

Proseffor Alerander Gehr an der höheren
Bürgerschule in Baben wurde zum Proseffor
am Gpmnastnm in Bruchsal, Lehramts-Prakti-
kant Dr. Zvseph Egon Winzer von Stetten
zum Prosessor am Gpmnastum in Tauber-
blschofshcim ernannt.

-si- Heidelberg, 16. Novbr. Vorgestern
Abend ward im Daale dcr CasiriogejcUschaft
eine ziemlich zahlreich besuchte Versammlung
abgkhalten, um einen Localverein des vor 6
Wochen inFranksurt gegründeten deulschen
Protestantenvereins in's Leben zu rufen, defi-
nitiv zu constituiren und über die Ziele und
Wirksamkeit deffelben sich auszusprechen. Es
hatte sich zu dem Ende einc beträchtliche Zahl
hiestger Bürger eingesunden, auch mehrere Land-

Ein Mord im Gerichtsjaale.

Vor dem lFcrichtShofe in Pittsburg in Pcnn-
syloanien crcignetc sich im Lause des September
eine Scenc, wclchr ein ungcheurcs Aufsehen machte.
Der Fall berechtigt in der That dazu und zcigt,
wte weit die bclcidigte «eiblichc Ehre in ihrcm
Rachegefühl gkhen kann.

Ein jungeö Arbcitcrmädchrn, NamcnS Elisabeth
Beatth, hatte eine Bekanntschaft mit einein jungen
Manne auS einer rcichcn Familie gemacht. Das
Mädchen war von seltener Schönhett und ihre Rcize
verfehltm nicht, aus den jungen Mann einen Ein-
druck zu inachcn. Er ward ihr Verführcr, doch
erst dann, nachdem er ihr feierlichst versprochen
hatte, sie zu eheltchen. Ss dauertc nicht lange,
so fühltc sich das Mädchen dringend genöthigt,
ihren Geliebten daran zu inahnen, sein gegcbenes
Wort zu löscn. Diescr abcr hatte ja seinen Zwcck
errcicht. Für ihn, den Sohn rcicher Eltcrn, er-
schien daS armc Mädchcn jetzt nur alS dte uneben-
dürtige Proletariertn, und er lehnte mit Entrüstung
ab, ihrcm Verlangen nachzukommen. Noch zu wie-

derholtenmalen vcrsuchtc daS Madchcn, dcn Vater
ihres Kindes zu bcwegen, ihm eincn ehrlichen Na-
men zu gebe», allein stetS vcrgedcnS, und sic ge-
langtc endlich zur Einsicht, daß sie »on ihrem Ver-
führer nichtS zu hoffcn habe. Nunmehr reichte ihr
Vater einc gerichtliche Klagc wcgen Nichtzuhaltcn
deS gcgebenen Versprcchenö der Ehe ein.

Die amefikanische Austiz — zu ihrer Ehre muß
cS hcrvorgehoben werden — pflegt rasch in derlci
Angelegenhkitcn einzugrcif'eu. Schon wenige Tagc
hernach «ard dcr junge Mann vorgerufen und ihm
bedeutet, daß daS Vergchen ein schweres sei, dcffen
cr augeklagl wurde.

„Sie haben", sagte dcr GerichtSpräsident, „durch
Jhrc heuchlerrschen Licbcsbetheuerungen und durch
Jhre falschen Vcrsprechungen cin Mädchcn verführt.
llnd dic von Ahnen so schmählich Hiniergangene
ist nun hier, um Sie zu bitten, Jhrc S-Hwürc zu
halten. Diesc Unglückliche war ohne Makcl, bevor
sie Zhre Bekanntschaft gemacht hat, ihrc Moralität
war unaugetaslct. Sie find cS üun, ctn junger
Mann auS cincr wohlhabenden angcsehenei! Fa-
miire, bcr unvrschadct seincr beffern Erziehung
keinen Anstand nahm, ein armes Mädchen hinier-

listig mn das Einzige, «as sie besaß, zu betrügen,
d. i. um ihrc bis dahin fleckenlose Ehre. WaS sind
Sie gesonnen zu ihun, um ein solchrs Vcrbrechen
zn sühncn ?"

Auch dicse crnste Ermahnung und an einem
solchcn Ortc sollte indcffen ebenso an dem verstock-
ten Gemüthe deö Angcklagtcn, ohne einen Eindruck
zu machen, abprallen, wie dic Thräncn des brkla-
genSwerthen Gcschöpfes, welchcs ihm AlleS geopfert
hatte. Er erklärte, ohne cinen Augcnblick aus der
Faffung zu kommcn, mit KLlte, daß er durchaus
»icht gesonnen fei, das Mädchen zn heirathcn.
Miß Elisabcth, fügte er hinzu, set vrrmöge ihrer
Gcburt nicht würdig, seine Gattin zu werden. Sie
hätte klug gcnug sein sollen, cinzuskhcn, daß seine
Versprechungen nlemals ernstltch gemcint waren.

Dicse trockenc inhumane Erwiedcrung ries aus
dcn Gallerien im Gerichtssaal ernen Sturm dcr
Entrüstung wach und nur mit Mühe gelang cS
bem Vorsttzendcn, wiedrr die Rnhe untcr dcn Zu-
hörern herzustellen. Er erklärtc, daß, da ctn AuS-
glcich auf gütlichcm Wcge uicht zu Stande gebracht
werden könne, nun dte gerichtliche Vcrhaudlung
ihren weitern Verlauf nehmrn müffe.
 
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