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Heidelberger Zeitung — 1863 (Juli bis Dezember)

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November
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Znsertioilsgebllbrea für die Sspaltige Petit.
Me Äerben mit 3 kr. Serechnel.


Freitag, L3 November

Die franzöfische Thronrede

ist zur Zeit das Ercigniß bes TageS- Dieselbe
ist von den verschiedenen Organen der Preffe
in gar verschievenem Sinne aufgefaßt und
bald in einer mehr oder weaiger sriedlichen,
bald in einer kriegerischen Weise gedeutet wor-
den. Zn weit gegangen wird es wohl sein,
wenn man den im Saale des Lvuvre gesprochenen
Worten, die doch immer nur Wort« sind,
eine verhängnißvoUc Bedeutung der Art unter-
legt, vaß dieselben noihwendig der voraus-
eilende Schatten kommender unausbleiblicher
Thaten sein müffen. Die wirkltchen politischen
Pläne eineS Selbstherrschers, namentlich eincs
solchen wie Napoleon, welcher eine KMitik
der ilmstänbe im Jateresse sciner Persou und
seiner Dpnastie verfolgt, werden sicher nicht
vorher öffentlich perkünbigt, sondern sorgfältig
geheim gehalten. Nur in parlamentarisch unv
frei regierten Siaaten enthält die Thronrede
ein »ffenes Programm der verantwortlichen
Minister, in welchem ste sich über die Lage des
Staates und die von ihnen cinzuhaltenden Wege
vor dem Volke aussprechen, das dort an ber
Mitregierung wesentlich Antheil hqt, unvKiit-
hin bei jeder Action ebensalls ins Gewicht
fällt. Selbst solche constitMionclle Thronreden
werden stch aber in Angelegenheiten der aus-
wärtigen Politik immer nur mit großer Zurück-
haltung aussprechen, weil diesc von den wech-
selnden Gestaltungen des Tageö und der gaa-
zcn jeweiligen Weltlage abhängen. Es würde
deshalb einen ziemlichen Grad ehrlicher Naive-
tät verrathen, wenn man sich einbilden wollte,
der staatskluge Herrscher FrankreichS öffne
seine schweigsamen Lippen, um vor aller Well
die geheimen Plane seiner Politik zu procla-
miren. Nicht leicht gilt von einem anvern
Politiker in so hohem Maße der dekannte Aus-
spruch Talleprand's: „Worte stnd da, um die
Gedanken zu verhüüen", als gerade von dem
Begründer deS dritten Kaiserreichs, der „nicht
khut, was er sagt, und nicht sagt, was er
thut." Seine alljährlichen diplomatischen Kund-
gebungen bei Eröffnung ves gesetzgebenben
KörperS stnd daher wohl nur auf eine» Effect
derechnet, cntweder auf Bcruhigung oder Agi-
tativn der horchendcn Völker. Von dieser
Seite ausgefaßt, dürfte denn der letzten Thron-
rede allerdings eine mehr friedliche Bedeutung
zu unterlegen sein, zumal da stch diese nicht
nur aus oen geäußerten Worten, sondern aus
allen hiermit im Einklsng stehenden äußercn
Umstänben crgibt. Es ergibt sich eiue soche
Annahme aus der ganzen Lage deö Staaies

und der Dpnastre, die für jeßt wenigstenS
kei'nen Kricg brauchen können, weshalb ein
solcher stcher nur auf den äußersten Fall, wo
Napoleon III. dürch innere oder äußere Vcr-
hältniffe gedrängt ist, verspart wird. Freilich
wird, nach dem oben gesagten, hierdurch nicht
ber Friede Europas garantirt, sondcrn nur die
dermalen dem Kriege abgeneigte Stimmung des
Kaisers constatirt. Von diesem Gestchtspunkte
aus erscheint denn auch die Throurede mehr
als einc Dcmonstration, hervorgerufen burch
den Ernst der innern Lage Frankreichs unv
bestimmt^ die Meinung des Lanbes nach Außen
zu lenken, um ste im Jnnern gefügigcr zu
machen, und dic Verlegenheiten der augen-
blicklichen Lage nach dem verunglückten diplo-
matischen Feldzuge gegen Rußland zu bemän-
teln unb zu verbergen. Diesen Zweck hat
Napoleon auch in seiner Rebe so ziemlich er-
reicht: Er hat seinem Volke durch bie Notiz,
ja vurch bie Anmaßung, mit der er zu Europa
(bcsonders in Bezug auf Zerreißung der Vcr-
träge von 181S, und Einberufung eines Con-
gresses) sprach, momeniaii geschmeichelt, cr
hat stch abcrmals in auffallenber Weise als
einen Völkerbefreier hingestellt, er hat ben
Polen neue, wenn auch unbistiuimte u. wahr-
scheinlich fruchtlose Hoffnuugen gegeben, und
die öffentliche Meinung ber Welt in Erstaunen
gesetzt. Doch wird der kühne Coup nichl von
Dauer sern, denn nachdem man sich vvn dem
ersten Erstaunen erholt hat, wird man fragen,
wo denn cigentlich die Berechtigung steckt, zu
Eurvpa in einem solchen Tone zu sprechen.
Der Kaiser konnte seinen Congreßvorjchlag
nicht schlechter einbegleiten, als in der selbst-
zufriedenen, anmaßenden Weije, bie der ohne-
hin unüberwindlichen Abneigung des Auslanbes
gegen die Tuilericn-Politik neue Nahrung zu-
führen muß. Auch wird auf die Dauer der
Firniß, mit dem der Kaiser dic Situation an-
streicht, nicht im Stanbe sein, dic wahre Lage,
selbst nach Jnnen, zu verbecken. Die.Oppo-
sition im gesetzgebenden Körper wird stch ben-
noch mit Eifer geltend machen, und vermag fle
auch nicht die Stimmenmehrheit für eine»
Tade! des kaiserlichen Programms zu Stande
zu bringen, so werben ihrc Reden wenigstens
genügen, dem französischen Vvlke die Augen
zu öffncn.

* Politische ttmschau.

Die «Norbdeutsche Allg. Ztg." sagt richtig,
es sei überflüsstg, einen Commentar zur Thron-
rede zu geben, denn diese Rede sei klar, un-

zweideutig ynd einem Jeden verständlich, der
ste verstehen will.

Der „Offervatore romano" vom 7. d. be-
kämpft die Jdec eines auf bcr Basts ber voll-
brachten Thatsachen abzuhaltenden Congreffes.

Der ofstciöse „Constitutionnel" hebt hervor,
daß Frankreich den meisten Fragen, welche
Europa in Unruhe versetzen, fern stehe, das
Nichtzustandekommen eines Congreffes svhin
keineswegs das französtsche, sonbern das all-
gemeine Zntereffe verletze, und daß, wenn
Epropa es vorzikhen werve, stch in dem gegen-
wärtigen schmerzlichen Zustande jortzuschleppen
— Frankveich jeber Verantwortlichkeit ledig sei.

Der „Temps" bemerkt, daß die stch geradezu
wi'bcrsprechenbe Auslegung der Thronrebc auf
den ersten Augenblik sehr wunberlich erscheine.
„Constitutivnnel", „France" und „DebatS" er-
blickten in der Rede cine Bürgschaft für den
Frieben; dagegen bebeute diesclbe für „Siecle",
„Opinion nationale" und „Gazette de France"
dc» Krieg. Bctrachtc man aber die Rebc ge-
nauer, so werde man finden, daß dic Ver-
schiedenartigkcit der Auffaffung biö zu einem
gewiffen Punkte ihre Berechtlgung in ber Rede
selbft findet.

„Debats" begnügt sich, die Thatsache her-
vorzuhebcn, ohne daran eine weitere Bcmerkung
zu knüpfen, als baß „Morningpost", Palmer-
stons Organ, es als zicmlich stcher erklärt,
daß England der Einladung Napoleons Folge
geben werde.

Nach dem vom Kopenhagener Reichsrath fast
einstimmig gefaßten Beschluß soll die neue bä-
nische Verfaffung bereits am 1. Januar 1864
in Kraft treten. Diese Verfaffung macht daS
Herzogthum Schleswig zu einer bänischen Pro-
vinz und vollenbck die Loslösung desselben von
Holstein. Nach den neuerdings mchrfach wie-
derholtcn Verstcherungen des Bundcstagcs,
daß er seine Aciion lediglich auf die internen
holsteinischcn Verhältniffe richten wolle, ist
nicht zu erwarten, daß er einen Krieg be-
ginnen werde, um Schleswig vor der voll-
stänbigen Zncorporation in Dänemark zu retten.
Es werden unter solchen Umständen die Schles-
wig-Holsteiner sich vor illusorischen Hoffnun-
gen auf das Resultat der Bundeserecution
hüten müssen.

D e utsch land

Aus Baden, 9. Nov. Der Fall des in
Rastatt festgehaltenen flüchtigen RedacteurS des
Mainzcr Anzcigers, Hrn. Reusche, cines ge-
bornen Preußen, hat eine principielle Bedeu-

An dem schönen Hanje.

(Fortstdung.)

Zm zweiten Stocke deS schönen HauseS «ar es
ziemlich lange dunkel gebliebcn, aber jetzt flimmert
»uch dort Licht. Die größere Halfte der Aimmer
hewohnt ein Beamter mit Familic, die kleincre ein
cinzelnrr, alter Mann. Zn den Zimmern des
Beamten geht eS gar lebcndig her, denn inan gibt
eine AbendgeseUschaft. Man musicirt und soupirt,
man ißt Cränies und Torten, mail lächclt sich an,
während man verstohlcn gähnt, man amüsirt sich
himmlisch und blickt doch unbemerkt nach dcr llhr,
ob die Stundc des AusbrucheS noch nicht gekom-
men. Unb diese Stunde kam denn endlich auch,
und »lle Gäjte waren nun verschwunden.

„Goit Lob, daß ich das hjuter mir habe", flüst-rt
aufseuszend die HauSfrau, ipdcm sie Gläser und
Teller ausräumt, die Tische fäubert und bic Ltcht-
rcste sorgsam verwahrt.

„Es war sehr animirt, schr nobcl, höchst fcin!"
sagt wohlgefällig der HauSherr und reibt sich, auf

und ab gehend, die Hande. „Der Geheimrath schten
sich sehr zu gefallen, ich btn überzeugt, er denkt
mciner und schlägt mich recht bald zum Rechnungs-
rath vor. Es «ird hübsch klingen, ganz hübsch:
Herr Rath, Frau Räthin!"

„Nun, und «as tst dann?" fragt die vcrstän-
dige, fast tmmer sanftc und stille Hausfrau, jetzt
fast heftig zurück. „Sind wir bann um ein Haar
brctt bcffcr daran? Wcrden unserc Verhältniffe
durch den Titcl geordnetcr, wirb unsere WLsche voll-
zähliger, odcr die Micthe für dicsc, für unstre
Verhältniffc viel zu kostbare Wohnung gedeckt?
Zch begreife ntcht, wie Dtch der Hochmuth, dcr
Ehrgeiz so verblenben können, Mann, wir lcdcn
doch wahrlich in Allcm nur nach außcn hin. AllcS
tst Schein, alles muß der Wclt wegen so oder so
sein und dabei ist für uns von keincm wahren
Glücke die Rcde. Jm Gegentheil, im Hause ist
Lberall nur Noth und Sorgc!"

„Das versteht Jhr Frauen nicht, Liebchen", sucht
fic dcr Mann zu beruhigen. „Freilich ist in der
Weit der Schcin AlleS. Nur immcr den Schein
gcrettet. Wer nichts zu sein fcheint, wird auch
nichtS, «kr iitchtS zu haben scheint, bleibt-."

Die Frau schüttelt schmerzllch das Haupt unb hört
die weise Rcde ntcht zu Ende. Sie bctritt das
Scklafzimmer der Kinder, die da ffo friedlich
schlummcrn, nicht ahnend, wie bang das Mutter-
herz threr Zukunft denkt.

„Es schien doch, als ob Aemand herauf kämc",
murmelt der alte Mann, der vor einem wurm-
sttchigen Tische in dünnem sadenscheinigen Schlasrock
eifrig mit dem Ordnen vieler Paptere beschästigt
scheint. Er horcht Lngstlich, schleicht auf den ab-
gctrctcnen Pantoffeln schlurrend an dte Thür und
untersucht Schloß und Riegel dcrstlben. „Ah, drüben
ist'S noch laut, da tst wohl wicdcr grvßer Schmaus;
hm, hm! wird ein Ende mit Schreckcn nehmen,
mit Schreckcn! Der Thor, der! Das nächstemal
geht's nicht unter zchn Proeent, burchaus nicht,
und dann immcr noch höher hinauf, noch höhcr,
Noth bricht Eisen!" Er kichert still por sich hin,
sctzt sich wieder nieder und trommelt finnend mtt
dcn Fingern auf den Tisch. Sein Augc irrt laucrnd
und unstät umher, über sein tief gefurchtcs, hartcS
Angeficht zicht der AuSdruck wechstlnder Gedanken,
 
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