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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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* Politiſche Umſchau.
Dñ Heidelberg, 31. Juli.
ert. Entſendung eines außerordentlichen päpſtlichen
Jubelfeis zur Theilnahme an der Heidelberger
gemag feier hat in Berlin einen ausgezeichneten Eindruck
ö üöhnliott, Man erblickt darin einen neuen Beweis der Ver-
ſchle ichkeit und des Entgegenkommens des Papſtes und
„agt ihn um ſo höher an, als Heidelberg ſeit vielen Jahr-
natiane einen ausgeprägten proteſtantiſchen und deutſch-
monalen Charakter trägt und viele Lehrer der Univerſität
war ührer im kirchenpolitiſchen Kampfe der jüngſten Zeit
anſch. Dieſer bemerkenswerthe Schritt des Papſtes ver-
iulchaulicht deutlich die große Wandlung, die ſeit Kurzem
ein en Beziehungen des deutſchen Kaiſerreichs zur Kurie
die zreten iſt, und gibt einen Maßſtab dafür, wie weit
Vehen ländidung zwiſchen den beiden Theilen bereits ge-
ieſes iſt. Auch im Centrum wird man die Bedeutung
neuen Zeichens der Zeit gewiß zu würdigen wiſſen.
ö Ratisei der Wahlſchlacht in Eßlingen⸗Urach hat der
mit zaonalliberalismus einen glänzenden Sieg errungen. Wie
Hetheilt, iſt der nationall. Candidat Dr. Adä mit großer
ö thunneät gewählt worden. Der Retter des Demokraten-
Ind d. der vom Mannh. Anzeiger, von der Frankf. Zig.
Rat von dem dünnſtimmigen Chorus der württemb. Demo-
5 enpreſſe in allen Tonarten angeſungene Poſthalter von
zngen — iſt gründlich durchgefallen und mit
Loniſn. die Siebenmännerpartei, wenn ſie, wie die Bad. L.
ach meint, überhaupt noch fallen konnte.
gehenteten ſind an einen Cabinetswechſel ſo weit-
32 miptde Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen ge-
naft worden, wie an denjenigen, der ſich gegenwärtig in
lisbu land vollzogen hat. Von dem neuen Cabinet Sa-
ury erhofft die Mehrheit des engliſchen Volkes eine feſte
90 itik zur Sicherung der Reichseinheit, befürchten Parnell
8 Genoſſen eine neue Periode der Gewaltherrſchaft für
30 uslod Wie im Innern des Landes, ſo ſind auch im
16 and die Anſchauungen über das neue Cabinet getheilt;
tun offnungen überwiegen aber bei Weitem die Befürch-
eing u. Was jetzt ſchon über die Verſuche Salis bury's,
ref weitere Annäherung an Deutſchland und Oeſter-
der ch⸗Ungarn herbeizuführen, angekündigt wird, mag vor
0 Hand verfrüht erſcheinen. Salisbury's Geſinnung in
Jeſem Punkte iſt nicht nur in England, ſondern auch in
625 ganz Europa bekannt. War er es doch, der im Herbſte
1879 die Nachricht von dem Abſchluſſe des deutſch⸗öſter-
reichiſchen Bündniſſes als eine „große freudenvolle Neuig-
eit“ begrüßte. In Frankreich wird das Cabinet Salis bury
0. zinen Sympathien begegnen, doch fällt das weniger in's
der icht, weil auch unter Gladſtone von einer Annäherung
We beiden Staaten keine Rede mehr war. Dagegen er-
artet man in England einen energiſchen Anſchluß Italiens.
wechnds Stellung zu England wird durch den Cabinets-
da ſel inſofern berührt, als allgemein die Anſicht herrſcht,
ene ein Cabinet Salisbury den ruſſiſchen Aſpirationen
ſelbit icher entgegentreten werde wie ein Cabinet Gladſtone,
ſt mit Lord Roſebery als Leiter des Auswärtigen.


Deutſches Reich.
Karlsruhe, 31. Juli. (Amtlich.) Se. Königl. Hoheit
0 Großherzog haben unterm 26. Juli l. J. den Hof-
W. Dr. Karl Rauch, Profeſſor am Gymnaſium zu
0 ertheim, auf ſein Anſuchen wegen vorgerückten Alters,
nter Anerkennung ſeiner langjährigen, treu geleiſteten
ienſte auf den Schluß des laufenden Schuljahrs in den
Auheſtand verſetzt, den Poſtpraktikanten Hermann Tiehe
on Oelper, Kreis Braunſchweig, unter Vorbehalt ſeiner
taatsangehörigkeit, mit Wirkung vom 1. Auguſt d. Js.
n zum Poſtſekretär ernannt.
0 Karlsruhe, 31. Juli. Prinz Ludwig Wilhelm
bedäßt heute Schloß Mainau, um ſich nach Bayreuth zu
zegeben, und gedenkt dann mit den Höchſten Herrſchaften
Heidelberg für die Jubiläumsfeſte zuſammenzutreffen.
* Berlin, 31. Juli. Der preußiſche Miniſterial-
Urtlaß über die ſittliche Führung der zum einjährigen Mi-
ſtarrdienſt Berechtigten iſt in ſämmtlichen deutſchen Reichs-
Reen eingeführt worden. — Der Stellvertreter des
Dskanzlers verkündete heute die vom Bundesrathe be-

ſchloſſenen Aender ungen der Betriebsordnung für
die Eiſenbahnen Deutſchlands. — Auf Einladung des
Kronprinzen begab ſich der Marquis Tſeng und der
chineſiſche Geſandte Hu⸗Tſching mit vier Secretären,
deutſcherſeits vom Grafen Berchem und dem Geheimen
Legationsrath Lindau begleitet, heute Mittag nach Pots-
dam. — Miniſter Maybach iſt von ſeiner Erholungs-
reiſe aus dem Süden nach Berlin zurückgekehrt und wird
ſich zur weiteren Kräftigung ſeiner Geſundheit in ein See-
bad begeben. — Baron de Courcel iſt vorgeſtern aus
Paris eingetroffen und hat ſchon geſtern die Leitung der
Geſchäfte übernommen. Nach allem, was hier zu erſehen,
ſchweben Verhandlungen über die Perſon ſeines Nach-
folgers. Insbeſondere iſt die übliche Anfrage, ob die Per-
ſönlichkeit des gewählten Nachfolgers genehm, hierher noch
nicht ergangen. — Eine Verordnung des Gouverneurs von
Kamerun führt daſelbſt Reichsmarkrechnung ein; größere
Poſten von Thalerſtücken ſind bereits in Verkehr geſetzt
worden. — Die hieſige Münze prägt ſeit einiger Zeit
wieder Goldſtücke aus; zur Zeit wird der Reſt der Ein-
pfennigſtücke fertig geſtellt, welche laut Beſchluß des Bundes-
rathes vom vorigen Jahre im Betrage von 400,000 Mark
geprägt werden; die Nachfrage nach dieſer Münzſorte an den
öffentlichen Caſſen iſt ſo groß, daß der Betrag faſt
untergebracht iſt.
Mainz. 31. Juli. Der Gouverneur General der In-
fanterie v. Woyna hat heute an höchſter Stelle ſein Ent-
laſſungsgeſuch eingereicht.
München, 31. Juli. Fürſt und Fürſtin Bismarck
ſind ſoeben mit dem fahrplanmäßigen Zuge hier einge-
troffen und auf dem Bahnhof von dem zahlreich anweſen-
den Publikum enthuſiaſtiſch begrüßt worden. Der Reichs-
kanzler ſieht wohl aus nud durchſchritt in kräftiger Hal-
tung grüßend das zahlreich verſammelte Publikum, welches
den Kanzler auch, als er mit dem zum Empfang anwe-
ſenden Baron v. Werthern und Grafen Holnſtein den
Bahnhof in einer Hofequipage verließ, mit Hochrufen
begrüßte.

Oeſterreichiſche Monarchie.
Wien, 31. Juli. Von geſtern bis heute ſind in
Fiume 3 Perſonen an der Cholera erkrankt und 1 ge-
ſtorben, in Fanona (Iſtrien) 7 Perſonen erkrankt und 2
geſtorben.
Wien, 31. Juli. Großes Aufſehen erregt die ſcharf e
Sprache der heutigen Leitartikel der ungariſchen National-
blätter über die Edelsheim Janski⸗Angelegenheit.
„Nemzet“ und „Peſter Lloyd“ fordern Genugthuung für
die Verletzung des Nationalgefühls, betonen aber überein-
ſtimmend, daß Volksagitationen in Verſammlungen die
Löſung erſchweren und das Mißtrauen vermehren würden.
Tisza ſei nicht unempfänglich für die Bedingungen der
nationalen Ehre. Das Cabinet werde lieber ſeine Ent-
laſſung geben, als auf eine angemeſſene Genugthuung ver-
zichten. Die Sprache der maghariſchen radicalen Blätter
iſt völlig maßlos. — Der Handelsminiſter v. Bacquehm
iſt nach Elliſchau zu einem zweitägigen Aufenthalte bei
Taaffe abgereiſt.
Gaſtein, 31. Juli. Der Kaiſer machte heute Vor-
mittag keine Ausfahrt. Zur Tafel geladen waren: der
ungariſche Juſtizminiſter Fabry v. Bartha⸗Uifalu und
Graf Wolkenſtein⸗Troſtburg. — Die Kaiſerin von
Oeſterreich traf mit Gefolge hier um 7 Uhr 45 Minuten
ein und fuhr direkt zum Badeſchloſſe, um dem Kaiſer Wil-
helm einen Beſuch abzuſtatten. Vor dem Badeſchloſſe waren
die Curgäſte zur Begrüßung verſammelt. Der Beſuch
der Kaiſerin bei Kaiſer Wilhelm dauerte eine halbe Stunde.
Dann fuhr die Kaiſerin unter den Hochrufen der Menge
nach der Villa Meran, wo ſie Wohnung genommen hat.
Budapeſt, 31. Juli. Nach einer Meldung aus
Agram iſt die Cho lera bereits in das Innere Kroa-
tiens verſchleppt. Im Dorfe Podkilovac erkrankten 6, in
Jelenje und Luketi je eine Perſon an der Cholera. Maß-
regeln gegen die weitere Verbreitung wurden noch im
Laufe dieſer Nacht getroffen.
Ausland.

Paris, 31. Juli. Heute empfing Freichuet Cogordan,
welcher den Vertrag mit Korea überreichte, der hier ver-

breiteten Gerüchten entgegen, bedeutende Verbeſſerungen in
Bezug auf die Sicherheit der franzöſiſchen Unterthanen und
Miſſionare enthalten ſoll. — Der päpſtliche Nuntius
hatte heute über die Beziehungen zu China eine längere

Beſprechung mit Freycinet. Die Verhandlungen zwiſchen
Frankreich und dem Vatikan dauern fort und man hofft
hier, daß ſie günſtig für die Intereſſen Frankreichs enden
werden. Während der Abweſenheit Freycinets
werden die Directoren Francois Charmes und Clavery die
Geſchäfte führen. — Freycinet reiſt Morgen mit Familie
nach Mont⸗ſous⸗Vaudrey für 3 Tage ab.
Amſterdam, 31. Juli. Die für Sonntag von der
Amſterdamer Abtheilung der Soeialiſtenliga angekündigte
Volksverſammlung iſt unterſagt worden.
Petersburg, 31. Juli. Erzherzog Karl Ludwig
und Gemahlin ſind heute um 5½ Nachmittags in Peter-
hof eingetroffen.
Madrid, 31. Juli. Dem Vernehmen nach hat der
Finanzminiſter Camacho dem Miniſterpräſidenten
Sagaſta ſchriftlich mitgetheilt, ſein Amt ſofort nieder-
zulegen. Die Rente fiel um 50 Centimes. Der Im-
parcial will wiſſen, die Kriſis ſei ſeit Beginn des geſtrigen
Cabinetsrathes ausgebrochen. Camacho ſei nicht im Rathe
erſchienen, ſondern habe geſchrieben, er ſei krank und ſeine
Collegen könnten beſſer in ſeiner Abweſenheit berathen.
Während des Cabinetsrathes verließ Camacho das Mini-
ſterium und ging nach Hauſe. Miniſterpräſident Sagaſta
fühlte ſich gegen Mitternacht krank und ſchickte nach Aerzten.

* Das Univerſitäts⸗Jubiläum.
Heidelberg, 2. Aug.
Der Kronprinz des deutſchen Reiches trifft
bergein den 3. Auguſt, früh nach 8 Uhr in Heidel-
erg ein.

*
R. Es iſt ein farbenprächtiges, ſinnberückendes Bild, das
die Jubelſtadt im prunkenden Feſtkleide bietet. Altheidelberg
hat ſeinen Ruf, die Feine zu ſein, gewahrt und begeiſterter denn
je wird in den Jubeltagen der Hymnus des unvergeßlichen
Sängers erſchallen Altheidelberg du feine, du Stadt an Ehren
reich! Reich geſchmückt, ſtrahlend im Feſtesglanze, ſo bietet es
ſich den frohen Feſtgenoſſen dar, welche erwartungsvoll und
frohen Sinnes an den Neckarſtrand eilen.
Verlohnend und verlockend iſt ein Gang durch die feſtlich ge-
ſchmückten Straßen. Zahllos ſind die luſtig im Winde ſpielenden
Flaggen und Wimpel, prächtig und geſchmackvoll iſt die Dekora-
tion der guirlandenbehangenen Häuſer und nicht zum wenigſten
feſſelt die auf⸗ und abwogende Menge, in deren fröhlichen Ge-
ſichtern ſich die Feſtfreude wiederſpiegelt. Ein ganz beſonders
reges Leben, das ungefähr einen Vorgeſchmack von dem Kom-
menden bot, entfaltete ſich bereits geſtern auf dem Bahnhofplatze,
namentlich in der Umgebung der Empfangshalle. Auch in der
Halle ſelbſt ging es ſchon lebhaft her. Doch das nur nebenher.
Unſere Abſicht iſt es, ein zuſammenhängendes Bild der hervor-
ragendſten feſtlichen Vorbereitungen und Arbeiten dekorativer
und baulicher Natur zu geben, von denen wir bisher nur im
Einzelnen geſprochen.
Nicht allein eine Hauptzierde des von Feſtzugstribünen völlig.
umrahmten Bismarkplatzes, ſondern auch ein in ſeiner Eigenart
reizvolles und ſchmuckes Bauwerk iſt der Für ſten pavillon ge-
worden. Mit einfacher, aber gediegener Eleganz ausgeſtattet,
wird er den höchſten Herrſchaften während des Feſtzuges einen
würdigen Aufenthalt gewähren. Der Pavillon enthält einen
Innenraum und eine größere Eſtrade. Letztere iſt mit einem
Zeltdach überſpannt und von einer Balluſtrade umgrenzt, die ſich
durch ihre dunkle Draperie wirkſam abhebt. Eine ſchön gewölbte
Kuppel, die an ihrer vorderen Seite ein weithin ſichtbares ba-
diſches Wappen und andere Embleme trägt, krönt den Bau.
Reicher Flaggen-, Guirlanden⸗ und Blumenſchmuck vollendet die
Dekoration. — Von unbeſchreiblich maleriſchem Reiz iſt der
Anblick der Stadt, den man von einer der Neckarbrücken
oder von der Neuenheimer Seite her genießt. Dem Beſchauer
erſcheinen von hieraus die Reize feſtlicher Ausſchmückung, welche
er inmitten der Straßen nur einzeln wahrnimmt, gleichſam zu
einem Bonuguet vereinigt. Das Auge ſchaut auf einen Wald
von Fahnen von außerordentlicher coloriſtiſcher Mannigfaltigkeit,
der ſich faſt ohne Unterbrechung zwiſchen den Neckarbrücken hin-
zieht. Am Eiugange der neuen Neckarbrücke befinden ſich zwei
coloſſale Fahnenmaſten, der eine eine deutſche Flagge, deutſches
Wappen mit Kaiſerkrone, der andere eine badiſche Flagge, ba-
diſches Wappen und Krone tragend.
Wir wenden uns hierauf der Feſthalle zu, deren Rieſenbau
in greifbarer Weiſe die Großartigkeit der Jubelfeier veranſchau-
licht. Von der Uferſtraße aus, wo man nur die im Sonnen-
ſcheinfunkelnde und flimmernde Façade ſieht, und der einförmige
Rieſenleib verdeckt iſt, glaubt man einen Feenpalaſt zu erblicken.
Die Favade iſt in der That in architektoniſcher als ornamentaler
Beziehung von großer Schönheit. Wir haben dieſelbe in ihren
Einzelheiten ſchon ſo oft und eingehend beſprochen, daß wir auf

weitere Schilderungen nach dieſer Richtung hin verzichten wollen
—ñxę

Im letzten Augenblicke.
Kriminal⸗Novelle von Eric d' Os car.
(Fortſetzung.)
65 Der Doctor Henric wurde verhaftet und verhört, aber
kam dabei nichts heraus, was nicht ſchon bekannt ge-
eſen wäre.
n Die Richter bezweifelten nicht, daß der Beſchuldigte,
enn eine formelle Anklage gegen ihn erhoben würde, un-
ö ſehlbar freigeſprochen werden müſſe. Viele Leute meinten
.degen, er würde für ſchuldig erklärt werden. Aber dieſe
wöle Meinung ſtützte ſich lediglich auf das allgemeine Uebel-
mollen gegen den Beſchuldigten, während die Anſicht der
plichter ſich auf das unfruchtbare Verhör des Doctor Henric
d auf die Ueberzeugung gründete, daß es für eine Ver-
urtheilung an den nöthigen Beweiſen mangele.
Aber die Juſtiz glaubte der öffentlichen Meinung Rech-
ſung tragen zu müſſen und die Sache zur richterlichen Ent-
eidung zu bringen. Auch blieb ja nicht die Möglichkeit
Msgeſchloſſen, daß im Laufe des Prozeſſes ſich gegen den
Ungeklagten die noch fehlenden Belaſtungsmomente ganz
zon ſelbſt ergeben würden. Es gibt ja viele Beiſpiele,
gaß ein Angeklagter, dem man bisher nichts hatte beweiſen
unnen, vor den Schranken des Gerichts ſich in Wider-
Trüche verwickelte, die zur vollſtändigen Offenbarung ſeiner
Schuld führten.
Der Prozeß wurde ſomit inſtruirt und kam zur Ver-
andlung vor die Geſchworenen.
III.
Der Präſident des Gerichtshofes von Delle war einer

von jenen Männern, die durch hohe Rechtſchaffenheit und
ſcharfen Verſtand ſich auszeichnen. Seine Meinung hatte
daher ein großes Gewicht; Richter und Geſchworene ließen
ſich von ihm leiten.
Er hatte der Unterſuchung dieſer wichtigen Sache viel
Aufmerkſamkeit gewidmet und aus derſelben die Ueber-
zeugung gewonnen, daß der Angeklagte, er möge wirklich
ſchuldig ſein oder nicht, nach der Lage der Dinge freige-
ſprochen werden müſſe. Er glaubte daher der Gerechtigkeit
einen Dienſt zu erweiſen, indem er vor Beginn der Ver-
handlung an die Jury eine Rede hielt, in welcher er ſeine
Anſicht von der Sache darlegte und mit den Worten ſchloß:
„Daher, meine Herren, rathe ich Ihnen, die Anklage
zu verwerfen. Bedenken Sie doch, daß — wenn ſchon
nicht das Leben, die Ehre eines Mannes auf dem Spiele
ſteht, und das will hier, gerade hier, daſſelbe ſagen! Die
Ehre eines allgemein geachteten Arztes iſt deſſen Leben!
Bedenken Sie ferner, daß — ſollte er wirklich ſchuldig
ſein, dermaleinſt wirkliche Beweiſe gegen den Angeklagten
vorgebracht werden könnten. Sollten Sie aber dem heuti-
gen Prozeſſe freien Lauf laſſen, ſo muß für immer die
Freiſprechung erfolgen. Sie werden die Anklage verwerfen,
meine Herren, um ſo eher, als es ja doch zu jeder be-
liebigen Zeit nur von Ihnen abhängt, den Beſchuldigten
von Neuem in Anklageſtand zu verſetzen und das Verbrechen
zu beſtrafen.“
Das Anſehen des Präſidenten konnte diesmal den Sieg
über die Voreingenommenheit der Geſchworenen nicht davon-

tragen. Nach einer ziemlich ſtürmiſchen Berathung ent-
ſchieden ſie ſich dahin, daß der Prozeß ſeinen Verlauf

nehme und die Vernehmungen beginnen ſollten. Nun aber
forderte der Staatsprocurator, der die Meinungen des
Präfidenten vollkommen theilte, den Gerichtshof auf, die
Verhandlung zu vertagen, weil die Unterſuchung noch nicht
vollſtändig geſchloſſen ſei und die Beibringung von Be-
weiſen noch einige Monate Zeit erfordere.
Dieſem Verlangen widerſetzte ſich der Vertheidiger des
Angeſchuldigten mit Heftigkeit.
„Sie hätten ſich“, rief er dem Staatsprocurator zu,
„mit Beweiſen verſehen ſollen, ehe ſie bei Gericht die Ver-
handlung des Prozeſſes beantragten! Die Verſchiebung der
Verhandlung würde meinem Clienten eine lange, ungerecht-
fertigte Unterſuchungshaft bringen, und da die Anklage nicht
derart iſt, daß der Angeſchuldigte gegen Caution auf freien
Fuß geſtellt werden kann, ſo würde ihn ſchon vorher, er
mag ſchuldig ſein oder unſchuldig, eine ſchwere Strafe
treffen. Ich verlange daher die Eröffnung der Verhand-
lung!“
Die Gründe des Vertheidigers waren unwiderlegbar,
und ſo verweigerte denn der Präſident die Vertagung der
Sache. Niemand zweifelte jetzt mehr daran, daß der An-
geklagte freigeſprochen würde; denn es leuchtete ein, daß
der Staatsprocurator die Hinausſchiebung der Verhandlung
nur verlangt habe, weil es ihm an geſetzlichen Beweiſen fehlte.
Aber die Ungewißheit, daß die Geſchworenen durch die
öffentliche Meinung ſich beſtimmen laſſen würden, trotz der
mangelnden Beweiſe ein verurtheilendes Verdict abzugeben,
ſteigerte das Intereſſe, welches Jedermann an der Sache

nahm, auf den höchſten Grad.
(Fortſ. folgt.)
 
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