Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 8./9.1926/27
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0073
DOI Heft:
1/2. Oktoberheft
DOI Artikel:Graff, Hans: Die Ettaler Klosterkirche und der Berliner Dom
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W/ ährend die ehrwürdigen Dome des Mittelalters,
* v man denke nur an Bamberg und Naumburg, den
Stolz der alten deutschcn Städte bilden und von dem
Können und starken Glauben, wie Lebensgefühl ver-
gangener Jahrhunderte beredtes Zeugnis ablegen, ist
der Berliner Dom eines der verfehltesten Baudenkmäler
der Reichshauptstadt. Sein Schöpfer, Raschdorff, hat
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kannt ist: Das Vorbild des Berliner Doms ist die Ettaler
Klosterkirche. Dieser königliche Bau, der von zwei
Türmen flankiert wird, befindet sich an der einen Seite
eines in der Mitte offenen Vierecks von Gebäuden und
dieses Viereck trägt die Wirkung der gewaltigen Kuppel
auf’s glücklichste. Raschdorff nahm die Kuppel heraus.
und übersah die tragende Wirkung des Vierecks. So
zwei Kardinalfehler begangen. Einmal is.t das propor-
tionale Verhältnis zwischen der 77 m hohen Zentral-
kuppel zu den vier Türmen, die sie umgeben, vollstän-
dig verfehlt, weil sie durch die Kuppel vollständig er-
drückt werden, fernerhin war es etwas ungeheuerliches,
dieses „zerklüftete Riesenbauwerk“ wie es Max Osborn
in seinem Buche „Berlin“ nennt, in die vornehme Um-
gebung des Berliner Schlosses zu setzen und den feinen
fast zierlichen Geist des Schlüters.chen Baus zu er-
driicken. Auf Schloß und Museum lastet die Domkuppel
fast atemraubend. Das Mittelalter hätte nie derartige
Versündigungen, um nicht zu sagen, Stil- und Taktlosig-
keiten gegen die Umgebung eines Baues begangen, wie
sie leider so häufig moderne Architekten und Künstler
begehen.
Interessant ist es zu untersuchen, worauf diese
Feliler zurückzuführen sind. Was nicht allgemein be-
erdrückt die Berliner Kuppel niclit nur ihre Seitentiirme,
sondem die gesamte Gegend. Es ist chrakteristisch,
daß der frühere Berliner Dom, der 1750—1894 dastand,
auf einem langgestreckten Reckteck ruhte und seine
1820—21 von Schinkel aufgefügten kleinen Kuppeln in
einem durchaus harmonischen Verhältnis zu der Eiaupt-
kuppel standen, wie das noch heute bei der Ettaler
Klosterkirche der Fall ist. Möge in einem wiederaufge-
blühten Deutschland den Berlinern ein neuer wahrhafter
Dom erstehen in Schlüter’s Geist!
Auch in Ettal hat man vor einiger Zeit in architek-
tonischer Hinsicht eine grobe kunsthistorische Sünde
begangen. Dem Kloster gegenüber steht an der Straße
nach Oberau ein uraltes Haus aus den Anfängen des
Mittclalters, der Klostergasthof, in dem Klosterbräu und
Ettaler Klosterlikör noch heute von den Ettaler Mön-
chen gebraut, ausgeschenkt werden. Dieses alte Haus
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W/ ährend die ehrwürdigen Dome des Mittelalters,
* v man denke nur an Bamberg und Naumburg, den
Stolz der alten deutschcn Städte bilden und von dem
Können und starken Glauben, wie Lebensgefühl ver-
gangener Jahrhunderte beredtes Zeugnis ablegen, ist
der Berliner Dom eines der verfehltesten Baudenkmäler
der Reichshauptstadt. Sein Schöpfer, Raschdorff, hat
Gt aff
kannt ist: Das Vorbild des Berliner Doms ist die Ettaler
Klosterkirche. Dieser königliche Bau, der von zwei
Türmen flankiert wird, befindet sich an der einen Seite
eines in der Mitte offenen Vierecks von Gebäuden und
dieses Viereck trägt die Wirkung der gewaltigen Kuppel
auf’s glücklichste. Raschdorff nahm die Kuppel heraus.
und übersah die tragende Wirkung des Vierecks. So
zwei Kardinalfehler begangen. Einmal is.t das propor-
tionale Verhältnis zwischen der 77 m hohen Zentral-
kuppel zu den vier Türmen, die sie umgeben, vollstän-
dig verfehlt, weil sie durch die Kuppel vollständig er-
drückt werden, fernerhin war es etwas ungeheuerliches,
dieses „zerklüftete Riesenbauwerk“ wie es Max Osborn
in seinem Buche „Berlin“ nennt, in die vornehme Um-
gebung des Berliner Schlosses zu setzen und den feinen
fast zierlichen Geist des Schlüters.chen Baus zu er-
driicken. Auf Schloß und Museum lastet die Domkuppel
fast atemraubend. Das Mittelalter hätte nie derartige
Versündigungen, um nicht zu sagen, Stil- und Taktlosig-
keiten gegen die Umgebung eines Baues begangen, wie
sie leider so häufig moderne Architekten und Künstler
begehen.
Interessant ist es zu untersuchen, worauf diese
Feliler zurückzuführen sind. Was nicht allgemein be-
erdrückt die Berliner Kuppel niclit nur ihre Seitentiirme,
sondem die gesamte Gegend. Es ist chrakteristisch,
daß der frühere Berliner Dom, der 1750—1894 dastand,
auf einem langgestreckten Reckteck ruhte und seine
1820—21 von Schinkel aufgefügten kleinen Kuppeln in
einem durchaus harmonischen Verhältnis zu der Eiaupt-
kuppel standen, wie das noch heute bei der Ettaler
Klosterkirche der Fall ist. Möge in einem wiederaufge-
blühten Deutschland den Berlinern ein neuer wahrhafter
Dom erstehen in Schlüter’s Geist!
Auch in Ettal hat man vor einiger Zeit in architek-
tonischer Hinsicht eine grobe kunsthistorische Sünde
begangen. Dem Kloster gegenüber steht an der Straße
nach Oberau ein uraltes Haus aus den Anfängen des
Mittclalters, der Klostergasthof, in dem Klosterbräu und
Ettaler Klosterlikör noch heute von den Ettaler Mön-
chen gebraut, ausgeschenkt werden. Dieses alte Haus
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