Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 8./9.1926/27
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0105
DOI issue:
1/2. Novemberheft
DOI article:Voss, Hermann: Ein unbekanntes Frühwerk Correggios
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0105
Daß Correggio, nachdem er sich von Mantegna und
den emiliani&chen Zeitgenossen mit Bewußtsein losge-
löst hatte, in verhältnismäßig kurzer Zeit ein anderer
wurde und die Episode der Jugendwerke als eine über-
wundene Phase hinter siclr ließ, soll nicht bestritten
werden. ATlein keine geringere Schöpfung als eben die
Madonna di S. Francesco steht gleich einer Mittlerin
zwischen der ersten und zweiten Hälfte des, zweiten
Jahrzehnts; sie faßt in monumentaler Form die Ergeb-
nisse des Frühschaffens zusammen, oricntiert aber den
wegen der ganz außerordentlichen zur Diskussion
stehenden künst'lerischen Qualitäten von brennender,
allgemeinster Aktualität war.
Auch das neue Werk, das, heute dem correggesken
Jugendoeuvre eingegliedert werden soll, ist, von der
Frage der Zuschreibung zunächst einmal abgesehen, die
Schöpfung eines M e i s t e r s. Daß es so lange über-
sehen werden konnte, mag zu einem Teil an seinem ver-
hältnismäßig abgelcgenen Aufbewahrungsort liegen,
zum anderen an dem ungünstigen jetzigen Erhaltungs-
A.bb. 1: Correggio,
Madonna mit Kind
Schloß Hellbrunn bei
Salzburg
Blick nach neuen Zielen. Dem, der von der Höhe der
reifen Schöpfungen aus auf die Anfänge zurückschaut,
wird sehr augenfällig, wie früh schon Tendenzen in
ihnen im Keime erkennbar werden, die erst wesentlich
später und mit vollentwickelten Mitteln entscheidende
Bedeutung erlangen. Ueberhaupt läßt sich von der Ju-
gendphase Correggios sagen, daß je mehr sie in der Be-
sonderheit ihrer Orientierung erkannt wird, umso stär-
ker ihre durchaus eigentümliche kiinstlerische Bedeut-
samkeit, ihr kaum zu überschätzender aesthetischer
Eigenwert zur Geltung kommt. Es ist vielleicht der
schwerste von O. Hagen begangene Fehler, den Funken
des Genies in Correggios Frühwerken nicht begriffen
zu haben, nicht inne geworden zu sein, daß h'ier keine
kunsthistorische Doktorfrage von rein akademischer
Tragweite vorlag, sondern ein Problem, dessen Fösung
zustand. Die 65 cm hohe, 54 cm breite Tafel hat in ilirer
Oberfläche erheblich gelitten; ein Teil der Fasuren,
namentlich in den Fleischteilen der Madonna und des
Kindes, ist abgerieben, so daß die Modellierung an wich-
tigen Stellen nur schwach erkennbar is.t. Trotzdem ist
die Erhaltung wesentlich besser als unsere Abbil-
dung annehmen läßt; da man den Wert des Gemäldes als
unerheblich ansah, wurde seine Toilette begreiflicher-
weise etwas vernachläßigt, und so mußte auch die Photo-
graphie unbefriedigender ausfallen als an und für sich
nötig gewesen wäre. Erst eine nach erfolgter vorsich-
tiger Reinigung und unter günstigeren Umständen ge-
machte Aufnahme kann der künstlerischen Bedeutung
des Gemäldes vollkommen gerecht werden.
Das Bild zeigt in halber Figur die Madonna, die in
reinem Profil nach rechts abwärts blickt, das Kind auf
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den emiliani&chen Zeitgenossen mit Bewußtsein losge-
löst hatte, in verhältnismäßig kurzer Zeit ein anderer
wurde und die Episode der Jugendwerke als eine über-
wundene Phase hinter siclr ließ, soll nicht bestritten
werden. ATlein keine geringere Schöpfung als eben die
Madonna di S. Francesco steht gleich einer Mittlerin
zwischen der ersten und zweiten Hälfte des, zweiten
Jahrzehnts; sie faßt in monumentaler Form die Ergeb-
nisse des Frühschaffens zusammen, oricntiert aber den
wegen der ganz außerordentlichen zur Diskussion
stehenden künst'lerischen Qualitäten von brennender,
allgemeinster Aktualität war.
Auch das neue Werk, das, heute dem correggesken
Jugendoeuvre eingegliedert werden soll, ist, von der
Frage der Zuschreibung zunächst einmal abgesehen, die
Schöpfung eines M e i s t e r s. Daß es so lange über-
sehen werden konnte, mag zu einem Teil an seinem ver-
hältnismäßig abgelcgenen Aufbewahrungsort liegen,
zum anderen an dem ungünstigen jetzigen Erhaltungs-
A.bb. 1: Correggio,
Madonna mit Kind
Schloß Hellbrunn bei
Salzburg
Blick nach neuen Zielen. Dem, der von der Höhe der
reifen Schöpfungen aus auf die Anfänge zurückschaut,
wird sehr augenfällig, wie früh schon Tendenzen in
ihnen im Keime erkennbar werden, die erst wesentlich
später und mit vollentwickelten Mitteln entscheidende
Bedeutung erlangen. Ueberhaupt läßt sich von der Ju-
gendphase Correggios sagen, daß je mehr sie in der Be-
sonderheit ihrer Orientierung erkannt wird, umso stär-
ker ihre durchaus eigentümliche kiinstlerische Bedeut-
samkeit, ihr kaum zu überschätzender aesthetischer
Eigenwert zur Geltung kommt. Es ist vielleicht der
schwerste von O. Hagen begangene Fehler, den Funken
des Genies in Correggios Frühwerken nicht begriffen
zu haben, nicht inne geworden zu sein, daß h'ier keine
kunsthistorische Doktorfrage von rein akademischer
Tragweite vorlag, sondern ein Problem, dessen Fösung
zustand. Die 65 cm hohe, 54 cm breite Tafel hat in ilirer
Oberfläche erheblich gelitten; ein Teil der Fasuren,
namentlich in den Fleischteilen der Madonna und des
Kindes, ist abgerieben, so daß die Modellierung an wich-
tigen Stellen nur schwach erkennbar is.t. Trotzdem ist
die Erhaltung wesentlich besser als unsere Abbil-
dung annehmen läßt; da man den Wert des Gemäldes als
unerheblich ansah, wurde seine Toilette begreiflicher-
weise etwas vernachläßigt, und so mußte auch die Photo-
graphie unbefriedigender ausfallen als an und für sich
nötig gewesen wäre. Erst eine nach erfolgter vorsich-
tiger Reinigung und unter günstigeren Umständen ge-
machte Aufnahme kann der künstlerischen Bedeutung
des Gemäldes vollkommen gerecht werden.
Das Bild zeigt in halber Figur die Madonna, die in
reinem Profil nach rechts abwärts blickt, das Kind auf
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