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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

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1./2. Märzheft
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Debrunner, Hugo: Ein Jugendwerk Rembrandts in Brüssel
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0299

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im harten, gedrungenen Kinn, in den Wangen und im
Kopftuch), oder in den in ähnlich scharfen und herben
Umrissen eingegrabenen Gesichtszügen des Königs in
dem Frühgemälde „Saul empfängt David mit dem
Haupte Goliaths“. Die Partie der Nasenwurzel sowohl
in ihrer formalen Unsicherheit wie in ihrer physiognomi-
schen Eigenart und die Behandlung der Augen haben
starke Analogien zu der „Betenden Mutter“ (Abb. in
Valentiner: Rembrandt, Wiedergefundene Gemälde,
Seite 10). Der Mund, bei aller Schärfe der Zeichnung,
ist in seiner geistigen Ausdruckskraft sehr individuell,
schlicht, gütig und selbstlos. Der herbe Schnitt der Lip-
pen erinnert sogar in seinem etwas asketischen Aus-
druck an das Bildnis eines Kapuziners in der National-
galerie in London. Die Modellierung der Stirn ist eben-
falls sehr Rembrandtesk. In manchen Zeichnungen
todesstarr visionärer Antlitze finden sich auch ähnliche
Ausdrucksmomente der Haltung. In dem explosiven
„Christus und die Jünger in Emmaus“ bei Andre-Jacque-
mart in Paris ist dieselbe gleichfalls ähnlich eigentümlich
in die Ferne gerichtet, wenn auch da modifiziert. Viel-
leicht darf man auch auf Gemälde wie die „Grablegung
Christi“ in München oder die „Auferweckung des Laza-
rus“, die Rembrandt überzeugender als jeder andere hol-
lnädische Künstler in eine düstere Grabeskammer ver-
legt, hinweisen; denn wie in diesen und vielen andern
Rembrandtgemälden das Licht ringsum von einem fast
unterirdischen Dunkel ummauert wird, so liegt auch über
dem Brüsseler Bild der Ernst, die Stille und zugleich
etwas von der bedrückenden Enge einer dem Tageslicht
entzogenen Gruft.

Daß der junge Rembrandt, im Drang nach einer mög-
lichst tiefschürfenden und unmittelbaren Wirklichkeits-
erfassung mitunter auch hier stellenweise recht derb und
in der Pinselführung manchmal unruhig und hart werden
kann, enthält für unsere Beurteilung seit der vermehr-
ten Kenntnis sehr früher Werke nlchts sonderlich Beun-
ruhige'ndes mehr. Es überwiegt aber in der Technik
eine bemerkenswerte Reife und bewußt beherrschte
Eigenart. So beachte man etwa die merkwürdige
sichere Strichführung des Pinsels im Kopftuch. Sie ist
von beinahe metallischer Härte und voll jener zähen
Elastizität, die in andern Frühwerken, etwa in der in
England von Ascher und Welcker entdeckten „Waffen-
belehnung Davids durch Saul“ (jetzt im Museum zu
Utrecht als Leihgabe ausgestellt) als solide, fast an
Goldschmiedearbeit erinnernde, kernige, reliefartige
Technik zur Geltung kommt.

Trotz mancher realistischer und malerisch noch sehr
unfreier Züge erscheint alles einer urwüchsigen geisti-
gen Kraftquelle und einem tiefen religiösen Glaubens-
gefühl zu entsprießen. Die Gestalt am Kreuz im Hinter-
grund links ist zart und sehr edel durchgebildet; ihr gei-
stiges Wesen wirkt, unmerklich aus dem Dunkel hervor-
tauchend, schlicht und docli auch geheimnisverkündend.
In den Perlen des Kranzes auf der Dccke aber liegt be-
reits jenes stille Leuchten und um sic ist jene Stinunung
still verklärtcr Seligkeit gebreitct, die in späteren Bil-

dern, etwa in dem festlich gestimmten Saskiabild im
Berliner Museum, in größerer Kraft und Weite sehr oft
wiederkehren.

In der breit und unperspektivisch querüber gelager-
ten Decke glauben wir ebenfalls ein für Rembrandt
charakteristisches Motiv zu sehen. Diese Art, ein Bild
nach vorn abzuschließen, kehrt bei ihm ähnlich öfters
wieder, so in der Lage der Bücher im ersten großen Pau-
lusbild, in der Anatomie von 1632 in der entsprechenden
Lage der Leiche oder noch später in der ebenfalls unper-
spektivisch gelagerten Decke auf dem beriihmten Alters-
bild „Jakobs Segen“ in Kassel. Die Koloristik ihrerseits
steht jener Gruppe von Jugendwerken nahe, die Bode
die „grünen Rembrandts“ genannt hat. Grüne und
braune Töne sind im ganzen vorwiegend. Die Gesichts-
farbe geht leicht ins Gelbliche.

Die physiognomische Gharakterisierung, Technik
und kompositionelle Eigenart weisen also in gewichtigen
Momenten vereint auf eine Urheberschaft durch Rem-
brandt hin.

Aber noch keineswegs ist damit die eigentliche Rät-
selseite des Bildes, seine religiöse Sonderart, beleuchtet
und erklärt, sie, die aller äußeren Anklänge zum Trotz
so entscheidend wider den im ausgesprochen calvinisti-
schen Holland herangewachsenen Rembrandt zu zeugen
scheint. Muß das Bild der „Toten Frau“, in welchem
Rosenkranz und Kruzifix eine keineswegs nebensäch-
liche Rolle spielen, nicht katholischen Ursprungs sein?
So werden schon jene gedacht und empfunden haben, die
ursprünglich das Totenporträt der flämischen Schule
anzugliedern suchten. Auch wir glauben in der Tat kei-
neswegs, daß es tunlich sei, leichthin über dieses Argu-
ment hinwegzugehen. Denn die beiden ausgesprochen
katholischen Glaubenssymbole bestimmen zu entschei-
dend die religiöse und damit auch die künstlerische Stim-
mung der Komposition.

Kruzifix und Gebetskranz, statt Rembrandts Autor-
schaft zu widerlegen, sind nun aber gerade erneut geeig-
net, dafür sprechendes Zeugnis abzulegen. Sie sind näm-
lich sehr merkwürdigerweise in der Rembrandtschule
gar nichts so Ungewöhnliches, wie man dies denken
könnte. Der Meister selbst hat sogar zeitlebens in sei-
nem Schaffen immer wieder auf katholische Dar§tellun-
gen und indirekt auch auf den Kultschatz katholisch-
christlichen Vorstellungslebens zurückgegriffen, in der
Darstellung von Heiligen Familien, in Radierungen und
Gemälden des hl. Hieronymus, des hl. Franziskus mit
dem Kreuz in den faltenden Händen, und, im späteren
Alter, auch in Porträts und freien Bildnissen von einzel-
nen Mönchen und Nonnen. Auf einer „alten Kopie“ eines
Hieronymusbildes nach einem angeblich um 1630 ent-
standenen Original im Suerinondt-Museum zu Aachen.
sind Rosenkranz und Kruzifix sogar fast aufdringlich in
grelles Licht gestellt (Valentiner: Rembrandt, 3. Aufl-,
Seite 518). Wenn wir aticli bezweifeln dürfen, hierin eine
treue Wiedergabe eines wirklichen Rembrandt-Origi-
uals zu selien, so kelirt dieses Motiv bei seinen frühesten
Schülern, vor allem bei dem intimsten unter ihnen, bei

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