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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

DOI issue:
1./2. Aprilheft
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Verres, Rudolf: Eine thronende Mutter Gottes aus der Frühzeit der gotischen Plastik Kölns
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0361

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Die sitzenden kölnischen Madonnen, die allesamt
etwa im zweiten Yiertel des 14. Jarhunderts entstanden
sind, überwiegen an Zahl ganz erheblich gegenüber den
stehenden kölnischen Madonnen des gleichen Zeitraums.
Diese Tatsache ist im Zeitalter der vollen Gotik auf-
fallend. Man hat sie zu erklären versucht, indem man
hypothetisch ein (verschollenes) Gnadenbild den ganzen
Exemplaren zugrunde gelegt hat. Die Möglichkeit, daß
tatsächlich ein solches Gnadenbild existiert hat (sei es
auf französischem oder niederländischem, sei es auf
deutschem Boden und speziell etwa in der Kölner Ge-
gend), braucht nicht ausgeschlossen zu sein. Der Frage
muß in anderem, größerem Zusammenhange nachgegan-
gen werden. Wichtig ist jedenfalls eine konkrete Tat-
sache, der man bisher noch nicht genügend Bedeutung
beigelegt hat: auf zahlreichen frühgotischen Siegeln der
Cistercienser und Prämonstratenser erscheint Maria auf
einer Thronbank sitzend. Das Kind steht auf einem
Stiick ihres Mantels, das die Bank bedeckt.8) Maria
pflegt dort in der rechten Hand einen blühenden Rosen-
zweig zu halten, wie ihn in der Plastik die bekannte
Silbermadonna von Roncevaux (Navarra) in Spanien
hält.9) Es ist anzunehmen, daß zwischen solchen Sie-
geln und den plastischen Darstellungen entweder ein
direkter Zusammenhang besteht oder ein indirekter, der
sich auf ein gemeinsames (zutreffendenfalls wohl plasti-
sches) Urbild gründen würde. Natürlich ist zu beach-
ten, daß es sich bei den Siegeln um eine Darstellung in
der Fläche handelt und die Komposition der Figuren mit
diesem Umstande zusannnenhängen kann (Back hat dies
Problem schon gestreift); aber einerseits ist aucli auf
Siegeln dic Schreitbewegung des Kindes zur Darstellung
gebracht, anderseits dürfte es wohl keineswegs ein Zu-
fall sein, daß wir plastische Darstellungen des Themas
geradc in Kirchen des Cistercienscr- und Prämon-
stratenserordens antreffen; als cin paar bekannte Bci-
spiele seien hier die Madonnen in Maulbronn in Scliwa-
ben ,in Ophoven (Rhcinprovinz, Kr. Heinsberg) und in

8) Vgl. u. u. jc ein Siegei der Klöstcr Eberbacli und Marien-
born in Hessen (s. Back a. a. 0. S. 35, Abb. Taf. XXX, 3 und 4)
und ein solches des Klosters Kamp bei Geldern (s. B e i ß e 1, Ge-
schichte der Verehrung Marias in Deutschland während des Mittel-
alters, Freihurg i. Br. 1909, Abb. S. 197).

°) Gute Abbildung neuerdings bei A. L. M a y e r , Mittelalter-
liche Plastik in Spanien, München o. J., Taf. 21.

Altenberg a. d. Lahn (jetzt in München) genannt. Es er-
scheint durchaus nicht ausgeschlossen, daß die Produk-
tion der plastischen Arbeiten mit den genannten beiden
Orden, namentlich dem Cistercienserorden, zusammen-
hängt. Zugleich würde sich das Auftreten sitzender
Madonnen mit „stehendem“ Kind in der Plastik der ver-
schiedensten Gegenden so erklären. Gerade die nieder-
rheinische Gegend ist außerordentlich reich an Nieder-
lassungen der Cistercienser gewesen (außer Kainp und
Ophoven Altenberg bei Köln, Mariawald etc.).

Mit den Hinweisen auf die Skulpturen im Kölner
Domchor und im Altar zu Marienstatt ist gleichzeitig
auch die Entstehungszeit der Adelmann’sclien Madonna
gegeben. Sie ist um 1320—30 anzusetzen. Damit tritt
sie zeitlich an die Spitze aller bekannten kölnischen Dar-
stellungen, von denen die nächsten nicht vor 1330 ent-
standen sein werden. Die erwähnte, bei den anderen
Stücken auftretende Verrundlichung der Gesichter, ist
ein Zeichen späterer Entstehung; es handelt sich bei
ihnen überhaupt um eine bald stärkere, bald schwächere
Uebersetzung des Ganzen ins Behäbig-Bürgerliche des
Typus unter Aufgeben der Eleganz. Das Kind erscheint
bei diesen nachfolgenden Schöpfungen meist in langem
Röckchen. Ob der Vogel, wohl das Symbol fiir die ge-
flüchtete Seele, sich regelmäßig in den Händchen des
Kindes befunden hat, muß dahingestellt bleiben, weil die
Arrne fast durchweg entweder fehlen oder, ebenso wie
das Szepter der Mutter, spätere Ergänzungen sind.
Jcdenfalls tritt der Vogel der Adelmann’schen Gruppe in
Uebereinstimmung mit verschiedenen der Siegel auf,
wo er entweder in den Händen des Kindes oder (verein-
zelt) auf dem Rosenzweig begegnet. Die Schreitbewe-
gung dcs Kindes liat bei den späteren Stiicken regel-
mäßig von ihrer Frisclie Erhebliches eingebüßt. Das
gilt aucli von der genannten Madonna der Sammlung
Schnütgen, dic zu den besseren Exemplaren der ganzen
Reihe gehört.

Angesichts ilirer frühen Entsteliungszeit muß man
bei der großen Madonna der Samhilung Adelmann die
Erhaltung der alten Fassung, die bei den anderen köl-
nischen Stücken meist reclit zu wünschen übrig läßt, be-
sonders begrüßen. Es wäre erfreulich, wenn diese wich-
tige Zeugin früher kölnischer Plastik in eine der größe-
ren öffentlichen Sammlungen Deutsciilands aufgenom-
men werden könnte.

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