leidenden Menschheit, in so starken und einfachen
Tönen vorgetragen, als könne er gar nicht anders er-
klingen, wir ha'ben hier das Gefühl unbedingtester Not-
wendigkeit. Auch die überragende Beherrschung: des
Handwerklichen, der man gerade bei der iiblichen
,,Armieutemalerei“ selten zu begegnen pflegt, gemahnt
an alte Kunst. Der vollkommene Verzicht auf Farbig-
keit entspricht dem besonderen Ausdruckwillen der
Künstlerin, die nach rein geistiger symbolhafter Wir-
kung strebt. In immer lebendigem Gegenspiel gewal-
tiger ziigiger und weich verhauchender Linien, im
wahrhaft dramatischen Aneinanderprallen von Licht-
und Schattenakkorden wird alles erschöpfend gesagt,
Farben wiirden ein hier irgendwie fälschendes, leben-
bejahendes Element hineintragen. Daß aber die Künst-
lerin imstande ist und es als Notwendigkeit empfindet,
ihr Ausdrucksgebiet noch jetzt zu bereichern, davon
Armen der zum Tier entfesselten Schar Fiihrerin sein
will. „Masse Mensch“ hat sich in Haufen zusammen-
gerottet, mit geschwungenen Sensen vorwärtsstoßend,
losbrechende Wut. Und abermals eine Steigerung an
Eindringlichkeit ist das Dröhnen des Aufruhrs in dem
Blatte „Tanz um die Guillotine“, auf dem ein wilder
Reigen von Männern und Weibern in grausigem Wirbel
um das aus dämmriger Gasse aufragende Gerüst kreist,
wie Verz’Ukte, Berauschte, Menschen, die ihr
Menschenrecht fordern. Auf dem Gedenkblatt für
Liebknecht drängt sich die trauernde Arbeiterschaft,
gebeugte Männer und trostlose Frauen an die Leiche
ihres Fiihrers. Aus der reichen Fiille dieses aus edel-
stem Menschentum wachsenden Schaffens seien noch
erwähnt: die große Allegorie „Zertretene“, die Blätter
„Gretchen“, „Arbeitslos“, eine Scene aus Emile Zolas
Arbeiterroman „Germinal“, die Zeichnungen ftir den
Käthe Kollwitz
Weberzug
Orig.-Radierung
Aus dem Cyklus
„Ein Weberaufstand“
Emil Richter Verlag
Dresden
zeugen ihre neuen plastischen Arbeiten, die erst dem-
nächst der Oeffentlichkeit gezeigt werden sollen.
Der Eindruck, den der kiihne Realismus von
Gerhart Hauptmanns „Webern“, dem kurz nach der
Erstauffiihrung in Berlin 1893 als „Umsturzdrama“ ver-
botenen Werk auf die damals 26jährige Kiinstlerin
machte, hat den Entschluß zu ihrem ersten Meister-
werke, den sechs Blättern „Ein Weberaufstand“ aus-
gelöst. In Bildern von packender visionärer Kraft ist
hier das tragische Schicksal der schlesischen Weber
dargestellt, Wie in den späteren Werken „Krieg“ und
„Tod“ ist schon hier mit besonderer Hingabe die Qual
der Miitter, die ihre Kinder leiden und sterben sehen,
geschildert, das alte Thema der Mater dolorosa. Wie
dann Gerhart Hauptmann nach seinen Webern das
politische Drama „Florian Geyer“ in Angriff nahm, so
fiihlte auch Käthe Kollwitz die Erschütterungen jener
Zeit der Bauernaufstände in den sozialen Kämpfen der
Gegenwart nachzittern und es entstand als zweite
Folge von Radierungen und Steindrucken der „Bauern-
krieg“, der den Weberaufstand an Wucht der künst-
lerischen Gestaltung fast noch überragt. Eine der ge-
waltigsten Darstellungen daraus ist der „Losbruch“,
bei dem ein riesenhaftes Weib mit emporgeworfenen
Simplizissimus, die Plakate für Heimarbeiterinnen, die
still in sich gesenkten Gesichter der Arbeiterfrauen,
endlich die herrliche Reihe der Selbstbildnisse.
Wenn man einmal nur die Hände aus diesen groß-
artigen Blättern isoliert darstellen würde, diese, mit
so viel Ausdruckskraft und Spannung geladen, würden
einen ganzen Klagesang darstellen, Hände, die sich
hier in krampfhafter Qual zusammenpressen, dort er-
geben und gelöst im Schoße ruhen, sich in grausamem
Drohen in die Luft recken oder in verlangendem Seh-
nen in eine dämmrige Ferne weise, Zukunft tastend . . .
Für die auffällige Ausschließlichkeit, mit der diese
große Gestalterin fast nur der einen Seite des Lebens,
der leidvoll-düsteren zugewandt scheint, kann man
z. T. eine Erklärung in Einfliissen erblicken, die ihre
Jugend bestimmten. Von freiheitlichem revolutionären
Geiste war die Umgebung der heranwachsenden
Künstlerin erfüllt. Der Vater, ursprünglich Rechts-
gelehrter, hatte sich an den achtundvierziger Unruhen
als politischer und religiöser Freigeist beteiligt und gab
seine akademische Laufbahn preis, um das Maurer-
handwerk zu erlernen. Später hatte er dann Gelegen-
lieit, als Sprecher in der von seinem Schwiegervater
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Tönen vorgetragen, als könne er gar nicht anders er-
klingen, wir ha'ben hier das Gefühl unbedingtester Not-
wendigkeit. Auch die überragende Beherrschung: des
Handwerklichen, der man gerade bei der iiblichen
,,Armieutemalerei“ selten zu begegnen pflegt, gemahnt
an alte Kunst. Der vollkommene Verzicht auf Farbig-
keit entspricht dem besonderen Ausdruckwillen der
Künstlerin, die nach rein geistiger symbolhafter Wir-
kung strebt. In immer lebendigem Gegenspiel gewal-
tiger ziigiger und weich verhauchender Linien, im
wahrhaft dramatischen Aneinanderprallen von Licht-
und Schattenakkorden wird alles erschöpfend gesagt,
Farben wiirden ein hier irgendwie fälschendes, leben-
bejahendes Element hineintragen. Daß aber die Künst-
lerin imstande ist und es als Notwendigkeit empfindet,
ihr Ausdrucksgebiet noch jetzt zu bereichern, davon
Armen der zum Tier entfesselten Schar Fiihrerin sein
will. „Masse Mensch“ hat sich in Haufen zusammen-
gerottet, mit geschwungenen Sensen vorwärtsstoßend,
losbrechende Wut. Und abermals eine Steigerung an
Eindringlichkeit ist das Dröhnen des Aufruhrs in dem
Blatte „Tanz um die Guillotine“, auf dem ein wilder
Reigen von Männern und Weibern in grausigem Wirbel
um das aus dämmriger Gasse aufragende Gerüst kreist,
wie Verz’Ukte, Berauschte, Menschen, die ihr
Menschenrecht fordern. Auf dem Gedenkblatt für
Liebknecht drängt sich die trauernde Arbeiterschaft,
gebeugte Männer und trostlose Frauen an die Leiche
ihres Fiihrers. Aus der reichen Fiille dieses aus edel-
stem Menschentum wachsenden Schaffens seien noch
erwähnt: die große Allegorie „Zertretene“, die Blätter
„Gretchen“, „Arbeitslos“, eine Scene aus Emile Zolas
Arbeiterroman „Germinal“, die Zeichnungen ftir den
Käthe Kollwitz
Weberzug
Orig.-Radierung
Aus dem Cyklus
„Ein Weberaufstand“
Emil Richter Verlag
Dresden
zeugen ihre neuen plastischen Arbeiten, die erst dem-
nächst der Oeffentlichkeit gezeigt werden sollen.
Der Eindruck, den der kiihne Realismus von
Gerhart Hauptmanns „Webern“, dem kurz nach der
Erstauffiihrung in Berlin 1893 als „Umsturzdrama“ ver-
botenen Werk auf die damals 26jährige Kiinstlerin
machte, hat den Entschluß zu ihrem ersten Meister-
werke, den sechs Blättern „Ein Weberaufstand“ aus-
gelöst. In Bildern von packender visionärer Kraft ist
hier das tragische Schicksal der schlesischen Weber
dargestellt, Wie in den späteren Werken „Krieg“ und
„Tod“ ist schon hier mit besonderer Hingabe die Qual
der Miitter, die ihre Kinder leiden und sterben sehen,
geschildert, das alte Thema der Mater dolorosa. Wie
dann Gerhart Hauptmann nach seinen Webern das
politische Drama „Florian Geyer“ in Angriff nahm, so
fiihlte auch Käthe Kollwitz die Erschütterungen jener
Zeit der Bauernaufstände in den sozialen Kämpfen der
Gegenwart nachzittern und es entstand als zweite
Folge von Radierungen und Steindrucken der „Bauern-
krieg“, der den Weberaufstand an Wucht der künst-
lerischen Gestaltung fast noch überragt. Eine der ge-
waltigsten Darstellungen daraus ist der „Losbruch“,
bei dem ein riesenhaftes Weib mit emporgeworfenen
Simplizissimus, die Plakate für Heimarbeiterinnen, die
still in sich gesenkten Gesichter der Arbeiterfrauen,
endlich die herrliche Reihe der Selbstbildnisse.
Wenn man einmal nur die Hände aus diesen groß-
artigen Blättern isoliert darstellen würde, diese, mit
so viel Ausdruckskraft und Spannung geladen, würden
einen ganzen Klagesang darstellen, Hände, die sich
hier in krampfhafter Qual zusammenpressen, dort er-
geben und gelöst im Schoße ruhen, sich in grausamem
Drohen in die Luft recken oder in verlangendem Seh-
nen in eine dämmrige Ferne weise, Zukunft tastend . . .
Für die auffällige Ausschließlichkeit, mit der diese
große Gestalterin fast nur der einen Seite des Lebens,
der leidvoll-düsteren zugewandt scheint, kann man
z. T. eine Erklärung in Einfliissen erblicken, die ihre
Jugend bestimmten. Von freiheitlichem revolutionären
Geiste war die Umgebung der heranwachsenden
Künstlerin erfüllt. Der Vater, ursprünglich Rechts-
gelehrter, hatte sich an den achtundvierziger Unruhen
als politischer und religiöser Freigeist beteiligt und gab
seine akademische Laufbahn preis, um das Maurer-
handwerk zu erlernen. Später hatte er dann Gelegen-
lieit, als Sprecher in der von seinem Schwiegervater
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