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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Rading, Adolf: Stadt, Form, Architekt
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0016

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fläche nach außen, nach der Straße be-
wußt von dieser Tradition.

Was einige von uns seit Jahren theore-
tisch vertreten haben, das beweist Amerika
praktisch: daß es auch außerhalb der heu-
tigen kapitalistischen und Profitwirtschaft
durchaus möglich ist, zu gesunderen und
vernünftigeren Wohnformen dadurch zu
kommen, daß die Einzelwohnung in ihrer
massenhaften Zusammenfassung durch ihr
restloses Sichtbarmachen bestimmend für
die Stadtanlage wird, daß nicht länger
mehr ein ganz großer Teil der Stadt im
Verborgenen eine Sonderexistenz zu führen
hat, die hinter dem sichtbaren Ablauf des
Lebens einen dunklen, unkontrollierbaren
Unterstrom des Elends bedeutet.

*

Es liegt mir fern, Resignation zu pre-
digen oder theoretische Arbeit verächtlich
zu machen. Ich wende mich aber gegen
die Auffassung, die die verwickelten Pro-
bleme des Städtebaues durch monomanes
Verfolgen einer bestimmten kleinen Idee
glaubt lösen zu können, die unbedenklich
alles Glück menschlichen Lebens durch die
Verwirklichung irgend eines schlagwortge-
kennzeichneten Gedankens verspricht, die
bewußt oder unbewußt der großen Menge
die feinen und vielfältigen Verknüpfungen
verschweigt, die alle diese Gedanken und
die daraus folgenden Taten dem Strom des
wirkenden Lebens zuführen. Ich wende
mich gegen die Vielen, die heute, noch
immer, der großen Menge die Arbeit des
Denkens ersparen wollen, die Leben und
Menschen dazu mißbrauchen, daß sie ihnen
eine Einfachheit und Eindeutigkeit des Ge-
schehens vortäuschen, die das Leben nicht
kennt, und die durch solche Täuschung
Dummheit und Urteilslosigkeit zu unver-
gänglichem menschlichen Erbteil machen.

Der Gebrauch von Schlagworten auf
allen Lebensgebieten hat so überhand ge-
nommen, und so wenig ist man bemüht,
tatsächliches Geschehen zu klären und zu
deuten, daß von einer ernsten Gefahr für

die lebende Gesamtheit gesprochen werden
darf. Propaganda, wofür immer, mit sol-
chen Mitteln betrieben, ist verderblich und
verantwortungslos. Es bedeutet für ein
Volk mühevolle Kleinarbeit, aus diesem
Sumpf wieder herauszukommen, in den es
Schlagwort und Erziehung zur Verantwor-
tungslosigkeit gestürzt haben, und durch
Stärkung des persönlichen Verantwortungs-
gefühls, durch gesundes Selbstbewußtsein
wieder zum Herrscher und Lenker seines
Lebens zu werden.

Zwar Verantwortungslosigkeit hockt über-
all, sie wird nicht aus der Welt geschafft,
wohl aber durch Erziehung wirksam be-
kämpft werden können.

Was uns nötig ist — es ist der Zweck
dieser Zeilen, das zu sagen und zu begrün-
den —, ist die Einsicht, verantwortliche
Einzelmenschen frei handeln zu lassen, so
wie es schon einmal schön von den Ameri-
kanern gesagt worden ist *) : „Die Ameri-
kaner leben. Einer anderen Richtung be-
dürfen wir nicht. Geistesleben ist all das
Gerede, das Bedauernswürdige führen um
uns und über und unter und neben
dem, was wir tun... Alle Ästhetik ist nur
eine Krankheit im Wirklichkeitssinne..."

Der dem Leben unmittelbar verbundene
und verpflichtete, handelnde und verant-
wortungsfreudige Einzelmensch wird alle
Eigenschaften des Lebens auf sein Werk
übertragen und es dadurch allein lebendig
machen.Er soll nicht die Hände in den Schoß
legen, sondern Wege weisen. Er soll planvoll
die Ungewißheit des Künftigen klären, er
wird niemals in Gefahr kommen, einen Weg
abseits des Lebens zu beschreiten, er wird
wissen, daß alles Menschenwerk nur Le-
bensergebnis sein kann und nur aus diesem
unsichtbaren Strom Gestalt, Form werden
kann. Ihm und dem Volke, das ihn und
seinesgleichen sucht, ihn frei aber auch
verantwortlich handeln läßt, gehört die Zu-
kunft.

*) Johannes V. Jensen „Das Rad".

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