DOI Artikel:
Behrendt, Walter Curt: Die Situation des Kunstgewerbes
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0067
Heinrich Tessenow, Dresden
Wohnzimmer
würdige Einzelleislungen hervor, Leistun-
gen, die jedocli bei aller verdienten Wert-
schätzung über die Bedeutung von Lieb-
haberwerten nicht hinausgelangen.
III
Eine klare geislige Orientierung kann
dem Kunstgewerbe nur von der Seite der
Architektur her erwachsen. Sie allein kann
das Kunsthandwerk aus dem unfruchtbaren
l'art pour I'art-Zustand seiner gegenwärti-
gen Existenz befreien, indem sie dem Geslal-
tungstrieb mit dem Baum eine örtliche
Bindung und damit eine eindeutig umris-
sene Aufgabe schafft, indem sie die Form-
gebung, von der Grundform angefangen
bis zum ornamentalen Detail, auf ein ein-
heitliches Ziel, auf die Raumgestaltung
einslelll und ihr damit Sinn und Inhalt
gibt.
Die Architektur aber ist gegenwärtig
selbst in einer geistigen Neuorientierung
begriffen. Den Antrieb zu dieser Neu-
orientierung gab ihr das neue Lebensge-
fühl, das die Zeit erfüllt. Dieses Lebens-
gefühl gipfelt in einem leidenschaftlichen
Bekenntnis zu den starken schöpferischen
Kräften der Zeit und sucht ihm durch Er-
kenntnis ihres Wesens freie Bahn zu schaf-
fen. Es setzt Erkenntnis gegen Vorurteil
und Ueberlieferung, Anschauung gegen
Theorie und Dogma, ursprüngliches Le-
ben gegen abgestorbene Begriffe und sucht
,.das Verständnis des Lebens aus diesem
selbst zu schöpfen". Der Drang zurWesen-
haftigkeit ist der auszeichnende Zug dieses
neuen Lebensgefühls, und es wird am
stärksten erregt, wo dieser Drang Erfül-
lung findet.
Auf allen Gebieten gestaltender Arbeit,
die dem unmittelbaren Einfluß und Zu-
griff der „Kunst" entzogen sind, tritt die-
ser Zug zum Wesenhaften heute schon
deutlich hervor, und das ist der eigent-
liche Grund, warum unser Lebensgefühl
im Anblick gewisser industrieller Erzeug-
nisse, etwa vor einem Automobil, einem
Flugzeug, einer Segeljacht, einer Lokomo-
tive oder vor neuzeitlichen Werkzeugen in
so starke Erregung versetzt wird. Alle
diese Erzeugnisse machen in ihrer wesen-
haften, organisch aus der Funktion ent-
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Wohnzimmer
würdige Einzelleislungen hervor, Leistun-
gen, die jedocli bei aller verdienten Wert-
schätzung über die Bedeutung von Lieb-
haberwerten nicht hinausgelangen.
III
Eine klare geislige Orientierung kann
dem Kunstgewerbe nur von der Seite der
Architektur her erwachsen. Sie allein kann
das Kunsthandwerk aus dem unfruchtbaren
l'art pour I'art-Zustand seiner gegenwärti-
gen Existenz befreien, indem sie dem Geslal-
tungstrieb mit dem Baum eine örtliche
Bindung und damit eine eindeutig umris-
sene Aufgabe schafft, indem sie die Form-
gebung, von der Grundform angefangen
bis zum ornamentalen Detail, auf ein ein-
heitliches Ziel, auf die Raumgestaltung
einslelll und ihr damit Sinn und Inhalt
gibt.
Die Architektur aber ist gegenwärtig
selbst in einer geistigen Neuorientierung
begriffen. Den Antrieb zu dieser Neu-
orientierung gab ihr das neue Lebensge-
fühl, das die Zeit erfüllt. Dieses Lebens-
gefühl gipfelt in einem leidenschaftlichen
Bekenntnis zu den starken schöpferischen
Kräften der Zeit und sucht ihm durch Er-
kenntnis ihres Wesens freie Bahn zu schaf-
fen. Es setzt Erkenntnis gegen Vorurteil
und Ueberlieferung, Anschauung gegen
Theorie und Dogma, ursprüngliches Le-
ben gegen abgestorbene Begriffe und sucht
,.das Verständnis des Lebens aus diesem
selbst zu schöpfen". Der Drang zurWesen-
haftigkeit ist der auszeichnende Zug dieses
neuen Lebensgefühls, und es wird am
stärksten erregt, wo dieser Drang Erfül-
lung findet.
Auf allen Gebieten gestaltender Arbeit,
die dem unmittelbaren Einfluß und Zu-
griff der „Kunst" entzogen sind, tritt die-
ser Zug zum Wesenhaften heute schon
deutlich hervor, und das ist der eigent-
liche Grund, warum unser Lebensgefühl
im Anblick gewisser industrieller Erzeug-
nisse, etwa vor einem Automobil, einem
Flugzeug, einer Segeljacht, einer Lokomo-
tive oder vor neuzeitlichen Werkzeugen in
so starke Erregung versetzt wird. Alle
diese Erzeugnisse machen in ihrer wesen-
haften, organisch aus der Funktion ent-
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