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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Gehrig, Oscar: Kunstgewerbe-Dammerung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0082

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zum Prachtwagen des zweiten Königs Lud-
wig, immer das gleiche Bild: Reichtum —
Prunk. Und Reichtum kann da seinen
sinnfälligen Niederschlag nur in Formen-
reichtum finden. Das Material und die
Technik allein tun es auch nicht, Kunst-
stück und Künstelei regieren die Kunst,
man hatte ja so Vieles zu verbergen. Doch
während die einen noch herstellten und
ausstellten, gestalteten die andern, die
„Wrights" drüben und hüben und schüfen
die Form, versuchten sich an sinnvoller
Typik.

Rein äußerlich genommen sieht natür-
lich heute eine deutsche Kunstgewerbe-
schau schon ganz anders aus als jene noch
atavistische von anno-0,3. Es ist gerade bei
uns inzwischen immens viel gearbeitet und
auch geschaffen worden, wie es alle neuer-
lichen Veranstaltungen, die wie Monza ein
starker relativer Erfolg sind, ebenso bewei-
sen wie viele, wenn auch noch zu wenige
Auslagen unserer Magazine. Im Kern aber
hat das letzte Menschenalter noch nicht
genügt, eine grundsätzliche, innere Wand-
lung zu schaffen. Der Historizismus von
damals war seinem Wesen nach übertrie-
ben individualistisch, wenn auch auf Krük-
ken alter, nicht mehr notwendig erlebter
Formen. Diese Formen haben wir in ziem-
lich breiter Front gewandelt, modernisiert,
vielfach auch gereinigt, noch mehr aber
neben der technischen und materialen Seite
geschmacklich geordnet; aber wie oft hat es
da mit einem liebenswürdig eingekleideten
ästhetischen Prinzip sein Bewenden! Ge-
blieben ist vor allem — mit wenigen, hier
freilich als bekannt vorausgesetzten Aus-
nahmen — der Individualismus des kunst-
gewerblichen Erzeugers, der die verwir-
rende Fülle des heutigen Sammelbegriffs
„Kunstgewerbe" zum Ergebnis hat. Dabei
ist kaum etwas gewonnen mit der noch so
feinsinnig ausgeklügelten und dann meist
noch ängstlich behüteten Individualform
oder der nur materialgerechten technischen
Glanzleistung. In schwächeren, auch
immer noch niveauhaltenden Elementen
führt dieser Weg allzuleicht vom Kunst-
gewerbe als Werkkunst weg zur Kunstge-
werbelei und auf der Verbraucherseite zu

einer Art Kunstgewerberomantik, die sich
ebenfalls im einzelnen ausschöpft, anstatt
in den großen Strom des in sich geschlos-
senen Formwerdens einzumünden. In sei-
ner offensichtlichen Isoliertheit ist so das
„Kunstgewerbe" eben nur eine besondere
Seite unserer Betätigung und es wird es
so lange- bleiben, als wir den landläufigen
Begriff nicht eliminieren können. Dazu
muß aber erst ein jahrhundertelanger Pro-
zeß, der mit dem Ausgang unseres Mittel-
alters einsetzte, mit Entschiedenheit und
ohne die unproduktive Sentimentalität zum
endgültigen Abschluß gebracht werden, ein
Prozeß, der seine Parallele auch auf gei-
stigem und religiösem Gebiete findet. Das
Ziel ist die große Einheit, die sich jedoch
keineswegs zur Uniformierung auszuwach-
sen braucht. Gab sich die abendländische
Welt seit den Tagen der Benaissance, eini-
ge teilweise rückläufige'Abschnitte ausge-
nommen, „ganz besonders dem Gesetz des
Auseinanderströmens hin, so besteht das
Problem unserer Zeit darin, die Menschen
aus dem Auseinanderströmen zurückzufüh-
ren zur Harmonie". In diesem Sinne war
der Mensch des Mittelalters, dem der Dua-
lismus von Kunst oder gar „Kunstgewerbe"
und Leben nicht aufsteigen konnte, viel
moderner, weil auch zeitloser, als den mei-
sten unserer Mitlebenden schon zum Be-
wußtsein gekommen ist. „In Ordnung,
in Einklang und in Zahl / schuf Gott die
Dinge allzumal, / so sollen wir leben nach
reinlichem Plan, / dann wird über Ver-
nunft schauendes Leben uns aufgetan."
So der flämische Mystiker Jan van Ruis-
broek (gegen i3oo), aus der Zeit, als noch
die vielen Namenlosen ihre Dinge förmlich
sub specie aeternitatis aus ihren Werkhän-
den gehen ließen, höchsten Zielen zugewandt.

Trotz der beachtlichen Pionierarbeit Ein-
zelner und ganzer Bewegungen, für die
aufgetretenen neuen Aufgaben nun die
sinnvollen neuen Formen zu finden, wird
es immer unabweisbarer, auch dem Letzten
unter uns die bedenklichen, bis in diese
Jahre herab noch bestehenden Spannungs-
reihen etwa von Thiersch zu Gropiüs oder
Grützner zu Klee eindrücklichst vorzustel-
len, die sich, unterstützt durch ebenso un-

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