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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Zech, Paul: Vom Chaos zur Form des Bühnenwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0122

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tereffekten strebt nicht zuletzt der Schau-
spieler, der vor allem eine Vordergfund-
person sein will, und nicht ein verhaltener
Diener am Werk. Der, sobald er die gei-
stige Linie des Werkes verläßt, zu einem
von unsinnlichen Erregungen bewegten
und von hier aus kühl konstruierenden
Wort- und Bewegungsbeamten verhärtet,
eine Maschine wird und jede Beziehung zu
dem aus sinnlichen Bewegungen des Blu-
tes unmittelbar heraus schöpferischen Geist
verliert. Er meint Geist, wenn er lehrhaft
mit Bildung prunkt. Er meint sinnliche
Erregung, wenn er Gebärde und Ton mit
körperlichem Kraftaufwand binschleudert.
Er meint Form zu gestalten, wenn er seine
Mittel mit mechanischer Präzision auf alle
Wirkungsflächen verteilen kann. An sei-
ner Unsinnlichkeit entzündet sich das Plu-
blikum nur so lange, als die stoffliche Sen-
sation Spannung hergibt. Da er zum
Dichtwerk nur gedankliche Beziehungen
hat, kann er es auch nur gedanklich in
Ton und Bild umsetzen. Die Bühne aber
verlangt eine In-Bewegungsetzung jener
Kräf lekreise, die durch das sinnliche Er-
lebnis zur Form gesteigert wurden. Der
Instinkt spielt bei diesem Prozeß eine we-
sentlichere Bolle als die von Bildung her-
geleitete Erkenntnis. Instinkt-Spieler, mö-
gen sie in der technischen Behandlung
der Ausdrucksmittel auch noch so unvoll-
kommen sein, kommen jedenfalls der rei-
nen Spielform näher als Denk-Spieler. Der
Denk-Spieler ist ein Produkt des von
der Literatur betäubten Spielführers. Er
schafft Formgefäße ohne Zweckmäßig-
keitsgefühl. Er vergeudet häufig edles Ma-
terial an einen nur optiscli wahrnehmbaren
Beißer.

III

Der zum Modeobjekt hochgeloble Spiel-
führer des Theaters dieser Zeit erbaut aus
dem von der Literatur bezogenen A\ ort-
szenarium, als Rohstoffprodukt, ein kör-
perliches Gefüge. Er stellt es mit den
Wirkungsmitteln Ton. Worl und Farbe
mehr oder minder plastisch in den Baum
und bewegt das Gemeng. Das Zufällige
der instinktmäßig zum Ausdruck hinkrei-
senden Bewegung biegt er ab durch eine,
in erster Linie optisch wahrnehmbare, ge-
setzmäßige Gliederung von Körper, Farbe

und Baum. Eine organische Gliederung
von solchen zueinander abgestimmten Wir-
kungselementen kann sehr wohl zur Form
vorstoßen und in der von der Maschine
gelösten Bewegung auch Form werden.
Den meisten Spielführern von heute geht
es aber nicht um eine organische Glie-
derung von individuellen Bewegungen. Der
Durchschnitt ihrer Inszenierungen ist von
außen an das Werk herangetragen worden.
Auch ein ansonst so phantasicvoller Kopf
wie Karlheinz Marlin läßt sich von rein
hirnlichen Erwägungen vom Zweck äußer-
ster Wirkungsspitzen zur Werkleistung be-
stimmen, will sagen —: er paßt das Büh-
nenwerk in sein bis zur letzten Möglich-
keit ausgeklügeltes Inszenierungsschema
hinein. Er ordnet es sich ein für alle
Mal unter. Er schlägt ihm, wenn es seine
Pläne behindert, Kopf und Beine ab und
demonstriert den Bumpf. („Franziska"
von Wedekind.) Er entwickelt unter reich-
licher Dampfgebung sogenanntes Tempo.
Die Maschine funktioniert. Es sprühen
die Funken! Die Konkurrenz spitzt die
Ohren. Ihr schneidigster Vertreter ver-
dichte! die Leistung der Maschine noch
stärker. Er inszeniert vollends die Bewe-
gung der Maschine. Er mechanisierl die
Bewegung von Körper, Farbe und Raum.
Er interpretiert mit mechanistisch-dyna-
mischen Mitteln, ohne Beziehung zur
Form, ohne den sinnlichen Rhythmus zur
Aktion der Dichtung, ein optisch-Ionliches
Bühnenszenarium. Er macht den Schau-
spieler seinem von der Literatur bezogenen
Bildungsdünkel unterwürfig. Er hemmt
das aus dem Blut zur Bewegung vor-
stoßende Spiel und entfesselt die gehirn-
liche Mache. Er läßt „alle Puppen tan-
zen". Er will revolutionieren und bleibt
bei der Proklamation der roten Farbe
stehen. Wie fundamental er irrl und den
Irrtum noch dazu zum Dogma erhebt,
/eigen mit Deutlichkeit seine Erfolge bei
den literarischen Snobs auf, und seine
Mißerfolge beim Volk. Die Spielführer
aller Schule, so sie saubere \rbeil liefern
wie Max Reinhardt, haben wieder Volk
für sich. \\ eil sie Form, wenn auch längsl
erstarrte, liefern. Für das geistige Well-
bild ihrer Zeit schufen sie auf der Bühne
bestimm! die sinngemäße Form. Für

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