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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Zech, Paul: Vom Chaos zur Form des Bühnenwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0123

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Emil Pirchan, Dekoration zu der Oper „Zwingburg" von Ernst Krenek
Staätsoper in Berlin

Form hat das Volk, trolz tausendfacher
Verbildung, immer noch den Instinkt. Des-
halb nimmt es lieber das abgenützte Alte
hin, als ein unbrauchbares Präparat neuer
Fabrikation. Das Volk will in erster Linie
von sinnlichen Eindrücken sich zur Ent-
fesselung steigern lassen. Es will nicht
Literatur aus einem von Literatur befin-
gerten Gefäß empfangen. Es will Theater
sehen, schmecken und fühlen. Der Spiel-
führer des Theaters dieser Zeit buhlt aber
händeringend um das sich zurückhaltende
Volk. Er hat diese Wissenschaft von den
jungen Russen bezogen. Durch sein Ge-
hirn geistern die Versuche Meyerholds und
Tairoffs wirr durcheinander. Er bezog die
neuen Theorien abermals auf dem Um-
wege über die Literatur. Er beachtele je-
doch nicht die Atmosphäre, in welcher
beispielsweise ein Theater Meyerhold zu
einem lebendigen Organismus aufwachsen
kann und mit aller Angespannlheit fort-
schrittlicher Arbeil in die sinngemäße
Form hineinreift. Die Ideen Meyerholds
konnten sehr wohl ^ urzeln im Volk schla-
gen, weil sie auf politisch gestütztem
Fundament sich an eine politisch revolu-
tionäre Masse wenden durften. Meyerhold
entfesselte das politische. Theater und
schuf dafür die sinngemäße Forin. Er

negierle, solange er zur alten dramati-
schen Dichtung greifen mußte, das gei-
stige Format des Werkes, er sah in ihm
nur das Spammngsgeripp, nicht aber den
motorischen Kräftekreis und aucli nicht
das unanlastbarc Sprachgut. Er erhob die
Gesinnung zur Kraftquelle und modelte
nach solcher Richtung hin das Dichtwerk
um. Er schnitt fort und setzle zu. Er
wandelte kultische Eiferer zu parteipoliti-
schen Fanatikern um. Er mechanisierte
aber auch — und hier lief sich seine
Bemühung heiß — den Ablauf der in ein
anderes Hell abgelenkten Handlungsströ-
mung. Er mechanisierte sie zu szenisch ge-
spielten Manifesten. Er wollte zwar von
der alten Theatermaschine des Bürgertums
fort und konstruierte zu diesem Behuf
eine in den technischen Drehs unerhört
funktionierende Thealer-Maschine des re-
volutionären Proletariats. Er gesellte zu
der, erst ganz allmählich aus der Form-
losigkeit zur organischen Form sich ent-
wickelnden, geistigen Idee des Proletkultes
das unproduktive Nur-Gesinnungstheater.
Seine weltanschauliche Gesinnung äußern,
soll beileibe dem Bühnenwerk - Dichter
nichi abgedrosselt werden. Nur muß das
Bekenntnis (siehe Schillers „Räuber" und
„Wilhelm Teil") zur organischen Form

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