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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Zech, Paul: Vom Chaos zur Form des Bühnenwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0124

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geschmolzen sein. Die junge russische
Dichtung, soweit sie uns erreichbar war
zur Kenntnisnahme, wandelt sich schon
zur Form. Der Stoff ist gebändigt, ist
strotzendes Fleisch, Bein und Mark und
seine Dynamik ein Orgelspiel auf der Mus-
kulatur. OIi Meyerhold auch für die In-
szenierung solcher ins ' Organische um-
gewandelten Dichtung das aktionsreife
Tempo noch hat und ob er diese neue
Form so tief in sein Blut hinüber er-
leben kann, daß er sich daran entzündet
und sein eigenes schöpferisches Vermö-
gen zur Form bringen kann, läßt sich
heute noch nicht mit Sicherheit sagen.
Wir glauben aber an seine endliche Ab-
kehr von der Maschine. Denn seinem Ur-
sprung nach ist er gegen die Maschine.
^ ir bezweifeln jedoch den Frfolg der
Bemühungen Tairoffs zu einer neuen Aus-
druckskunst auf dem Theater. Tairoff ist,
der Gegenpol Meyerholds —. Er rückt die
Leistung des Schauspielers, die Entfesse-
lung der äußeren Ausdrucksmittel in den
\ ordergrund. Er mindert das Dichtwerk,
in seiner weltanschaulichen Substanz so-
wohl wie aucli in seiner künstlerischen
Form, zu einer sekundären Bedeutung. Er
läßt es nur als Unterbau gelten. Die leben-
digen Wölbungen des Raumes überträgt er
auf den mit literarischen Mitteln zur Be-

wegung hypnotisierten Schauspieler. Daß
nur Hypnose als Spannungsbogen zum Ab-
lauf der schauspielerischen Bewegung von
Tairoff geübt wird, ergibt sich aus der
theoretischen Erklärung seines Programms
für schauspielerische Ausbildung, kr will
(hier allerdings mit vollem Recht!) den Bil-
dungseinfluß aufheben und den Instinkt
wecken. Er läßt in endlosen Übungen Be-
wegungen improvisieren und übersieht, daß
jede schemalische Übung unweigerlich zur
Mechanisierung führen muß. Er verlangt
von seinen Spielern eine virtuose Beherr-
schung der Technik aller Ausdrucksmittel.
Er strebt zu einer nach allen Seiten hin ge-
schlossenen Form (sehr gut!) — — und
züchtet doch nur ein raffiniert in edles
Material getriebenes Gehäuse. Er tötet das
Blut und bewegt vollendet geformte Glie-
der durch das Mittel artistischer Tricks.
In solch einer maschinell gespeisten Span-
nung aller Ausdrucksmitlei muß der Raum
auf die Dauer das Medium der Illusion
verlieren. Er konzentriert nicht mehr The-
ater zur Übermittlung von Sinneseindrük-
ken auf die Zuschauermenge, sondern pro-
duziert (und übertreibt diese Übung mit
Fanalismus) optische und akustische Schau-
formen. Darum lautet auch der erste Satz
aus Tairoffs Programm: „Jedes neue
Thealer, das wir anstreben, wird nicht

Cesar Klein. Bühnendekoration zu Hebbel ..Gv^os und sein Rinc". Entwurf
 
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