Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926
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Zech, Paul: Vom Chaos zur Form des Bühnenwerks
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Cesar klein, Bülinendekoration zu Shaw „Zurück zu Methusalem"
von der Dichtung, sondern vom Schau-
spieler geschaffen, dem es schon bei sei-
nem ersten Schritt in dem von der Dich-
tung angewiesenen Rahmen zu eng wird."
Diese Umkehrung aller fundamentalen Ge-
setze des Theaters kann man mit ernst-
haften Mitteln nicht widerlegen. Auch
Tairoff selber wird den Endpunkt der
Sackgasse erleben und den Hochmut ab-
schwören, oder auf der Strecke bleiben.
Heute trägt ihn noch das westeuropäische
Bürgertum. Er entfesselt seine Gier nach
optischer Sensation durch ein zum Star-
tum emporgedrilltes Ensemble. Er will
für dieses unkollektivistische Publikum
kollektiv gestalten und zeigt doch nur Ein-
zelgänge. Denn so wie er den Schauspieler
in den Spannungskreis seiner maschinell
funktionierenden Kraftquelle gedrängt hat,
unterjocht er auch den Bühnenmaler, den
Bühnenarchitekten. Er führt ihn aus dem
Formerlebnis der Dichtung heraus und
läßt ihn auf das verindustrialisierte Kunst-
gewerbe los. Der Baum muß hier kon-
struktivistisch aufgeteilt werden nach Ge-
setzen, die in der absoluten Malerei viel-
leicht eine innere Notwendigkeit bedeuten
und diesen Trieb aucli durch die Mittel der
geistigen Dynamik auszudrücken vermögen.
Im Bühnenraum jedoch sind andere Ge-
setze maßgebend. Ihre Formwcrdung wird
von den geistigen und dramaturgischen Ord-
nungen der Dichtung gespeist. Die Baum-
gestalter in Tairoffs Schule schaffen im
Bühnenraum aus Figur, Licht und Farbe
eine der Dichtung feindliche Atmosphäre.
Sie zertrümmern mit optischen Überkurven
und transparenten Symbolgrotesken die
Sprachbögen der Wortwerle. Sie bauen
tote Gerüste oder in den Farben auf-
dringliche Bilderbogen. Der Spieler be-
wohnt solche Bäume ohne Beziehung zum
Baum. Vor schiefen Türen, dreieckigen
Häusern und auf hintergrundloscn Trep-
pen muß ihm der letzte Tropfen Blut ein-
frieren. Das Wort nur hält ihn noch auf-
recht. Aber selbst hinter dem Wort noch
klappert das Gerüst. Alle westeuropäischen
Nachahmer der Metboden Tairoff bemäch-
tigten sich zuerst des Gerüstes. Von der
Dichtung entliehen sie nur den Umfang
der Schauplätze. Und konstruierten den
Baum demonstrativ gegen den Geist der
Dichtung.
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von der Dichtung, sondern vom Schau-
spieler geschaffen, dem es schon bei sei-
nem ersten Schritt in dem von der Dich-
tung angewiesenen Rahmen zu eng wird."
Diese Umkehrung aller fundamentalen Ge-
setze des Theaters kann man mit ernst-
haften Mitteln nicht widerlegen. Auch
Tairoff selber wird den Endpunkt der
Sackgasse erleben und den Hochmut ab-
schwören, oder auf der Strecke bleiben.
Heute trägt ihn noch das westeuropäische
Bürgertum. Er entfesselt seine Gier nach
optischer Sensation durch ein zum Star-
tum emporgedrilltes Ensemble. Er will
für dieses unkollektivistische Publikum
kollektiv gestalten und zeigt doch nur Ein-
zelgänge. Denn so wie er den Schauspieler
in den Spannungskreis seiner maschinell
funktionierenden Kraftquelle gedrängt hat,
unterjocht er auch den Bühnenmaler, den
Bühnenarchitekten. Er führt ihn aus dem
Formerlebnis der Dichtung heraus und
läßt ihn auf das verindustrialisierte Kunst-
gewerbe los. Der Baum muß hier kon-
struktivistisch aufgeteilt werden nach Ge-
setzen, die in der absoluten Malerei viel-
leicht eine innere Notwendigkeit bedeuten
und diesen Trieb aucli durch die Mittel der
geistigen Dynamik auszudrücken vermögen.
Im Bühnenraum jedoch sind andere Ge-
setze maßgebend. Ihre Formwcrdung wird
von den geistigen und dramaturgischen Ord-
nungen der Dichtung gespeist. Die Baum-
gestalter in Tairoffs Schule schaffen im
Bühnenraum aus Figur, Licht und Farbe
eine der Dichtung feindliche Atmosphäre.
Sie zertrümmern mit optischen Überkurven
und transparenten Symbolgrotesken die
Sprachbögen der Wortwerle. Sie bauen
tote Gerüste oder in den Farben auf-
dringliche Bilderbogen. Der Spieler be-
wohnt solche Bäume ohne Beziehung zum
Baum. Vor schiefen Türen, dreieckigen
Häusern und auf hintergrundloscn Trep-
pen muß ihm der letzte Tropfen Blut ein-
frieren. Das Wort nur hält ihn noch auf-
recht. Aber selbst hinter dem Wort noch
klappert das Gerüst. Alle westeuropäischen
Nachahmer der Metboden Tairoff bemäch-
tigten sich zuerst des Gerüstes. Von der
Dichtung entliehen sie nur den Umfang
der Schauplätze. Und konstruierten den
Baum demonstrativ gegen den Geist der
Dichtung.
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