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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Zech, Paul: Vom Chaos zur Form des Bühnenwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0127

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Shakespeare zu Lessing übersahen. Gar
nicht erst zu reden von der weltanschau-
lichen und ästhetischen Wandlung. Man
erkannte sehr wohl den durch den Ab-
lauf der Jahrhunderte bedingten Fort-
schritt auf anderem Gebiet und unterwarf
sicli ihm. Manchmal mit Widerstand,
manchmal mit Freuden. Dem Fortschritt
auf der Schaubühne aber legte das Kunsl-
richtertum Halseisen an und das Volk be-
gnügte sich, weil das Neue für Barbaris-
mus erklärt wurde, mit Ersatzware. Was
Lessing widerfuhr, vollzog sich an Schil-
ler, sprang auf Kleist und Büchner
über, rieb sich an Hebbel und Haupt-
mann, zerfetzt Georg Kaiser und ver-
dammt die aufstrebende Jugend. Nicht
nur sind es Greise, die so blindwütig le-
bendige Bildungen zu neuer Form ab-
lehnen. Es gibt Dreißigjährige, ja sogar
Zwanzigjährige auf kritischen Merkerstüh-
len, deren Heftigkeit den Grad von Pa-
roxismus erreicht. Sofern der Deliquent
nicht zur befreundeten Clique gehört, ist
er ein für alle mal gemeiner Schübiäk.

II;ms Poelzig, Bühnenbild zu Georg Kaiser
„Gille und Joanne"
Dramatisches Theater, Berlin

V

Wenn es der dichtenden Jugend nicht ein-
fällt, die Form Shakespearischer Dramatik
auf das zum Drama gestaltete Erlebnis von
heute anzuwenden, nicht lessingisch daher-
kommt und auch von den Erstlingswerken
Hauptmanns sich nicht die Schaftstiebel
ausborgt —: braucht das Bühnenwerk die-
ser aufstrebenden Generation doch nicht
formlos sein. Es ist formlos im Vergleich
zu den Werken einer früheren Kunst-
epoche. Es isl formlos, wenn es vom
Chaos der Theater- und Regieführung sich
benebeln läßt und dem jeweiligen Mode-
regisseur ein Leibstück zur Publikums-
anreizung liefert. Es reift aber zur Form,
wenn es die Sinndeutung menschlichen Le-
bens so gestaltet, daß die hocbgesäulten
Horizonte eines eindeutigen Weltbildes das
Werk überwölben. Die äußeren Methoden der
Gestaltung sind nebensächlich. Ausschlag-
gebend für die Vollendung zur Form ist
die geistige Substanz des Werkes und die
von ihm ausgebende Atmosphäre. Publi-
kum isl auch noch heute eine knetbare
Masse. Es muß nur umgeschichtet wer-

Hans Botli, Bühnenbild zu Angermavcr

„Komödie um Hosa"
Dramatisches Theater, Berlin

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