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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Molzahn, Johannes: Auf dem Wege zur stahlzeitlichen Theatergestalt
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0137

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wird viel mehr aktiven Anteil vom Zuschauer
fordern, das Publikum wird selber in den Mittel-
punkt der Bühnenhandlung und der Vorgänge
gestellt sein. Wahrscheinlich wird die Arena
der Vergangenheit, auf neue Form gebracht, den
Typ des stahlzeitlichen Bühnenhauses bestimmen,
denn schon die Anwendung höchstgesteigerter
technischer Mittel wird die Arena als besonders
geeignet fordern. Die drehbare Anordnung der
Ränge würde, sinnvoll benutzt, die Erschließung
eines neuen Illusionsmiltels bedeuten, z. B. win-
den die verschiedenen Tempi der Drehbewegung
vorzüglich geeignet sein, irgendwelche astrono-
misch-planetarische oder kultische Vorgänge (die
einen großen Platz auf der kommenden Bühne
erhallen werden) zu unterstützen, aucli die Illu-
sion der Erdbewegung würde auf diese Art
möglich werden. In dieser Hinsicht kann das
Prinzip des Zeißschen Planetariums noch zu
einem hervorragendem Bühnenmittel entwickelt
werden, die projizierten Vorgänge könnten ja
auch anderer Art sein, so wie es dem Sinn des
betreffenden Spielvorgangs entspräche. Eine
große Bedeutung wird dem Film zugeordnet
werden müssen, der in Wahrheit ein Bülmen-
miltel ist und erst an dieser Stelle seinen eigent-
lichen Sinn bekommt.

Die statische Dekorations-Atrappe wird keinen
Platz auf der neuen Bühne behalten; das dyna-
misch-funktionelle ist im Akteur konzentriert. Die
Spielpsyche erscheint in Maskenverkörperung.
Optische und akustische Apparatur werden unge-
ahnte Steigerungen von Licht- und LaulmiUeln
möglich machen. Die Versuche von Ludwig
Hirschfeld-Mack, reflektorische Farbspiele, haben
in dieser Hinsicht vielleicht Möglichkeiten, aber
auch an Skrjabin's „Prometheus" sei hier erin-

nert, der in seinem „Lichtklavier" Musik- und
Farbverbindung versucht hat. Die Gesamtheit
aller neuen Mittel wird die Wirksamkeiten auf
das Ungewöhnliche stellen und das Bühnenwerk
der Zukunft zur lebendigen Sensation gestalten.
Vorerst wird es sich darum handeln, die alte
Bühne diesem neuen Geiste geeignet zu machen,
und vielleicht wird zuerst auch auf das begriff-
liche Bühnenwerk nicht ganz verzichtet werden
können, soweit es dem geistigen Aufbau und der
Vorbereitung des lebendigen Bodens dient (Ernst
Fuhrmann, Dramen „Zahl" und „Johannes
Faust"; Upton Sinclair „Die Maschine"). Es
ist gewiß nicht leicht, die richtigen und nütz-
lichen Wege zu erkennen, diese erfordern den
lebendigen Instinkt und große Gesichtspunkte
eines Bühnenleiters. Z. B. würde eine einseitig
ästhetisch-formale Einstellung ebenso hemmend
sein können wie eine einseitig technisch-me-
chanische.

Der gegenwärtige Ablauf läßt vielleicht die Pa-
rallelsetzung mit einem Nalurvorgang zu, der
mit dem Kirschbaum deutlich gemacht werden
soll: dieser entwickelt den neuen Aufbau der
Blüte des Jahres schon während und über die
Fruchtreife des Vorjahres hinaus bis etwa in den
Oktober hinein; alle Vorgänge stehen von da ab
völlig still und widerstreben jedem Forcierungs-
mittel, bis zu dem Zeitpunkt, da die Sonne in
ihre Wende eintritt und kulminiert. Danach
bedarf es nur der Wärme, um die Blüte zur
Entfallung zu bringen. Diese Gesetze, die alles
Leben bestimmen und gestalten, werden auch
die Theater der Stahlzeit und den neuen Men-
schen formen, weil das Leben eben den Sinn
und den Umsatz will.

Konstruktion für das Theater Meyerhold (Modell)

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