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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Burchartz, Max: Neuzeitliche Werbung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0186

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hängen der Natur gelernt. Solcherweise fordern
wir, daß Form sichtbare Nachaußcnselzung der
in den Dingen liegenden Beziehungskräfte und
der Zweckbestimmung sei.
Beispiel: Die Gestaltungsform eines Sluhles:
Zweck des Stuhles: Silz- und Ruheflächen für
den Körper darzubieten. Wichtig ist, geeigneteste
Lage aller Flächen, ihre Neigung zueinander,
ihre Größen, ihre Eigenschaften für das Tast-
gefühl (harte Breiter, weiche Polster). Diese
Sitz- und Ruheflächen müssen so verbunden sein,
daß der Stuhl stabil als Gegenstand stehen kann.
Der Stuhl soll möglichst leicht sein, nicht grü-
ßer als der Zweck erfordert, dauerhaft, sparsam
im Materialverbrauch und einfach herstellbar.
Funktionale Form des Stuhles zeigt die Bau-
stoffe, zeigt die Konstruktion. Täuschung,
Schein, der nicht der Wirklichkeit entspricht,
ist in jedem Falle zu vermeiden. Form muß
Zweck ausdrücken.

Für die Form der Einzelteile gilt die gleiche
Forderung wie für das Ganze. Das Stuhlbein
ist so leicht, so dünn, zugleich auch so stabil,
so einfach als nur möglich, je nach dem Bau-
stoff eckig oder rund zu bilden. Auch für das
Stuhlbein ist die zweckmäßig-technisch durch-
gebildete Gestalt die beste.

Früher fand man schön, wenn das Stuhlbein
einem Menschen- oder Tierbein ähnelte. Irgend-
wo ein leiser Schwung, ein paar Rundungen und
Verdickungen reichten Irin zur Suggestion der
„Vermenschlichung", der „Beseelung".

NEUESTE SONDERAUSFÜHRUNGEN:

_WEICHEN MIT

. HACHSPANNBAREN WURZELSTÜHLEN
_D. R. P. Ho, 413Q37

Heute lieben wir klare Unterscheidungen. Die
Menschen Mensch, die Stühle Stuhl. Menschen-
beine laufen, haben hundertfältige Funktion,
Stuhlbeine stehen fest, haben keine vielverzweig-
ten Zwecke.

Anthropromorphe Nachbildung empfinden wir als
altmodisch. Wir haben kein Interesse mehr für
sie. 'Die einstmals wichtige Nachbildung der
äußeren Erscheinungsform der Natur hat ihren
Sinn erfüllt. Sie verschwindet wie die Post-
kutsche. Nicht mehr dem äußeren Erscheinungs-
bilde nach, in anderem Sinne ist uns heute die
Natur Ziel und Vorbild.

Funktionaler Ausdruck fordert eine Formung,
die schon mit Beginn des flerstellungsprozesses
einsetzt. Sie gestaltet schon vom Rohstoff aus
erfinderisch, schöpf erisch-organisierend.
Das bedingt für die Durchgeslallung eines
Werbemittels umfangreiches Wissen, Kenntnis
seines Wesens und Erfahrung. Ist schon die
Gestaltung eines Sluhles eine schwierige und
umfangreiche Aufgabe, wieviel feinverzweigter
ist dann die Gestaltung einer Werbesache, die
mit feinsten Wirkungsmöglichkeiten auf die
Psyche Vieler, mit „Wahrscheinlichkeiten" rech-
nen muß. Trotzdem ist die Werbesache so be-
stimmt als möglich durchzubilden, „wie ein Mo-
tor auf die Kraftentfaltung hin".

2) Die harmonisch-einheitliche Durchbildung

Das Bemühen um eine radikal-funktionale Form-
gestaltung ist Errungenschaft der Gegenwart,

Vierseitiger Prospekt (Weichenbau, Bochumer Verein), Die Innenseiten. Farben des Originals: Schwarz und orange.
Gestaltungsmittel: Typensätz und Photomontage. Entwurf: Burchartz (Werbebau M. Burchartz, J. Canis, Bochum)
 
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