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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Wolf, Gustav: Vom Weg der Bautypen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0210

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nen sich von der frühen Ursprungsform
die einzelnen Werke, die von verschiede-
nen Kräften mit verschiedenen Mitteln ge-
schaffen werden, desto auffälliger verlie-
ren sie die sichtbare Abhängigkeit von ihr;
schließlich verlassen sie den Rahmen der
typischen Gestallung ganz und treten in
das Gebiet des Individuellen ein, sind oder
scheinen ausgesprochen Individual-Schöp-
fungen.

Aufstieg zum Gipfeltypus
Aber diese Abarlung des Individuellen vom
Typischen findet schließlich auch ihre
Grenze. Die lebenskräftigste Abartung vom
Typischen wird selbst zum neuen Typus.
Nehmen wir doch die Geschichte der Bür-
gerhausbauten einer Stadt: Aus Boden-
und Wirtschaftsverhältnissen entwickelte
sich eine bräuchliche Art der Raumver-
teilung zugleich mit gewissen Eigenschaf-
ten des konstruktiven und formalen Auf-
baues. Da treffen eines Tages der Wohl-
stand eines Bürgers und seine besondere
Eignung zum Bauherrn mit der Begabung
eines Baumeisters glücklich zusammen: es
wird ein neuer Vertreter der alten typi-
schen Bürgerhausanlage geschaffen, aber
mit so eifriger Durchprüfung alles Über-
lieferten, mit so gesammelter Ausnutzung
und Mehrung der Werte, und mit solcher
Abschleifung und Ausmerzung der Grob-
heilen, die dem Typus bisher anhafteten,
daß dieser nun gleichsam in neuem Glanz
erscheint. Vielleicht vereinen sich rein
praktische Vorzüge von Raumbewältigung
und struktivem Aufbau mit einem for-
malen Kleid von so meisterhafter Gestal-
lung, daß die gesamte Nachbarschaft zur
Nachahmung angespornt wird. So findet
dieses Werk, alles Voraufgegangene über-
ragend, schnell Nachbilder, so entstehen
deren in kurzem so viele an so wichtigen
Stellen, daß das Stadtbild nun dadurch
geradezu bestimmt wird: eine individuelle
Leistung hat den alten Typus gehoben,
ist selbst zum Vorbild vieler Nachbilder
geworden, die nun also einen neuen Typus
darstellen. Man mag da an das Goethe-
Haus in Frankfurt, ans Uphagen-Haus in
Danzig denken. Wer will später unter-
scheiden, wo volkstümliche Überlieferung
aufhört, persönliche Leistung anfängt?
Beides ist untrennbar verschmolzen.

Verharren Werkstoff und Werkzeug in
einer gewissen Stetigkeit, so sind nach
Ablauf einer naturgemäßen Entwicklung
schließlich die in ihrem Rahmen gegebe-
nen Gestaltungsmöglichkeiten so weit auf-
gefunden und erschöpft, daß selbst gestei-
gerte Kenntnisse und hochgespornte An-
sprüche die zuletzt gefundene Werkform
nicht weiter entwickeln, nicht mehr ver-
bessern können. Es ist einfach das Best-
mögliche geleistet — nichts Vollkomme-
nes, denn alle Menschen werke sind ja un-
vollkommen — aber die Vollendung eines
Typus, sein Optimum; man möchte sagen,
es ist ein Gipfel-Typus erreicht.

Abklang der Typenbildung
Und nun tritt eine interessante Erscheinung
gesetzmäßig auf: kaum ist das Optimum
erreicht und hat noch in dieser und jener
Anwendung auf den Sonderfall eine leise
Abwandlung gefunden, so erlahmt bei den
eigentlichen Erfinder- und Schöpfer-Kräf-
ten das Interesse für den Typus. Vom
ehrbaren Handwerk noch lange und mit
gutem Nutzen beibehalten, verflacht der
Typus oder stirbt. Die Erfinder aber wen-
den sich schon vorher dorthin, wo neue
Werkstoffe, neues Werkzeug, neue Zwecke,
Ansprüche und Erkenntnisse neue Primi-
tiv-Typen gebären: bis denn auch diese in
einem Gipfel-Typus ihre Vollendung finden
und sich so der Kette vom Werden und Ver-
gehen als gerundetes Glied anschließen.

Typus, Stil und Norm
Ließe sich etwa, wo hier vom Typus die
Rede ist, das Wort Stil gebrauchen? Ja
und nein! Wohl bedeutet ein neuer Bau-
typus oft einen neuen Stil. Wenn der
Einraum der Basilika weicht, wenn sich
das Seitenschiff des Domes nicht mehr
schmal und niedrig neben dem Mittelschiff
hinstreckt, sondern, sich zu gleicher Breite
und Höhe entfaltend, den Typus Hallen-
kirche werden läßt — dann ist mit der
Umbildung des Typus wohl eine Stilwand-
lung verknüpft. Aber ein Bautypus kann
einen Stil weit überdauern. Dafür ist der
Typ des niedersächsischen Bauernhauses
ein sprechender Beweis; hat er doch, so-
viel wir wissen, Lebensdauer schon von
der frühen Gotik bis weit über den Klassi-
zismus hinaus. Und noch aus einem ande-

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