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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Berlin Architektur-Ausstellung der Novembergruppe
Große Berliner Kunstausstellung.

Funktionalismus und Militarismus sind die zwei
Sclilagworte, mit denen man heute das weit-
gespannte Gebiet der Architektur einzugrenzen
glaubt. Beide sind aber nur Erscheinungen,
die zwar gerade jetzt von großer Aklualiläl
sind, sich der Architektur als Gesamterscheinung
aber ebenso unterordnen wie Form, Technik,
Konstruktion und Material.
Die heutige Stellung zur Architektur kann als
eine naturalistische bezeichnet werden. Jeder
einzelne versucht auf seine Weise die Lösung
eines Problems. Dabei wird zwar oft die Ein-
bezogenheil in das Gesamtgebiet vergessen, durch
die einseilige Verfolgung eines Zieles aber oft
überaus Wertvolles geleistet.

in einer geordneten Zeit mit klarem Wollen und
bestimmten Zielen wird jedes Werk Ausdruck
gemeinsamen Wollens sein. Trotz spezieller Auf-
fassung und bereichernder Differenzierung wird
es stets als wesentlicher Teil der architektonischen
Gesamtphysiognomie in Erscheinung treten.
Heule, beim Fehlen solcher Voraussetzungen,
fühlt sich jeder einzelne zur Geste des Fertigen
gezwungen. Daher die vielen unfruchtbaren Ver-
suche, zu einer Synthese zu kommen. Den „Stil"
unserer Zeit über alle Hemmungen hinweg
dokumentieren zu wollen.

Solches Streben ist vor allem für Erich Mendel-
sohn charakteristisch. Ahnlich wie Peter Behrens
in der Vorkriegszeit im Anschluß an den Klassi-
zismus den Weg zu einer verbindenden Einheit
erblickte, so glaubt heute Mendelsohn in der
Ueberbetonung gewisser konstruktiver Elemente
einen Weg zu ähnlichen Zielen gefunden zu
haben. Wie manche andere glaubt er mit der
Erfindung neuer Formen das architektonische
Problem als solches zu erfassen. Er verfügt auch
über die Fähigkeiten, dieses Wollen, wie sein
Projekt für die Trikotagen- und Strumpffabriken
Bote Fahne in Leningrad beweist, in großzügig-
ster Weise durchzuführen.

Ähnliches, wenn auch nicht mit gleichem Tem-
perament versuchen: Co. Brandes, Erwin Gul-
kind, II. Kosina, A. u. W. Luckhardt, Adolf
Meyer, Adolf Bading und L. Peri. Besonders
Kosinas Projekt für ein Planetarium im Berliner
Tiergarten muß als eine bemerkenswerte Leistung
dieser Gestaltungsabsichten bezeichnet werden.
Gleichfalls von Erwägungen der Form gehen
Otto Bartning, Peter Behrens, Hans Söder und
Heinrich Tessenow aus. Aber während die vor-
genannten bei ihren Formerfindungen von kon-
struktiven Voraussetzungen ausgehen, haben letz-
tere eine romantische Einstellung zur Form. Für
beide aber ist die Formvorstellung das Ent-
scheidende, Primäre.

Bei Berlage sind es nicht Formvorstellungen,
sondern geometrische Bindungen, die ihn bei der
Gestaltung entscheidend beeinflussen. Jedenfalls
auch hier Elemente, die außerhalb der eigent-
lichen Aufgabe liegen.

Im Gegensatz zu diesen Arbeiten, die die Bau-
aufgabe bestimmten Formvorstellungen unter-
ordnen, ist bei anderen die Form nicht Vor-
aussetzung, sondern Ergebnis. Unmittelbarer
Ausdruck des Funktionalen. Wird das Bauwerk
mit den Mitteln seines Aufbaues gestaltet? So
ist der stark gegliederte Baukörper der 1925 von
Hugo Häring erbauten Fabrik in Neustadl: in
Holstein aus den Bedingungen des Arbeitsvor-
ganges heraus entwickelt. Vermeidet jede hinzu-
gefügte Form. Jede Dckorativität. Jede Monu-
mentalisierungsabsicht. Oder Marl Slams Ent-
wurf für den Bahnhof in Genf. Ein Gestaltungs-
versuch der rein sachlichen Gegebenheilen einer
Bahnhofsanlage. Vergleicht man ihn mit irgend-
einer anderen, auch noch so modernen" Bahn-
hofsanlage, so erstaunt man über die Möglich-
keiten, die in der zweckmäßigen Organisation
einer Bauaufgabe liegen.

Bei der Durchbildung des Zweckvoll-Funklio-
nalen ergeben sich von keinerlei Formvorstel-
lungen gehemmte Entfaltungsmöglichkeiten, wie
sie die Arbeiten von Marcel Breuer, C. van
Eesteren, Alfred Gellborn. Ludwig Hilberseimer,
Georg Mucke, J. J. P. Oud und Max Taut zum
Ausdruck bringen. Arbeiten, die aus der schöp-
ferischen Durchdringung aller Erfordernisse und
Zwecke entstanden sind.

Ouds Wohnhausgruppe für Hock van Holland
gehört zum Vollendetsten, was die neue Architek-
tur hervorgebracht hat. Man könnte geneigt sein,
diese Arbeit klassisch zu nennen, wenn dieser Be-
griff nicht so viele Mißverständnisse zur Folge hätte.
Das Vorurteil, daß eine funktionsbestimmte Bau-
kunst die Entfaltung skulpluraler und farbiger
Gestallung ausschließe, widerlegen Budolf Bel-
lings Modell eines Buchdruckerwappens für das
Gewerkschaflshaus dm' Buchdrucker in Berlin
von Max Taut und Hugo Härings Studie zum
Fußboden des Treppenhauses zu seinem Projekt
der Berliner Sezession. Beide zeigen, daß slruk-
tive bauliche Elemente auch zum Inhalt skulp-
luraler oder farbiger Gestaltung werden können.

Ludwig Hilberseimer.

#

Architektenvereinigung „Der Ring".

Inzwischen haben die deutschen Architekten, die
in ihrer Arbeit den neuentdeckten Gesetzen des
Gestallens folgen, ihren Zusammenschluß voll-
zogen. „Der Bing" — Figur einer in sich ge-
schlossenen Form ohne Spitze — vereinigt eine
Gruppe Gleichgesinnter zu gemeinsamer Förde-
rung ihrer idealen Ziele. Zu der neuen Vereini-
gung gehören: Otto Bartning, W. G. Behrendt,
Peter Behrens, Bichard Docker, Walter Gropius,
Hugo Häring, Haesler-Celle, Ludwig Hilberseimer,
Arthur Korn, Karl Krayl, Hans Luckhardt,
Wassily Luckhardt, Einst May, Erich Mendelsohn,
Wolf Meyer, Ludwig Mies van der Hohe, Bern-
hard Pankok, Hans Poelzig, Adolf Bading, Hans
Soeder, Hans Scharoun, Waller Schiibach, Karl
Schneider, Bruno Taut, Max Taut, Heinrich Tesse-
now, Martin Wagner.

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