Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

DOI Artikel:
Rundschschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0347

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
bietet der neue Umbau der Berliner Wach- und
Schließ-Gesellschaft. Wenngleich es sich auch
hier noch um keine geschlossene Straßenwand
handelt, ist es doch leicht., sich die ganze Straße
aus den gleichen Elementen weiterentwickelt zu
denken. Die geringen Mittel, die für den Umbau
zur Verfügung standen, zwangen dazu, den ange-
setzten Betrag nur für Malerei, einfachste Stück-
arbeiten und eine Leuchtröhre, die ein Wahr-
zeichen des Wachthofes bei Nacht sein sollte, zu
verwenden. Die je nach ihrer Bedeutung großen
oder kleinen Schriftbänder wurden als das wich-
tigste Element der Fassade gefunden. Ihre An-
ordnung ist dementsprechend als große Über-
schrift auf der obersten durchgehenden Fläche,
an der Erkerwand nach der Eisenbahn, die des
Nachts von der Leuchtröhre bestrahlt wird, und
über dem Eingang erfolgt. Die Grundfarbe, die
die Schrift trägt, ist aus optischen Gründen und
als Reflektor des elektrischen Lichtes weiß, der
Erker als Kontrast indifferent grau und mit
horizontaler Biffelung, darauf die schwarze und
weiße Schrift. Als einzige aggressive Farbe zwischen
den drei indifferenten Farben schwarz, weiß und
grau zieht sich als leuchtender Faden die kobalt-
blaue Linie der Leuchtröhre, die zum Dach auf-
steigt und in einem Band wieder zur Erde sinkt.
Die verfügbaren Mittel sind also auf die Schrift-
und Leuchtelemente nach ihrer Wichtigkeit ver-
teilt worden. Man hat vermieden, die Fläche,
die nun den Gesetzen der Graphik oder des
Flachreliefs unterliegt, zu überlasten. Trotzdem
hat sich die Behörde grundsätzlich dagegen aus-
gesprochen, in der Annahme, daß solch „markt-
schreierisches'' Gebaren das ...einheitliche" Bild
der Luisenstraße gefährdet. Es wäre interessant,
die praktisch-künstlerischen Gesichtspunkte zu er-
fahren, von denen sich die Behörde bei diesem

Urteil leiten ließ. Arthur Korn

*

Leipziger Herbstmesse 1926

Ein kunstempfängliches Gemüt, das nur am Besten
Gefallen findet, könnte an dem Jahrmarktstrei-
ben dieser Warenschau vorübergehen, ohne die Zu-
sammenhänge von Kunst und Wirtschaft zu be-
greifen. Die dolosen Zufälligkeiten unseres täg-
lichen Gebrauchkrams beanspruchen Verständnis
für solche Wechselwirkung.

In Leipzig haben wir keine Kunstgewerbeschau,
sondern nur den großen Zusammenfluß von
Waren, die lediglich dem Kaufmann zur materiel-
len Begutachtung vorliegen. Ohne Neigung oder
Abneigung zu dem Gegenstand interpretiert er
feinfühlig die Menge; und diesem Willen zu einem
Ausgleich von Angebot und Nachfrage müssen wir
uns unterwerfen, denn auch unsere eigene Kauf-
kraft gehört zu seinem Anteil an der Herstellung
der Ware. In dieser großen Revue des Handels
interessiert uns weniger die Spitzenleistung als die
übliche Form der für den täglichen Gebrauch ge-
fertigten Dinge, alles was zu unserem Gebrauch
gehört, und, darüber hinaus, das Leben in un-
entbehrlicher Weise schmückt.

Hier offenbart sich das Verwandlungsgesetz einer
gewaltigen Produktion als der Schönheitssinn des
Volkes, und solche typischen Gegenstände verraten
oft mehr als kunstgewerblich zugespitzte Dinge,
wie es auf dieser Stufenleiter von Handwerk, In-
dustrie und Kunst hinauf und hinunter geht.
Neben der Beobachtung des Typischen wird ein
wachsames Auge auf die Darbietung des Gegen-
standes sehen. Auch die Ankündigung ist ein Bild
der Zeit. Dem Künstler eher gibt sie, als der
Gegenstand selbst, Gelegenheit, sich Geltung zu
verschaffen.

Wir schauen auf die Stellen, wo sich Ans-cbol
und Nachfrage berührt. Es ist das Bild eines un-
mittelbaren Verkehrs zwischen Straße und Stapel-
platz. Eine fröhliche Karawanserei unterbricht den
burgenhaften Starrsinn der Häuser. Die Einbe-
ziehung von Höfen und kleinen Gassen in den
allgemeinen Laufraum gibt das freizügige Bild
der orientalischen Stadt. Die geschäftige Ausbrei-
tung in einer malerischen Altstadt erscheint uns
eher ein Symbol des Handels als die steife Reser-
viertheit unserer Straßenfluchten. Neben diesem
unabsichtlichen Eindruck steht die lebendige An-
kündigung, die den Gegensatz von Schein und
Wirklichkeit erhöht. Dieser karnevalistische Aus-
druck des Geschäftslebens schien mir noch vor
einigen Jahren grotesker als heute. Es war wun-
derlich anzusehen, wie sich Gelegenheitsarbeiter
mit tieftraurigen Gesichtern an einer Stelle sam-
melten, in lächerlicher, aber geschickter Maske-
rade zur Werbung irgend einer notwendigen
Nichtsnutzigkeit herumzutreten. Überall ist Lok-
ken und Heischen in weit künstlerischer Form
als der Gegenstand. Solche dekorativen Lockmittel
sind ein hübscher Rahmen, die Manufakturen wir-
kungsvoll hineinzuselzen. Dabei will ich das Tex-
tilgewerbe erwähnen, und im Gegensatz zu einem
Teil der weißen Ware die geschickte Gruppierung
und Aufstellung der Wollgewebe, die in Form
und Farbe ein gesetzgebendes Wesen zeigen und
sich mit Anmut der universalistischen Laune von
jedermann entziehen.

Das ist das erste Urteil über den Gegenstand selbst.
Sprach ich oben von schönem Schein und herber
Wirklichkeit, so brauche ich in dieser Stadt nicht
weit zu sehen. Wir schleppen mit vergrößertem
Elend auch die Imponderabilien eines überflüssi-
gen Luxus hinein in unsere Tage. Das „panem et
circenses" kann hier auf den Wechsel von gutem
Einkommen und behaglichem Überfluß törichter
Spielformen gedeutet werden.
Bei manchen Kleinwaren läßt auch die Freude an
künstlerischer Werbung nach. Nur ängstliche
Sorge behütet ihren Absatz. Ihre Hersteller haben
eine Tantalidenarbeit um Neuigkeiten, und in die-
sem Ewigkeitskampf um die neue Form erschöp-
fen sie sich und ihre Abnehmer. Jedes Material
gefällt sich in wunderlichen Maskierungen. Ein-
facher im Ausdruck sind wohl die Durchschnitls-
möbel, dennoch das gleiche Bild der Stapelware:
nirgends ein überzeugender Typ. Auf die Ver-
satilität des Geschmackes will ich hier gar nicht

279
 
Annotationen