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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Lutz, Friedrich A.: Die Lipperheidesche Kostümbibliothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0392

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Frankreich um 1700

Frankreich um iSoo

dürfnisse. Von diesen sozusagen körperlichen Be-
dürfnissen aus muß, wenn er produktiv sein soll,
der dem Menschen angeborene Kunsttrieb stets von
neuem seinen Ausgang nehmen, um sich darauf-
hin erst in geistige Fähigkeiten von sozialem Nut-
zen verwandeln zu können.

Bekleidung, Tracht und Kostüm des Menschen,
wie die Lipperheidesche Sammlung sie uns vor-
führt, gewinnen auf Grund dieser Voraussetzun-
gen eine ungeahnte Bedeutung für die Empfin-
dung' der Notwendigkeit eigener schöpferischer
Tätigkeit, ausgehend von sichtbaren Gestaltungen,
wie sie am ursprünglichsten stets die Mode dar-
bietet, die wir deshalb, auch in ihren Äußerungen
der Vergangenheit, mit größerem Interesse be-
trachten als je zuvor.

In seiner Bekleidung zieht das Spiegelbild des
Menschen aller Zeiten und aller Völker an uns
vorüber, der Mensch als Herrscher oder Hofmann,
Geistlicher, Ordensmann, in Amtslracht oder im
Gewände des Handwerkers, als Kaufmann, Bauer,
Bergmann, Musiker, Arzt, Apotheker und Richter,
als Student, in Universitätstracht oder als Kriegs-
mann; bei • Festlichkeiten, Kirchen- und Volks-
festen, bei Sport und Spiel, beim Turnier, Reiten,
Fechten, Schießen, Jagen und Fischen, Turnen
und Ringen, beim Eislauf und gymnastischen
Spielen, bei Unterhaltung und Tanz, beim Essen

und Trinken an der Tafel, beim Karneval und im
Theater. Wir sehen, wie der Mensch aller Zeilen
sich in unerhörter Ausdrucksfähigkeit die äußere
Form seiner Existenz geschaffen hat, eine Form,
die immer so ausgeprägt in Erscheinung tritt, daß
die gleichzeitige Malerei und Bildhauerei sich von
ihr abhängig machen konnte. Wir sehen aber
auch, daß der Mensch es sich niemals mit der von
ihm erreichten Darstellung genügen läßt, sondern
daß er immer und ewig versucht, sein Thema von
neuem zu variieren, auf Grund ständig sich
ändernder Lebensverhältnisse und nach Gestaltung
drängenden Lebensgefühles, das, wie wir gesehen
haben, stets vom Menschen selbst seinen Ausgang
nimmt.

Die Kostbarkeilen der „Lipperheide" aber wün-
schen wir uns, auf der Grundlage höherer Ein-
schätzung, in Zukunft nicht in Kisten und Kasten
verpackt und in unzureichenden Räumen aufge-
stapelt, sondern im Mittelpunkt eines Hauses der
Mode, dessen Errichtung uns im Interesse öffent-
licher Kunslpflege unserer Zeit wichtiger , er-
scheint, als der immer systematischer und einsei-
tiger geübte Ausbau von Museen, deren Unnah-
barkeit nur noch mit Hilfe von Fremdenführern
überwunden werden kann und deren starre Re-
präsentation das Gefühl für selbsttätig sich ent-
wickelnde Kunst noch völlig ertöten wird.

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