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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926

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Lutz, Friedrich A.: Die Lipperheidesche Kostümbibliothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.13211#0391

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doch nach wie vor das ewige Bedürfnis, seine Be-
kleidung immer von neuem zu verzieren und zu
verschönern, zu diesem Zweck immer neue Mate-
rialien und Ziersegenslände zu finden; ein Be-
sireben, das heute wie zu allen früheren Zeiten
das Wesen der Mode ausmacht und eng verbunden
ist mit dem Wesen aller menschlichen künstleri-
schen Betätigung überhaupt.

Unter solchen Voraussetzungen bietet die Lipper-
heidesche Sammlung ein Anschauungsmaterial von
höchster Bedeutung. Der Beschauer allerdings, der
von Gesichtspunkten historischer Entwicklung aus-
sehend, diese Dokumente nur in einer Auswahl
sehen will, nach einer Zusohreibung an bestimmte
Künsllerpersönlichkeiten oder Schulen geordnet,
als Beweisslücke besonderer Blütezeilen oder gar
angenommener Kulturkreise, steht bald vor der
Erkenntnis, daß er sich vor den modischen Gestal-
tungen aller Zeiten und Völker recht voraus-
selzungslosen Erscheinungen gegenüber befindet
und daß bei der Betrachtung der unzähligen Va-
riationen von Jacke und Hose oder Jacke und
Bock von einer Entwicklung, im Sinne der üb-
lichen Kunstgeschichte, nie und nimmer die Bede
sein kann. Dieser Beschauer sieht deshalb in den
Schöpfungen der Mode von heule sowohl als in
den Schöpfungen der Mode früherer Zeiten meist
mehr oder weniger willkürliche Ausschreilungen
und Launen menschlichen Tuns, denen er gerne

eine nebensächliche Bedeutung zuschreiben möchte,
entsprechend der ihm anerzogenen Anschauung,
der zufolge nicht die als unmittelbare Äußerun-
gen des Lebens entstandenen Gestaltungen als
„Kunst" gelten dürfen, sondern nur die nach be-
sonderer Auswahl in unseren Museen angehäuften
Werke einer sogenannten hohen Kunst, deren Zu-
standekommen auch heute noch mit Vorliebe
einem mehr oder weniger übersinnlichen Produk-
tionsdrang zugeschrieben wird, dessen Interpreta-
tion sich unsere Kunstwissenschaft derart ange-
nommen hat, daß auch die letzten Beziehungen
naiver Beschauer zu diesen Lebensäußerungen von
Menschenhand vernichtet worden sind.
Anders wer mit offenen Sinnen den Anforderun-
gen des in allen Zeilen auf Verständnis wartenden
Lebens gegenübersteht und selbst produktiv mit-
arbeitet an den Gestaltungen des Ausdrucksver-
mögens der eigenen Zeit. Er sieht gerade in den
Schöpfungen der Mode den Produktionszwang der
menschlichen Phantasie in seiner ursprünglichsten
Form immer und immer wiederkehren, er sieht,
daß von der Mode aus die Gestaltung alles Sicht-
baren sich entwickelt. Die Mode ist ihm Beweis
dafür, daß künstlerische Betätigung heule wie zu
allen Zeilen erst dort erwacht, wo sie dem Men-
schen individuellen Nutzen verschafft, sei es durch
Schmuck seines Körpers, im Dienste seines Spiel-
triebs oder zur Erweiterung seiner Mitteilungsb.e-

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