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Heidelberger Zeitung — 1863 (Juli bis Dezember)

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Oktober
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https://doi.org/10.11588/diglit.2801#0368

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wlll, so wird, unaeachtet des Widerspruchs
der iu dem Mannh. Anz. vcrtretenen Partei,
doch das Lindenallce.Project zur Ausführung
kommen. Daß die Jntereffen der Stadt Mann-
heim hierdurch in ganz gleicher Weise verletzt
werden solle», als wie durch die Richtung der
Main-Neckarbahn über Friedrichsfeld, können
wir nicht einsehen, und darum ist es uns stets
lächerlich vorgekommen, wenn die beiden Par-
teien, die doch gleichmäßig auf das Wohl der
Stadt bedacht find, fich so leidenschaftlich be-
kämpfen. Bei der Bauart der Stadi Mann-
heim kommt wenig darauf an, wohin der
Bahnhof verlegt wird, da uian in zchn Mi-
nutcn die ganze Stadt in feder Richtung durch-
laufen kann. Welcher der verschiedenen Pläne
aber auch beliebt werden mag, so wird in
sedem Falle irgend cin Theil der Stadt und
ihrer Bewohner verhältnißmäßig begünstigt,
ein andcrer benachtheiligt scin. Das ist un-
vermcidlich, und man muß es geduldig hin-
nehmcn, wenn nür das städtische Jntereffe im
Allgemeinen und Ganzen dadurch nicht ver-
kümmert wird. Daß dieses aber hier nicht
dcr Fall ist, sondern großentheils nur Privat-
intercffen dabei im Spiele sind, geht schon
daraus hervor, daß so viele und verschieden-
artige Pläne dahier aufgetaucht find, so daß
es beinahe schicn, als wolle jeder Kaufmann
oder Wirth den Bahnhof in der Nähe seineS
Hauses haben. Ein solchds Streben ist aber
mindestens kleinlich zu uennen.

Koblenz, 12. Oct. Jn der gestern Abend
8 Uhr abgehaltenen Urwählerversammlung der
liberalen Parrei, in welcher der Vorsttzende
das Wirken des aufgelösten Abgeordnetenhauses
und insbesondere unserer bcidcn Abgeordneten
Raffauf und Kaspers schilderte, einigte man
fich unter stürmischem Bcifallsruf übcr die
Wiederwahl der letzteren. Jm ferneren Ver-
lauf dcr Verhandlungcn, während deren der
anwesenbe Polizeiinspector fleißig in seinem
Notizbuch aufzeichnete,, bemühre sich der Vor-
fitzende, die Verfaffungsurkunde in der Hand,
in einer längeren Rede eine Reihe von Ver-
faffungsverletzungen nachzuweisen und zu be-
leuchten, und bekampfte unter anhaltendem Bei-
fallsruf das Wahlrescript .des MinisterS Eulen-
burg, sowic die Prcßordonnanz vom 1. Juni.
Da erhob flch der Polizeiinspector, erklärte im
Namen des Gesetzes die Versammlung für auf-
gclöst, weil der Vorsißende das Staatsmini-
sterium beleidigt habe, und fordcrte zum Aus-
einandcrgehen und Löschcn der Lichter auf.
Eine große Aufregung, Zischen und Pereats-
rufe folgten den Worten des Jnspectors. Der
Vorfitzende mahnte zur Ruhe und suchte durch
das Vercinsgesetz zu beweisen, daß dic Polizei
kein Recht habe, einzuschreiten. Dicse indcffen
wicderholte ihre Aufforderung mit der Drohung,
sofort die bewaffnete Macht zu rcquiriren, die
denn auch sofort mit dem Commissarius, der
stch vorher entfernt hatte, erschien, um den
Saal zu räumen. Der Vorsitzende ersuchte,
der Gewalt zu weichen, und unter großem
Tumult trenntc sich die Versammlung. Es
ist dies der erste Fall am Rhein, daß eine
Urwählerversammlung aufgelöst wurde.

Die Letztere zeigte uns, daß sie auch übcr ernst gc- !
stimmte Saiten zu verfügen hat. Auch Herr Art- ;
mann konnte befriedigen, als er etwas lebhafter !
wurde. Ebenso trugen die Ncbenrollen dcr Herren >
Fretmüller, Delcliseur, sogar Hoffmann
zum allgemeinen Gelingen bci. Wir sind über- !
zeugt, daß eine baldige Wiederholung, etwa geradc.
in einer Abonnementsvorstcllung, einem zahlreichen .
Publikum willkommen wäre.

Aus dem Wiencr Gerichtssaale.
Eine auS der Tabaktrafik.
(Schluß.)

Der Präfident vernimmt die Bcfchädigtc. Fräll '
Rosa Stauber ist 28 Aahre alt, zu Pest gcborcn
und Wittwe. Die Dame hält einc lange, sehr
länge Rede, in welcher fie gegen ihre Ladncrin !
Beschuldigung auf Beschuldigung häust. Ste sagt:
Sehen Ste, hoher GcrichtShof, ich hattc »or der .
Anna cin MLdchen, die hieß Mathilde. Sie «ar '
sehr brav und sreundlich, aber rcchnen konnic fie

> Bremen» 10. Oct. Die Dänen scheinen
durch kletne Winke den deutschen Küstenplätzen
andeuten zu wvllen, daß fie geneigt sind, mit
ihren Kriegsdrvhungen Ernst zu machcn. So
hat fich vor der Weser dteser Tage ein däni-
scher Kricgskutter gezeigt, und nach Nachrich-
ten aus Hamburg zieht die dänische Regierung
ihr Silber auS der dortigen Bank. (Wes. Z.)

Wten, 12. Oct. Von Seiten dcs Fi'nanz-
ministers werden in einer der nächsten Sitzun-
gen des Abgeordnetenhauses folgende 4 Vor-
lagen erwartet: „1) Ein Gesetzentwurf, die
Bewilligung des Anlehens für Üngarn betr.;
2) cin Gesetzentwurf, die Regulirung dcr
Staatsschuld betreffend; 3) ein Gesetzentwurf,
dic eventuelle Emission weitercr Anlehen be-
treffcnd, und endltch 4) ein Gesetzentwurf, die
Pauschalbewilligung der im vorigen Jahre ge-
nehmigten Steucrn und Zuschläge für die zwei
Monate November und December betreffend.
Letzterer Entwurf wird mi't der Thatsache
mvtivirt, daß eine regelmäßige Bewilligung
durch den Reichsrath der Kürze der Zeit halber
nicht durchzuführcn sei.

Triest. Der Hirtenbrief dcs Bischofs von
Tricnt, welcher in maßloser Weise die Prote-
stantcn schwähte, ist ungeahndet geblicben, trotz
aller sclbst im Reichsrath darüber geführten
Verhandlungen. Kein Wunder, daß sich der
Thatendurst des ultramonianen Klerus durch
diesc Strasiofigkeit zu weiteren Uebcrgriffen
verleiken läßt. Es liegt uns heutc ein in
italienischer Sprache geschriebenes und in Be-
nedig bei Naratovich gedrucktcs Schriftchen
vor, wclches unter dem Aushängschild: „vol
vulto vsttolioo" Bemerkungen übcr einen in
der Görzer „Ackerbau - Zeitung" erschiencnen
Bericht über die am 14. Mai d. I. erfolgtc
Grundsteinlegung zum Bau einer evangelischen
Kirche enthält, die in der That Alles über-
bicten, was uns an Schmähungen gegen die
evangelische Kirche in der Literatur der Gegen-
wart bekannt geworden ist — (was mancher
Ultramvntanc beherzigen mag). Wir hören,
daß die zunächst dadurch Betroffenen gegen den
Verfaffer die Klage auf Beleidigung einer an-
erkannten Kirchc anstellen woüen. S. 7 findet
sich wörtlich folgcnder Satz: „Diese Worte
beziehen sich auf die Errichtung eines Tem-
pels: cr hätte sehr wohl sagen können, sie
bezögen sich auf ei'nen dem Gott Lüthcr zu
Ehren errichteten Tempel, dem aufrfihrerisch-
stcn, verwegcnsten liedcrlichstcii Apostaten vom
Glauben und von der Scham, den es je ge-
geben, dem Blutschänder und Kirchenschänder,.
der stch mit einer von ihm vcrführten Nonne
Anna Bora in blut- und kirchenschänderischer
Ehe verbunden, und diesem schändlichen Ketzer-
anführer zu Ehren errichtet man Tempel."
S. 9: Das cinzige gemeinsame Dogma der so
vielen, so verschiedenen, so absurden, jo ab-
scheulichen, so ertravagante» und so lächer«
lichen Secten, und das einzige Band, das sie
zusammenhält, ist das Gefühl des Hasses gegen
die katholische Kirche." Auf S. 10 wird von
Luther gesagt: „er machte auS dem Sakrament
der Ehe einen Vertrag zeitweiligen Zusammen-
lebens, wie es gerade der Wollust beliebt und

bequem ist." S. 11, 12, 13 steht geschrkeben:
„Der Protestantismus ist mithin gar keine
Rcligion . . . ihm fehlt die wahre Liebe des
Evangeliums, die katholische Liebe (die spürt
man in der gehässtgen Beurtheilung christlicher
Brüder!) wic in Worten, so in der That...
Neuerdings, w» immer die Cholera wüthete,
hat stch die Schwäche der protestantischcn Geist-
lt'chen genugsam durch Flucht vor der Gefahr
documentirt." Während die „kathol. Priester
ihr Leben lafsen für ihre Schafe, überläßtder
Diener des Irrthnms, der feile Miethling, die
ihm anvertraute Seele in dem fürchterlichen
Augenblick des Ucbergangs zur Ewigkeit ihren
Zweifeln, ihren GewissenSbiffen, ihrer Ver-
zwciflung, odcr begibt sich zum Slcrbenden,
um ihm eitle, unfruchtbare Gebete vorzulesen,
so kalt wie der Schipciß des Todes, der sie
dahinrafft.« (Triester Ztg.)

Frankreich.

Paris, 13. Okt. Der Marschall Graf
d'Ornano ist diesen Morgen gestorben.

Paris, 13. Okt. Heute ist wie bereits
gemeldet der schon seit einiger Zeit erkrankte
StaatSminister Billault gestorben, eine der
crgebensten und talcntvollsten Stüßen des
zweiten KaiserrcichS. Geboren 1805, erlangte
er zuerst als Advokat in Nantes einen Namen
und trat 1837 in die Abgeordnctenkammer.
Er schloß sich Thiers an, und seine politischc
Thätigkeit verschaffte ihm nicht blos die Stelle
eines Rechtskonsulenten des HerzogS von Au-
male, sondern auch im Ministerium Thiers
(1840) die Stelle eines Unterstaatssecretärs.
Nach dem Sturz^des Ministeriums ließ er
sich in das Barreau von Paris aufiiehme»
und trat nun in die Reihen der Opposition
gegen Guizot. Als Redner nahm er eine
hervorragende Stelle ein, er donnerte bei je-
der Gelegenheit gegen „die Corruption,
welche ganz Frankreich überziehend, die Reprä-
-sentativeinrichtungen für immer zu vernichten
droht." Rach der Februarrevolution ging er
noch weiter links, gehörte in der National-
versammlung zur demokratischen Partei, und
blicb dieser treu bis zum Staatsstreich des
2. Dezembers, der ihn für die Sache L. Na-
poleons gewann. Er wurde jetzt Präsident
deS geseßgebenden KörperS, war eines der
Hauptwerkzcuge bei der Wieverherstellung des
Kaiserreichs, wurde 1854 an Persigny's
Stelle Ministcr des Jnnern und bekleibete
diese Stelle, in welcher der ehemalige Demo-
krat das Werkzeug der kaiserlichen Repressiv-
politik in ihrcr despotischsten Periode war,
mit ei»er kurzen Unterbrechung bis zum Iahr
1861. Als in diesem Jahr dem Senat und
gesetzgebenden Körper etwaS größere Frciheit
und einiger parlamentarische Apparat zugc-
standen wurde, wurde Billault Minister ohne
Portcfeuille und hatte als solcher die Politik
deS Kaiserreichs var den Kammern zu ver-
theidigen, eine Aufgabe, der er bekanntlich in
glänzenden Leistungen der Beredsamkeit nach-
kam. Als i'm Juni des laufenden Jahrs das
Institut der Sprechminister wieder aufgehoben

nicht. Jch mußte ihr das Einmalcins anschaffen
(Lachen) und eigens einen Privatlebrer aufnehmen,
der sie unterrichten mußte. Nun, sehcn Sic, abcr
niemals ist uns ctwas weggekommen, im Gegcn-
theil, es waren immer Uebcrschüffe von 8—15 fl.
monatlich. Lcidcr ist Mathklde krank geworden.
Jch hattc anfangs zu der Anna großes Zutrauen,
und sclbst als der Diebstahl cntdcckt «urde, hielt
ich einen Gewölbwächtcr, den ich schon seit länge-
rcm tm B-rdacht hattc, für den Thäter. Um mich
zu überzeugen, beschloß ich, ihn deS Nachts zu
beobachten. Zch zog MLnnerkleider an, da ich eg
doch als Dame nicht wagen durfte, des Nachts alleirk
an dcr Donau zu promeniren, und stellte mctne
Betrachtungcn an; allein der Mann erlaubte sich
nichts Verdächtiges. Endlich ward tch von einem
bekannten Herrn auf die Diebin aufmerksam ge-
macht, und der Aufwand, dcn ich an ihr bemerktc,
bestätigte meine Voraussetzungen.

Dr. Guncsch: Sie habcn behauptet, Anna habe
sehr lururiös gclebt, fich Emmcnthaler Käsc und
Bier und solche Delicateffcn gegönnt. (Lachen.) —
Frau Stauber: D»s gcrade nicht, aber sie hat
alle Tage aus dem Lafe Schuster das Frühstück
holen laffen, und einmal hat fic sogar ein Käl-
bernes in der Früh gegeffen, das erlaube ich mir
nicht cinmal!— Angekl. (aufspringend): Ach bitte,
darf ich denn nicht sprechen? — Präs.: Warten
Sie, biS Sie gefragt wcrden. — Angekl. (gereizt):
Za, das wäre aües sehr schön, «enn es wahr

wärc. — Frau Stauber (von ihrem Sitze auS):
Entschuldigen Sie, Herr PrLfident ... — Präs.
(mit Nachbruck): Jch bittc.

Zn einem solchen Tone geht es längere Zeit fort.
Dic beiden Damen sagen sich allcs, nur keinc Zärt-
lichkeiten; eine will Ler andern nichtS schuldig blei-
ben, und nur mit Anwendung der größten Energie
gelingt es dem Vorsitzenden, eine Kampfscene vor
dcm grünen Tischc hjntanzuhalten. Sogar die Fa-
milicnverhältniffc dcr Frau Stauber werden »on
Anna ntchi geschont. Sie ruft aus : Schreiben Sie
nach Pest, Hcrr Richter, und Sic werden merk-
würdige Geschichten höre«. Sie hat stets gesagt,
ihr Mann sei todt, aber - - - ^ Präs. : Das sind
Persönlichketten, die gehören rncht daher. — Zeu-
gin i(hefttg): Jch kann den Todtenschetn meines
Manncs bcibringcn. — Pras.: Laffen Sie das gut
sein. — Angekl. (gereizt): Der wird alles geglaubl
uttd mir gar nichts. Zn diesem Tone geht es ein
Weilchcn fort. ES wird noch ein Zeuge vcrnom-
men, dcr angibt, Anna habe sehr vtel Obst ver-
zehrt. Anna ruft ob dieser Bcschuldigung weincnd
aus: „Herr Rtchter, mcinc Mutter ist etne Oebstle-
rin unb ich werd mir bei eincr andern ein Obst
kaufen? Zch bitt' Sie!" (Gclächtrr.)

Der GerichtShof aber läßt sich nicht erbitten und
fieht sich vcranlaßt, das schönc Tabak-Lädenmädcheir
zu vter Monaten Kerkers zu verurtheilen.
 
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