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Heidelberger Zeitung — 1864 (Juli bis Dezember)

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Nr. 283-308 December
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Htidtlvergtr Itilung.

N» 2S8. Sonntag, 18. December 18SH.

^ Die kurhessische Frage

tritt neben den vielen anderen Fragen in
neuerer Zeit ebenfalls wieder mehr und mehr
in den Vordergrund.

Die Zustände Kltrhessens sind ganz eigener
Art. Der Landesherr dortsclbst scheint seine
Selbstherrlichkeit lediglich dadurch docnmentiren
zu wollen, daß cr immer das thut, was sein
Volk nicht will, und daß er das nicht thut,
was das ganze Volk einmüthig begehrt. Wo
die Staude Ja sagen, kann man mit Sicher-
heit darauf rechnen, daß der Kurfürst Nein sagt
und umgekehrt. Auf diese Weise bleiben nun
allc Forderungen und Wünjche des Landes
-schon seit Jahren unerfülll. Es greift dieses
merkwürdigerweise bis in die politisch unschul-
digsten Dinge, z. B. die Eisenbahn-, die Bau-
Angelegenheiten u. s. w., hinein. Zwar hat der
Kurfürst seit der bitteren Erfahrung von 1862
(wo er von den andern deutscheu Fürsten völlig
verlassen war und die widerrechtlich ausgehobene
Verfassung wieder herstellen mußte) sich vor
jedem eigentlichen StaatSstrciche, jedem directen
^ Zuwidcrhandeln wider die Verfassung mehr ge-
hütet. Aber er macht oft auf sehr seltsame
Weise seinen Willen aus negative Weise und
durch passivcn Widerstand gellend. Wenn z. B.
die Standekammer Gcsetze bcrathct, und sclbst
das Ministerium ihnen beipstichtel, so unter-
zeichnet sie der Kurfürst nicht. Wenn die
Landes-Angchörigen Pclilionen und Beschwer-
den einrcichcn, wenn selbst die Verwaltungsbe-
hörden um Verhalrungsmaßregeln nachsuchcn,
so gibt der Kurfürst ebcn keine Autwort. So
stehk vic kurhejsijche SlaatSmajchiiie thatjächlich
stiU: AUe Verhaltnisse stockcn und die Bevöl-
ternng desLandes leidct hieruntcr anfsAeußerste.

Unlcr dicser traurigcn Lage dcr Dinge stcllte
dcr Abgcordnele Jungmann vor ctwa 6 Wochen
dcn Antrag, die Slaitdeversammlung möge eincn
Auöschuß nicdersetzen, um den Zustand dcS Lan-
dcs zu prnfen.

Dcr Anlrag ging durck; der Ansschuß wurde
in der That niedcrgcjetzt, und cS wnrde ihm
vom Aniragstcllcr eine Dcnkschrisl unterbreitcl,
in welckcr dic Lage Kurhcssens eincr cingehen-
dcn Crilik unlcrworfeu wurde. 9l einzclne
Puukle waren in dersclbeu cnlhallen, von dencn
jedcr erwicscn ist und eine jchwere Anklage
wiber oic Ncgierung enlhält. Nicht aUcin die
Gcsetze öffentlich reckllichcr Natnr^ namcntlich
in Bczng anf endllchc Erlcdignng deö frühern
Dcrsassnngsslr^tcö, sind nickt zum Abschlnsse
gebrachl woreen, sondern auch in jeder andcrn
Bcziehung isl — wie in dcr Dcukschrift nach-

Der Proceß Ler Dreizehn.

Paris, 7. December.

Hcute wurde, wie schon k»rz erwähnt, das Ur-
theil in ScrLen der in der Wahl-Affaire bkscbul-
digten Dkputirten und Aevokatkn, dreizehn an cker
Zahl, gesprocben. Drr Gerichtshof, der sich sonst
erst um 11 Uhr 10 oder 15 Minuten im GerichtS-
saale elnzufindkn pflegt, war heute sthr pünktlich
und nahm Scblag 11 Uhr seinen S tz ein. Die
Tbüren drs Saales wurden sofort grschloffcn, ohne
daß auch nur irgcnd Jemand eingelasse» wurde,
obgleich erst zwei oder drei ter Beschuldigten an-
wesend waren. Der Saal war in Folge dcssen lerr,
waS auch wohl die Absicht dieser Maßregel war.

,Man woUte im Stande sein, die Anwesenden beffer
zu überwachcn, unv eine Demonstration gkgen das
Urtheil, daS vorgetragen werden mußte, leichter zu
verhindern. Die Richter — und dieses ist bemer--
kenSwerth — verließen nach dem Vortrage des Ur-
theilS sofort den Saal und wurden durch andere
ersetzt. Wie man «eiter unten sehen wird, gaben

gewiesen wurde — Alles versäumt, selbst auf
dem industriellen und volkswirthschaftlichen Ge-
biete. Der Ausschuß der kurhessischeu Stäude-
versammlung hat nun im Sinne jencr Denk-
schrift dem Kurfürsten die Lage des Landes in
einer Adresse vorgcstellt und um Abhilse der
Nothstände gebeten. Fast wider Erwarleu gab
derselbe diesmal ziemlich schleunig Antwort
hicrauf. Er spielte hierin den Beleidtgten,
sprach im Tone gekränkter Unschuld und schob
alle Schuld auf die Stände. Diese selbst hätten
— so sagte er — sich zuzuschreiben, wenn die
Verfassung von 1862 noch nicht in Erfüllung
gegangen wäre, sich selbft beizumessen, wenn
die materiellen Jnteressen des Landes Noth
litten (!). Eine Fürsorge für dieselben werdc
erst möglich sein, wenn eine andere Wahlord-
nung und eine andere Ständeversammlung ins
Leben getreten. — Auch der beregte Schritt der
Ständc hatte somit keinen Erfolg; alle verfas-
sungsmäßigen Mittel sind erschöpft, und es ift
bis jetzt noch nicht abzusehen, was in dem un-
glücktichen Lande weiter geschehen wird.

* Politische Umschau.

Die Hoffnung der Berliner „Provinzial-Cor-
respondenz": die ÄnerkennuugSerklärung der
Beamten der Herzogthümer sei gar nicht zwei-
felhaft, dürfte doch zu Wasser werden, denn
neuesten Privatnachrichten zufolge hat daö
Verlangen im ganzen Lande Erbitterung, bei
den Anhängern uud Werkzeugen des Preußen-
thums aber Unbehagcn und Verlegenheit her-
vorgerufen. Es kann hiernach mir Bestimmt-
hcit angenoninien werden, daß es den Coinmij-
särcn der Großmächtc höchstens' gclingcn wiro,
wcnigc einzetne Beamte zu crschüttern und zum
Nachgcbcn zu bringen, daß die Masse der An-
geslcllten hingegcn bci ihrem Gclöbuiß bcharrcn
uud tieber deil Dienst vcrticren, atö sich oer
allgcmeinen Vcrachiung ausjetzen wird.

Enlgegcn den vcrschiedenen Gcrüchten, daß
der Herzog von Augustenburg mit Preußen
Vcrhandlungcn cingeleitet habe, welche ber
nordocutschcn Großmacht die weitestgehcnden
Zugcslänbnisse in Aussicht stellten, wird der
„Kartsr. Z." aus Wien, und zwar von eincr
guluulerrickletcn Leite gemctdel, der Hcrzog
habe allcrdivgs sich zu attcn Leistungen bereil
erklärt, wctcke etwa im allgemeinen deutjchen
Flucresse sclbst auf Kosten seiner volleu souvc-
räuen Gerechlsamc vou ihm gefordcrt werden
möchten, cr habe abcr eiltjchicven abgelehnt,
darüber einseitig und mit Preußen attein in
Verhandtung zu treten.

thridigrr vnd Brschuldigtcn drn Vortrag deS Ur-
theils anhörtrn, zu einer Protcstation dcr Vrrthei-
diger im Procrffe Anlaß. Das Ürtheil selbst aber
errcgte untrr d-nen, die im Saale anwesend waren,
die peinlichste Sensation. Das Urtheil seinem Wort-
laute nach wiedrrzugeben, ist nicht d-rr Mühe werth.
Die Richter zollen dem Verfahren der Polizeibehör-
den bei den HauSsuchungen vollcn Bcifall, finden
rS hinlänglich gcrechlfertigt, daß die ersten Richter
Herrn Srnard und die übrigen acht in den Proceß
verwickelten, aber vorher weder beschuldigten, noch

constatiren, daß bie Wahl-Eomite's auS mehr alS
20 Mitgliedern bestanden, in daS Urtheil aufge-
nommen haben, üm die Dreizehn verurtheilen zu
können; erklären fich ganz damit einvcrstanden, daß
auch Verfammlungen und Comite's, die aus we-
niger als 20 Personen bestehen, dennoch uner-
laubt sind, wenn sie mit dritten Personen in
Correspondenz treten oder von ihnen Gelder anneh-
men; sind vollständtg damit einverstanden, daß
daS verfolgte Comite, das nur drei Wochen be-

Wie die ,,Weim. Ztg." hört, hat der hanse-
atische Mimsterresidcnt iu Berlin, Dr. Geffcken,
der zugleich Geschäftsträger in Oldenburg war,
seine Entlassung aus oldenburgischen Diensten
genommen, „weil er mit seiner Rechtsübcrzeu-
gung in der schleswig-holsteinischen Successions-
frage auf Auguftenburgischer Seite steht."

Die würtembergischen Stände sind auf den
28. Dec. einberusen.

Die Ausschließung des nassauischen Regie-
rungsdirectors Werren als wahlunfähig auf
Grund der Beschuldigung, daß er wegen
Wuchers in Untersuchung gestanden habe uiid
nicht sreigesprochen, vielmehr nur von dem
Staatsministerium abolirt sei, wird nicht ver-
fehlen, das größte Aufsehen zu machen. Dic
„Mittelrh. Ztg." schreibt darüber: Die Aus-
schlicßung erfolgte auf Grund des §. 2 des
Wahlgesetzes nach cinem von den Herren Dr.
Braun und Dr. Leisler gestellten Antrag mil
113 gegen 86 Stimmeu. Dieser Paragraph
heißt: „Bescholten ift Derjenige, welcher wegen
eines nach gesetzlichen Bestimmungen öde'r nach
allgemeiner Ausichl entehrendeu Vergehens oder
Vcrbrechens, worüber in letzterem Fall bei den
Wahlen die Wahlversammlung zu entscheiden
hat, bcstraft worden ist, oder in Untersuchung
gestandcn hat, ohne freigesprochen worden zu
sein." §. 26 heißt: „Am Schlusse der Wahl-
handlung ist das darüber ausgenvmmene Pro-
tokoll ohne Nückstcht auf die Wahl der noch
anwesenden Wähler vorzulesen." —Die Nach-
richten aus dem Lande vcrkündigen saft sammt-
lich den Sieg dcr Fortschriltspartci.

Nach der „VolkSzeitung" soll gleich am Tage
nach dcm Urthcilöspruch im Poleuproceß cine
Aiiinestle crlasscn werden.

Zii den orci gcgen die „Kölnische Zcitung"
schwebenden Prcßproccsscn bestätigte hcute die
Appell - Kammer deö königlichen Landgerichts
das freisprechcnde Urthcil ber ersten Jnstanz.

'Nach ber „France" wäre festgestellt, daß der
General Murawicff nicht wenigcr als 150,000
Pcrjouen vcrbannt habe. Ju ganz Litlhauen
so'll es uunmehr nur noch 7 Großgrunobejitzcr
gcbcn, die Polen sind ; vor 3 Jahren war ihre
Zahl noch 637.

Nach Mittheilungen aus Athen soll in
Nauplia eine repnblikauische Vcrschwörung ent-
dcckt wordcn scin.

Ucber die Brandstiftnngsversuche in Nenyork
schreibl der Ncuyorker Bcrichlcrstatter deS Lon-
doncr „Hcrald": „Die Thatsachen berechligen
mich zu der posilivcn Vcrsicherung daß es sich
factisch so verhäll, wie mau jetzl allgemciu
glaubt: daß nämlich jeneö Complott eutweoer

stand, sick nur mit den Wahlen bksckäftigte und
nur aus orrizrbn Mitglirdern zusammrng.sktzt war,
ganz drn Charakter, was die Permanrnz, die Zahl
der Mitglirdrr, die Gemrinsckaft der Handlung und
deS Zwrckes betrifft, riner unerlaubten Verbindung
an sich trägt; sind der Ansickt, daß die Herrcn
Garnier-Pages und Carnot durck ihre Eigenschaft
von Wahl - Candidaten von ber Verfolgung nicht

dirseS Spruckrs, der mit tiefer Trauer angehört
wurde, wurden die Thüren des Gericktesaalrs er-
öffnet und denen, welchen er galt, der Eintritt
gestattet.

Der Vrrtheidiger Picard ergreift bas Wort:
„Jn dem Augrnblicke, wo der Hof bie Sitzung
wieder aufnimmt, habe ick die Pflicht, folgende
Anträge zu strllen: „In Erwägung, daß in Folge
eineS schlecht gegkbenen oder falsch ausgrlegten Be-
fehlrs dte Verthridiger unb die Beschuldigten zum
Vvrtrage deS UrtheilS nicht zugelaffrn wvrden
find . . . '
 
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