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Heidelberger Zeitung — 1864 (Juli bis Dezember)

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Nr. 257-282 November
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https://doi.org/10.11588/diglit.2828#0516

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M 28«.


Sonntag, 27. November


L8«L.

ii Zur römischen Frage.

Jn den letzten Wochen ist abwechselnd eine
französische und eine italienische Depesche ver-
öffentlicht worden; die offtciösen Pariser und
Tunner Journale haben, gleich diesen Depeschen,
der Convention vom 15. Skptemher die wider-
sprecheudste Auslegung geAeben; hinterher aber
haben sie versichert, daß die beiderseitigen Re-
gierungen über den Dinn des Bertrags voll-
stäudig mit einander einig seien. Was gejchehen
konnte, um die öffentliche Meinung in ihren
Anfichtcn über diesen Vertrag v.erwirrt zu machen
— ist geschehen. Den Liberalen, besonoers den
Jtalienern soll das Abkommen möglichst günstig
für Jtalien, den Clericalen, bejonders dem
römijchen Stuhle, soll es möglichst papftfreund-
lich erscheinen. Beiden Theilen kann es — wie
allbekannt — Niemand recht machen, also:
„Sucht nur die Menschen zu verwirren; sie zu
befriedigen ist schwer!"

Ueber die vom Kaiser der Franzosen an die
Convention geknüpften Absichten ist demnach
durch jene Depeschenfluth nur noch mehr Un-
klarheit gekommen; nur eine erste und haupt-
sächliche Folge der Convention liegt zu Tage:
Die liberale Opppsilion Frankreichs ist wieder
auf einige Zeil mit dem kaiserlichcn Negime
versöhnt, unv das Maß der Dankbarkeit Jta-
liens, das bis auf den letzten Tropfen auöge-
schlürft war, ist wieder für einige Zcit bis an
den Nand gefüllt. Solch' ein vorübergehender
Gewinn, wenn ihn auch Napoleon mit Grnug-
thuung einstreicht, war natürlich nicht die ein-
zige Absichl dcs Kaisers. Er würde jchwinden,
wenn der Convention keine für Ztalien vor-
theilhaften Schritte folgten.

Andererseits ist es aber doch schwer glaublich,
daß der Kaiser das Papstthum sich selbst über-
lassen und den Papst seinen Unterthancn schutz-
los gegenüberstelleu wollte. Mit der weltlichen
Herrjchaft des Papstes würde leicht auch die
karholische Kirche in ihrer gegenwärtigen
Form zerfallen; ein Papst im Exil, viclleicht
ein Schisma, das würde der Beginn eincr neuen
Periode sein, verbunden mit heftigeu Erschüt-
terungen und großartigen Umwälzuugen. Auf
politischem Gebiete mag der moderne Aeolus
den Stürmen gebieten, daß sie ausgehen und
uud daß sie schweigen; die Geister, welche eine
religiöse Umwälzung wachrufen würde, köunte
der Kaiser nicht so leicht bannen. Wäre Napo-
leon noch jung und unbesonnen, wie an den
Tagen von Strasburg und Boulogne, so könnle
er vielleicht das Unberechenbare heraufbcschwö-
ren; aber der Kaiser ift gealtert und hat aus

der Schule des Mißgeschicks eine Lngstliche
Vorsicht auf den Thron gerettet, die ihn sogar
zu hindern, scheint, seine höchsten wohlberechne-
ten Pläne zu Ende zu führen. Wenn Napo-
leon jetzt ein großes Werk unternimmt, so ist
er sicher vorher überzeugt, daß au demselben
seine Macht keinen «Dchaden leiden kaun.

Noch ein anderer Grund spricht dagcgen, daß
der Kaiser beabsichtige, seine Hand ganz von
dem päpstlichen Stuhle abzuziehen. Napoleon
mag sein Hauplaugenmerk daraus gerichtet
haben, den Thron seinem Sohne möglichst fest
gegründet zu hinterlassen. (Schon sein großer
Oheim hat in Helena geseufzt: Wenn ich nux
mein Enkel gewesen wäre.) Es gilt also vor
Allem, das französische Volk und damit einen
ebenso treuen als kräftigen Bundesgenossen zu
gewinnen. Dic Näumung Roms wäre ein
nicht zu theurer Preis dafür, wenn nicht mit
dieser Räumung die Gefahr nahe träte, daß
Oesterreich von seinem Festungsvierecke aus
Oberitalien wenigstens militärisch beherrschte.
Vicl nothwendiger, als Ztalien abhängig zu
erhalten, erscheint es für das. französische Jn-
teresse: die Position zu zerstören, von wclcher
aus Jtalicn wieder von Oesterreich abhängig
gemacht werden kann. Die römische Frage läßt
sich deshalb nicht eher lösen. bis die venetia«
nische erledigt ist. Venedig aber ist nur durch
einen großen Krieg zu gewinnen. Nun sind
wir selbstredend in die Geheimnisse des Kaisers
nicht eingeweiht, aber wir können aus der Si-
tuation doch Schlüsse ziehen. Hiernach aber
hat es aüen Anschein, als ob der Kaiser so-
bald keiuen Krieg für Jtalien untcrnehmen
wird, weil er in demselben nicht die sichere
Aussicht auf Sieg hälte. Hiezu gehören AUian-
zen mit andern Großmächen, — und mit kei-
ner derselben steht er zur Zeit auf einem be-
sonders vertrauten Fuße. Zn einem Kriege
gcgen Ocsterreich könnte Napoleon höchstens
auf die moralische, thatsächlich sehr wenig werthe
Unterstützung Englands rechnen. Das in Preu-
ßen jetzt herrichende System neigt zu Oesterreich
und würde höchstens einen müßigen Zuschauer
des Krieges abgeben; mit Nußland aber ift die
durch den letzten Polenaufstand hervorgerufene
Spannung noch nicht ausgeglichen. Hätte die
Zusammenkunft in Nizza eine Einigung zwi-
schen beiden Souveränen erzielt, so würden
nicht die offtciösen Organe der beiden Kaiser-
reiche „die Politik der freien Hand" preisen. —
Aus diesen Gründen ist an einen baldigen Krieg
für Venetien und ebendeshalb eine Preisgebuna
der römischen Curie nicht leicht zu glauben.

* Politische ttmschau.

Wir sind begierig, ob der Hr. Bischof von
Speyer gegen die mit allgemeiner Befriedigung
(die Ultramontanen nehmen wir aus) vcrnom-
mene Nachricht von der L>chließung des Semi-
nars in Speyer nunmehr die Hilfe des Pap-
stes anrusen wird. Sollte er das doch thun,
so hoffen wir, daß die bayerische Regierung
einer solchen versuchten Berufung an eine aus-
wärtige Autorität keinerlei Rücksichtnahme ge-
währen kann; das Gegentheil hieße, die Unter-
ordnung des bayerischen Staats unter den Papst
sörmlich selbst sanctioniren.

Die „Nordd. All^. Ztg." und die „Kreuz-
zeitung" versichern wiederholt, der Fürst von
Hohenzollern betreibe in Wien nur Privatan-
gelegenheiten.

Von dem vormaligen Profeffor Ravit in Kiel
ist eine Schrift erschicnen: „Untersuchungen
über die Slaatssuccession im Herzogthum Lauen-
burg, Kiel 1864" (115 S.), welche sich bemüht,
nachzuweisen, daß Herzog Friedrich VlH. von
Schleswig-Holstein auch zur Nachsolge im Her-
zogthum Lauenburg berufen ift.

Aus Crefeld, 24. Nov., wird der „Köln.
Ztg." telegraphirt: „Der zur Disposition ge-
slellle liberalc Overstaatsanwalt Kanngießer in
Greifswald wurde heute einstimmig zum Abgc--
ordneten gewählt. Fast alle Wahlmänner waren
anwesend."

Die „Deutschen Jahrbücher", redigirt von
Dr. Oppenheim, werden nach dem am 16. d.
gefaßlen Beschluffe der Actionäre mit dem Ende
dieseö Jahres eiugehen.

Die mchrfach in neuester Zeit in Umlauf
gesetzte Nachricht vom Nücktritt des französi-
schen Ministers der auswärtigcn Angelegenhei-
ten, Hrn. Drouyn de Lhuys, entbehrt allen und
jeden Grundes. Der Kaiser Napoleon wird sich
hüten, einen Minister jetzt zu entlassen, welcher
die Convention unterzeichnet hat und dessen er
mehr als je bedarf, um der katholischen Welt
nicht ben letzten Rest ihreS Vertrauens zu
nehmen.

Der „Moniteur" bringt Nachrichten aus
Algier vom 17. Nov., denen zufolge eine Neihe
von Stämmeu sich den Franzosen unterworfen
hat. Treffen sind nicht vorgefallen.

Zn der gestrigen Mittheilung über die Dis-
contoherabsetzung der sranzösischen Bank hat sich
ein Druckfehler eingeschlichen; es soll statt 9
6 Procent heißen.

Vou den bis jetzt bekannten Wahlen in
Spanien sollen 200 ministeriell, 40 oppositio-
nell sein.

Frauenjustiz.
(Schluß aus Nr. 277.)

Schnell hatten inzwischen jene beiden Mädchen,
um derentwillen der ganze Kamvf ausgebrochen
war, thre Strumpfbänder gelöst und reichten fie,
indem fie den Befiegten zuriefen! „Vorhin wollten
Sie uns unsere Strumpfbänder abkaufen, jetzt
sollen Sie fie umsonst haben!" einer älteren Frau
dar, welche mit denselben unter Beihülfe der übri-

schnürte. Jetzt wurden die Gefangenen an einen
Baum geführt und jeder mit seinem eigenen
Scknupftuche stehend an denselben angebunden.
All' ihr Drohen, Bitten, Versprechen war vergeb-
lick. AlS lebende Bildsäulen standen fie fich einan-
der gegrnüber und waren natürlich dic allgemeine
Zielscheibe des Spottes und Hobnes für die rache-
durstigen Frauen. Nachdem biese endlich auf alle
mögliche Weise ihr Müthcken an den Gefangenen
gekühlt hatten, hefteten fie zum Abschied nock Je-

dein von Betden ein großes Stück Pappe an den
Rock, welcheS mit großen Buchftaben die Worte
enthielt: „Jch stehe hier zur Strafe, weil ick un-
schuldige Mädchen beleidigt habe." Dann traten die
BrotteroderinnK vergnügt den Heimweg an, wünsch-
ten den beiden Opfern ihrer Rache etnen vergnüg-
ten Abend nnd schönen Sonnenuntergang und über-
ließen sie lachend ihrem Schicksale. .Ietzt war für
die beiden Musensöhne guter Rath theuer. AUe
Kraftanstrengungen, ihre Banden zu zerreißen,
waren vergeblich, ihr Hülferuf verhallte fruchtlos
in der Einsamkeit des Waldes, Anfangs wurde
er noch durch daS laute Gelächter der aßziehenden
Wriber beantwortet, später war das Echo des
Waldes die alleinige Antwort. So blieb denn den
beiden Studenten nichtS übrig, als fich mit mög-
lichst gutem Humor tn ihre allerdings wenig be-
neidenswerthe Lage oder, richtiger gesagt, Strllung
zu finden. So sahen sie denn, am Pranger stehend,
die Sonne untergehrn und nach langer schlaflos
durchstandener Nacht auch wteder aufgehen. Endlick
grgen nrun Uhr Morgens schlug ihre Bcfreiungs-
stunde. Vier Damen, die in Begleitung eines Füh-
rers noch trotz der vorgerückten Iahreszeit den In-

selsberg bestetgen wollten, erschienen den Studenten
als Retter in der Noth. Der Kührer befreite fie
von ihren Bäumen, an denen sie volle vierzehn
Stunden Pranger gestanden hatten. Nachtheilige
Folgen hat diese Strafe für die belden Studenten
nicht gehabt, es ist aber zu hoffen, daß fie ihnen
zur Lehre für die Zukunft geworden ist.

Ein Abenteuer in Meriko.

Ein franzöfischer Officier hatte auf einem Streif-
zuge eine Guerillabande in blutigem Kampfe zer-
sprengt und eine Anzahl Gefangene gemacht, unter
denen sich ein besonders tapferer und erbitterter
altcr Merikaner befand, welcher in der Bande eine
sehr bedeutende Stellung behauptet haben mußte.
So erreickte ich denn, erzählt er, glücklich Orizaba,
und wenn ich auch den Verlust meiner gefallenen
Soldaten, unter denen einige tapfere Veteranen
waren, sehr beklagte, so freute ich mich doch,
dcn sehr werthvollen TranSport -so gut in Sicher-
heit gebracht zu haben. Als tch meine Gefangrnen
in Orizaba ablirfern wollte, stürzte plötzlich aus
einem Hause ein noch elend und schwach aussrhender
 
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