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Heidelberger Zeitung — 1864 (Juli bis Dezember)

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Nr. 179-204 August
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Utidtlbergtr Itilmg.


Donnerstag, ». August

Auf die „Heidelberger
Zeitung" kanu mau sich
nvch sür die Monate
Augujl und Keptembcr mit 36 Kreuzeru abon-
niren bei allen Postanstalteu, den Boten uud
Trägern, so wic der Erpedition (Schifsgasse
Nr. 4).

Der Sieg von Rcndsburg

stellt slch, von welcher Seite man anch dies
Ereigniß beobachten mag, von keiner einzigen
in eincm für die vermeintlichen Siegcr günsti-
gen Lichte dar, und wird dadurch zu einer cm-
s-findlichen Niederlagc für die preußischen Waf-
fen. Weder in militärischer, noch in politischer,
noch iu moralischer Beziehuug ist ein erheblicher
Vorlheil durch die Ueberwälligung Rendsburgs
für Preußen erwachsen. Wohl aber mag,
namenttich in politischer und moralischer Be-
ziehung, der Schaden größcr sein, als der Ge-
winn. Vor Allem ist es augenscheinlich, daß
militärische Rücksichteu im jetzigen Augeublicke,
wo Dänemark zu Lande völlig wehrlos ist, eine
Besetzung RendSburgs nicht erhcijchen. Daß
aber eine Soldatenschlägerci die Coniniunication
der östcrreichisch - preußischen Armec irgendwie
gesährde, wird keiu zurechnungsjähiger Menjch
glauben. Nicht viel anderS vcrhäll es sich mit
der polilischen Seite des Ucberfalls: die Macht
Prenßens wird dadurch, daß seine Truppen
eine Zeit lang die Kasernen und Wachthäuser
der hvlstein'schen Festung iuu« haben, wahrlich
nicht gewichtiger. Etwaige weitcrgehendc Plane
Preußens auf Annectirung oder Mediatijirung
d-r Herzogthümer, wenn solche eriftiren, werden
durch jcneS Ercigniß eben so wenig gefördert
werden. Zm Gegentheil, wenn derartige Plane
gchegt werdcn, so wird ihrcr Verwirklichung
dicS vvrcilige Zugreifen nur hinderlich sein.
Das Mißtraucn aller Gegner solcher Absichten
wird dadurch neu geweckt und ihre Vorsicht
verstärkt. Wenu aber jene gewaltthätige Maß-
regel mit solchen Absichten iu keinem Znsam-
menhang steht, so hat dieselbc überhaupt ein
practisches Ziel uicht im Augc, und gewinnt
lediglich daS Ansehen eincr That, die aus
bloßcm Ueberniuthe entstanden ist, welchc aber
gerade deßhalb am meisten erbittert. Wie sehr
beklagenSwerth die Frucht dieses jähen Actes sür
alle Betheiligten ist, für Deutschland, wie sur
Preußcn, liegt klar am Tage. Die Tagc von
Düppcl und Alsen, der Abbrnch der Londoucr
Conferenzverhandlungen hatteu viele alte, böse
Wundeu geheilt. Der Tag vön Rcndsburg
reißt sie wieder auf, so daß ste von Neuem

bluteu und eitern. Welche Genugthuung, na-
meutlich für die Danen licgt Hierin, denen auf
diese Wcise der Wermuth ihrcr eigenen Demü-
thigung versüßt wird , nachdem sie erfahren,
daß in Holst-in dic Führer, welchc Dentschland
vertreten, ein herberes schicksal ersahren muß-
ten, als ihre eigenen im Laufc des vorausge-
gangencn Feldzuges: Diese sind zwar bcsiegt
wordcn, aber nicht beschimpft; sie habcn sich
«ehren können, ohne unnatürliche Frevet zu
begehcn. — Nachdcm die ganze Sache einc so
janimervolle Wendung geuvmmeu, ist cs höchst
gleichgültig zu untersuchen, wer bei dcn Rcnds-
burger Ercessen die meiste Schuld gehabl, die
Hannovcraner oder Preußen. Es ist dies ledig-
lich eine Sache für Militärgerichte, nichl aber
sür Diplomaren und Cabincte. Die Hauuove-
raner mhgen die Preußen erbittert, die Preu-
ßeu jedoch sehr wahrs-cheiulich ihr erhöhtes mi-
litärischcs Selbstgefühl nicht sehr liebenSwürdig
znr Schau getragen habcn. DaS Eine, wie
das Andere ist tadelnswerthi um dic cntstan-
Vene Spannung aiiSzuglcichin, war aber sicher
die Anordnung ciuer großen, Aufjehen errcgen-
dcn militärischen Opcration, von der die em-
pfindlichste Kränkung der BundcStruppen uud
des Bundes selbst eine nolhweudige Folge sein
mußte — die allerunvernünftigste Maßregel.

* Politische Umschau.

„Morning Post" jagt, Preußen wolle sich die
Herzogthümer annexiren und die sreien Insti-
tutionen im Norden Europa's vermchten. „Mor-
mng Heralb" bringt dicselbe Nachricht, jedoch
in der Version: Preußen wolle das französtsche
Kaiserlhum damit entschädigen, daß es ihm
Saarlouis abtrete. — Wir hoffcn nicht, daß
Preußen Lust zu Abtretungen deutschen Gebie-
tes haben wird.

Die „Nevue des deux Mondes" bringt ein
Telegramm über die Consercnz vom 2. Aug.,
wonach Lauenburg für die Kriegskosten abge-
treten, Jütland demnächst gcräumt werden soll.
Dänemark wird den Herzog von Augustenburg
anerkennen, wenn derselbe berufen wird.

Bayern vcrlangt für Nendsburg eine aus
verjchiedcnen Bundescontingenten zusammenge-
setzte Bundesbesatzung unter einem Bundes-
Commandanten.

„France" bringt eine CorrespoNdenz aus
Hamburg, in welcher über die Nendsburger
Vorfälle umstandlich erzählt wird. Es heißt
darin: Das preuß. Commando zu Rendsburg
habe die Soldatcnschlägerei absichtlich recht weit
gedeihen lassen. Nachdem solche Schlägereien


am 17. d. stattgefunden, habe sich der hanno-
ver'sche Commandant eigens zum preußischen
Commandanten begeben, und diesem verschiedene
Maßregeln zur Verhinderung einer Wiederho-
lung des Conflictes vorgcschlagen. Der preuß.
Commandant habe ihm jedoch geantwortet:
„Alles dies hat keine Wichtigkeit; ich habe mich
nicht zu beschweren; thun Sie was sie wollen."
Dabci habe er sich geweigert, diejenigen seiner
Soldaten zu bestrafen, welche die Hannoveraner
insultirt hatten. Am nämlichen Tage aber habe
er an den Prinzen Friedrich Karl einen langen
Bericht gesendet, in welchem er die Bestrafung
für Beleidigungen begehrte, die der preußischen
Armee durch Buudestruppen zugefügt worden
seien!

Die Rendsburger Gewaltthat wird nun in
einigen preußischen Blattern als ein „Mißver-
ständniß" erklärt. Das Tel.egramm des Königs
an dcn Prinzen Friedrich Karl, er solle sich
„zum Herrn des Platzes machen", sci irrig
gewesen; es habe geheißen „zum Herrn der
Situation." — Cs ist doch wunderlich, meint
die „N. F. Z.", wie sehr gcrade die preußische
Großmacht immer unter fatalen „Mißverständ--
niffen" leidet; kein andercr Staat hat darin
so viel Unglück. Liegt in solchen kläglichen
Ausreden auch noch keineswegs eine Sühne
des begangenen Unrechts, so werden doch die-
jenigen Preußen, wclche, wie die „Bresl. Z.",
jenen Gewaltakt gebiüigt haben unter der Be-
dingung, daß ihm sosort weitere Schläge gegen
die Mittelstaaten solgen, daraus ersehen, daß
sie fich gewaltig verrechneten, daß das Berliner
Cabinet nicht weiter vorangehen kann, sondern
sich vielmehr in die Lage versetzt hat, zurück-
gehen zu müssen.

„Times" versichert, daß England durch seine
friedliche Politik in Europa mehr Einfluß ge-
wonnen hat, als es durch den Krieg gethan
haben würde.

Eine am 29. Juli in Würzburg stattgehabte
Versammlung dcr Handels- und Fabrikräthe
Unterfrankens beschloß einstimmig, eine Adresse
an den König zu richten, in welcher das un-
bedingte Bcdürfniß der Erhaltung des Zollver-
eins, welcher in keiner anderen Art genügend
zu ersetzen ist, betont werde.

Ueber den Stand der Handelsfrage wird der
,/Allg. Z." aus Wien geschrieben, daß die Er-
gebniffe der Münchener Zollconferenz von der
österreichischen Regierung bereits nach Berlin
geleitet worden sind, da Herr v. Bismarck er-
klärte, über diesen Gegenstand in Wien eines
naheren sich nicht aussprechen zu können.

Jn Posen beginnen wieder die Verhaftungen

öum Kapitel vom Schuldenmachen.

(Schluß.)

Ein Künstler im Schuldenmachen muß seine Leute
zu behandeln wissen. Er thut gewöhnlich so, als
ob er demjenigen, von welchem er pumpt, rine
besondere Ehre erwiese, so daß der Angeredete sich
ordeutlich schämen müßte, Nein zu sagen. Solch
rinen chevaleskeren Mann, der just seine Brief-
tasche vergeffen hat, kann man ja doch nicht ab-
weisen. Der Schuldenmacher vom Fach spielt aber
nicht immer dieselbe Rolle, er hat Schauspieler-
talent und welß sich Masken zu machen, ohne
Schminke und Perrücke.

H'at ein solches Jn-ividuum hübsch vtele Be-
kannte, so reicht er eine Weile auS und läßt die
Schulden ganz bequem alt werden, bis dte Gläu-
btger aus Altersschwäche draufgehen.

Ein Praktikus macht niemals tm eigenen Wohn-
bezirk ,odrr in der Nachbarschaft Schulden, am
allerwenigsten beim Krämer. Der tst ein lrbendes
Grundbuch. Jn einem Nu weiß es der ganze
Grund, wer dort langr auf Borg nimmt, und so
ist der Crcdit schnell untergraben.

An seine Gläubiger denkt der echte Schulden-
macher gar nicht oder doch etwa nur so, wie er an
eine alte Geliebte denkt, der er einmal in einer
schwachen Stunde das Heirathen versprochen hat:
„Warum hat's die dumme Gans geglaubt!"

Der Schuldenmacher braucht allerdings ein Ge°
dächtniß, das OrtSgedäcktniß, damit er sich dte
Orte merkt, wo er schuldig geblieben ist, und nicht
mehr hingeht.

Gewisse Schuldner haben ein sehr gutes Perso-
nengedächtniß, d. h. sie errinnern sich genau, wel-
chen Personen fie schuldtg sind, aber sie habenckein
Zahlengedächtniß, d. h. ste denken nicht an's Zahlen.

Die Schlimmeren haben ein Zahlengedächtniß,
d. h. sie wiffen ungcfähr, wie viel sie im Ganzen
schuldig sind, aber ste haben kein Personengedächt-
niß, d. h. fie wissen nicht mehr, bei wcm Allem
sie gepumpt habcn.

Die Schlimmsten und Geübtesten bringen es end-
lich dahin, daß sie kein Personen- und kcin Zah-
lengedächtniß haben, d. h. sie wissen gar nicht mehr,
wem, unb vergeffe», daß ste überhaupt etwas schul-
dig sind.

Ein Virtuose im Schuldeumachen bringt's sogar

noch weiter als ein anderer Virtuose. Dieser hängt
wohl bei Musikfreunden im Zimmer oder in der
Kunsthandlung, der Schuldenvtrtuose aber hängt
auch betm Schneider, beim Kellner, bet der Zim-
merfrau und beim Zahlmarqueur. Das tst Popu-
larttät! Und stirbt ein solcher Mann, dann erin-
nern sich seine Freunde an ihn weit länger und
lebhafter, als an einen anderen, der ihnen nichts
schuldig ist.

Als paffende Grabschrtft aber wäre für den
Todten vorzuschlagen:

Den Gläubigern starb er viel zu bald,

Seiu Name Lst hier zu lesen,

Als er der Natur. seine Schuld gezahlt,

Jst's das erste Mal gewesen.

_ Grandjean.

Die Marseillaise.

(Nach dem Französischen des A. de Lamartine von
L. Holdenbrrg.)

Die Marseillaise klingt wie ein Siegesgesang und
wie ein Todtenlied; glorreich wte ersterer, düster
wie ietzteres.
 
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