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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 8./​9.1926/​27

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1./2. Juniheft
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Clemen, Paul: Hubert Wilm
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https://doi.org/10.11588/diglit.25876#0453

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Hubert Wilm, Wiesenblumen

In den gxoßen Radierungen spiirt man die verschie-
denen Einfliisse und das im Anfang noch nicht einheit-
liche Suchen des Weges. Klinger steht neben Vogeler,
in der Passion ganz deutlich Rembrandt neben — viel-
leicht Cxoya. Dann aber findet sich bald der eigene Stil
in einer Reihe großer Porträtköpfe, darunter ganz frech
en face gefaßt mit großer Keckheit der Bonvivantkopf
von Roda Roda oder das scharf geschnittene Condot-
tierenprofil von Frank Wedekind, die sich in den Bahnen
von Stauffer-Bern bewegen. Den Höhepunkt des
graphischen Schaffens möchte ich in den großen Blättern
der Jahre 1914 bis 1917 sehen, der großen „B'lumen-
wiese“, die ein bewundernswertes Stück von natur-
wissenschaftlicher Akribie und hoher kiinstlerischer Ein-
fühlung ist, bei der man unwillkürlich an das in der
Albertina befindliche große Rasenstück Dürers denkt;
der „Ewige Friede“ ist im Motiv in manchem verwandt,
durch ganz ähnliche künstlerische Ziele bestimmt, mit
der ergreifenden Gestalt des hier zu Boden geworfenen
vergessenen Helden, dessen scharfe Züge, nun bald ein
Stück Erdreich wieder, von der liebenden Mutter Natur
umspielt werden. Die Radierung „Einsames Grab vor
Verdun“ schließt sich an und allerlei Schützengraben-
erlebnisse dazu, mit denen der Künstler den Schrecken,
den der Soldat an der Westfront zu iiberwinden hatte,
abreagiert.

Das letzte Jahrzehnt brachte ein gelehrtes Inter-

mezzo, einen Ausflug in das Gebiet der Kunstgeschichte,
in dem der junge Graphiker sich rasch eine eigene
Domäne eroberte. Schon der Zwanziger hatte mit Lei-
denschaft zu sammeln begonnen: heute birgt das Haus
in der Leopoldstraße eine der kostbarsten Sammlungen
von Holzplastiken im Müchener Weichbild. Die ein-
fühlende Nachempfindung des Künstlers traf sich mit der
ordnenden Systematik des Kunstgelehrten. Aus diesem
intimen Zusammenleben mit seinen Schätzen, aus eige-
nen praktischen Versuchen an alter Fassung, aus
Restaurationserfahrungen, wuchs ein einzigartiges Buch
heraus: „Die gotische Holzfigur“ (Leipzig, Verlag Klink-
hardt N Biermann, 1923), dem dann 1925 wie eine Ergän-
zung ein zweites „Gotische Charakterköpfe“ folgte. Nur
von jemand, der selbst mit dem Schnitzmesser Bescheid
weiß, der den Bildschnitzern wie den Fassmalern ihre
Geheimnisse abgelauscht hat, der dazu in den öffent-
lichen wie den privaten Sammlungen im Gebiete der
deutschen Kultur derartig zu Hause ist, konnte dies
Buch geschrieben werden: die beste zusammenfassende
Würdigung der Kunst der Holzschnitzerei, die den Leser
die Wege der Entstehung mitgehen heißt, mit der Wie-
dergabe der Werkstatterfahrungen, der Sammlungs-
beobachtungen, von einem zünftigen Kunstgelehrten (das
ist er längst) und einem zünftigen Künstler zugleich ge-
schrieben. Es ist nocli sehr vieles, was uns der Kenner
dieser Welt hier zu geben hat.

Hubert Wilm, Wiesenblumen

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