Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 14.1934
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DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:Pelz, Peter: Mode - ein Kampf bis aufs Messer
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Mode — ein Kampf bis aufs Messer
Von
Peter Pelz
TD ei keinem Zeitphänomen von augenfälligem Charakter scheut man sich so
sehr, zu seinen eigentlichen Wurzeln erklärend vorzudringen wie bei der
Mode, der Frauenmode im besonderen, die ja als Gesamtbegriff der weiblichen
Empfindung entstammt. Aber vielleicht ist es gerade die innere, unauflösliche
Zusammengehörigkeit von Mode und weiblichem Wesen, die einer tieferen
Ergründung des Modephänomens im Wege steht. Denn hier handelt es sich,
soweit ich klar sehe, um die Wahrung eines wirklichen Geschlechtsgeheimnisses,
von dem es freilich gar nicht ausgemacht ist, ob seine Hüterinnen und Nutz-
nießerinnen es als solches auch tatsächlich erkennen oder ob sie nur als blinde
Werkzeuge höherer Gewalten — unbewußt also — den heimlichen Sinn zu
verbergen trachten. Eines mag jedenfalls feststehen: Nicht das „Streben nach
Fortschritt“ noch die vorhandene Möglichkeit, jedes Kleidungsstück einer
höheren Stufe der Vollkommenheit zuzuführen (wie der Gewährsmann von
Meyers Konversationslexikon schüchtern anmerkt), ist die psychologische
Wurzel und der Urgrund der wechselnden Mode. Indessen gibt auch diese
so wenig haltbare Erklärung wertvolle Hinweise auf die Lagerung des Pro-
blems, wenn man in Betracht zieht, daß sie im Jahre 1889 gegeben wurde, zu
einer Zeit also, da tiefste Scheu und undurchdringlichstes Dunkel über Eros
und seiner vielfältigen Problematik lag und die Frauenmode, folgerichtig, sich
äußersten- und verwegenstenfalls bis zu olivgrünen Farbnuancen zu versteigen
wagte. Unter solchen Umständen und bei so maßvollen Erscheinungsformen
mußten natürlich alle etwaigen Erklärungs- und Ergründungsversuche an der
Oberfläche der Sache haften bleiben und kühnere Naturen sich es sehr über-
legen, jenes wohlgehütete Dunkel durch indiskrete Lichtstrahlen aufzuhellen,
das eine Ehescheidung lediglich als eine Angelegenheit mangelnder Verträglich-
keit erscheinen ließ und eine Eheschließung als eine solche annehmbarer wirt-
schaftlicher Fundierung.
Allerdings muß gesagt werden, daß um 1889 die Sache wirklich kein be-
sonders brennendes Problem darstellte, und daß man sich mit der bei-, land-
und zeitläufigen Erklärung, es sei auf Fortschritt und Vervollkommnung ab-
gesehen, ohne weiteres zufrieden geben konnte. Das Verwandlungsbedürfnis
der Frauen hielt sich innerhalb bescheidener Grenzen, trat als dringender
Wunsch nach neuer Umhüllung höchstens einmal des Jahres in Erscheinung
und fand im übrigen seine gelegentliche Befriedigung bei der Darstellung
lebender Bilder oder auf Kostümbällen, nach denen man, erfrischt wie von
abenteuerlicher Fahrt, in altgewohnte Verhältnisse zurückkehrte. Entsprechend
dieser Bescheidenheit des weiblichen Geschlechts m Kleider- und Verwand-
lungsfragen war auch das Abwechslungs- und Emotionsbedürfnis der Männer-
9
Von
Peter Pelz
TD ei keinem Zeitphänomen von augenfälligem Charakter scheut man sich so
sehr, zu seinen eigentlichen Wurzeln erklärend vorzudringen wie bei der
Mode, der Frauenmode im besonderen, die ja als Gesamtbegriff der weiblichen
Empfindung entstammt. Aber vielleicht ist es gerade die innere, unauflösliche
Zusammengehörigkeit von Mode und weiblichem Wesen, die einer tieferen
Ergründung des Modephänomens im Wege steht. Denn hier handelt es sich,
soweit ich klar sehe, um die Wahrung eines wirklichen Geschlechtsgeheimnisses,
von dem es freilich gar nicht ausgemacht ist, ob seine Hüterinnen und Nutz-
nießerinnen es als solches auch tatsächlich erkennen oder ob sie nur als blinde
Werkzeuge höherer Gewalten — unbewußt also — den heimlichen Sinn zu
verbergen trachten. Eines mag jedenfalls feststehen: Nicht das „Streben nach
Fortschritt“ noch die vorhandene Möglichkeit, jedes Kleidungsstück einer
höheren Stufe der Vollkommenheit zuzuführen (wie der Gewährsmann von
Meyers Konversationslexikon schüchtern anmerkt), ist die psychologische
Wurzel und der Urgrund der wechselnden Mode. Indessen gibt auch diese
so wenig haltbare Erklärung wertvolle Hinweise auf die Lagerung des Pro-
blems, wenn man in Betracht zieht, daß sie im Jahre 1889 gegeben wurde, zu
einer Zeit also, da tiefste Scheu und undurchdringlichstes Dunkel über Eros
und seiner vielfältigen Problematik lag und die Frauenmode, folgerichtig, sich
äußersten- und verwegenstenfalls bis zu olivgrünen Farbnuancen zu versteigen
wagte. Unter solchen Umständen und bei so maßvollen Erscheinungsformen
mußten natürlich alle etwaigen Erklärungs- und Ergründungsversuche an der
Oberfläche der Sache haften bleiben und kühnere Naturen sich es sehr über-
legen, jenes wohlgehütete Dunkel durch indiskrete Lichtstrahlen aufzuhellen,
das eine Ehescheidung lediglich als eine Angelegenheit mangelnder Verträglich-
keit erscheinen ließ und eine Eheschließung als eine solche annehmbarer wirt-
schaftlicher Fundierung.
Allerdings muß gesagt werden, daß um 1889 die Sache wirklich kein be-
sonders brennendes Problem darstellte, und daß man sich mit der bei-, land-
und zeitläufigen Erklärung, es sei auf Fortschritt und Vervollkommnung ab-
gesehen, ohne weiteres zufrieden geben konnte. Das Verwandlungsbedürfnis
der Frauen hielt sich innerhalb bescheidener Grenzen, trat als dringender
Wunsch nach neuer Umhüllung höchstens einmal des Jahres in Erscheinung
und fand im übrigen seine gelegentliche Befriedigung bei der Darstellung
lebender Bilder oder auf Kostümbällen, nach denen man, erfrischt wie von
abenteuerlicher Fahrt, in altgewohnte Verhältnisse zurückkehrte. Entsprechend
dieser Bescheidenheit des weiblichen Geschlechts m Kleider- und Verwand-
lungsfragen war auch das Abwechslungs- und Emotionsbedürfnis der Männer-
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