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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 14.1934

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Heft 3 - Querschnitt durch den Frühling
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Sommerabend vor einem italinischen Waldkeller
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0241

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Sommerabend
vor einem italienischen
Waldkeller
An den Platanenstämmen spielt noch Licht,
Durchs dürre Astgewölbe blickt noch Blau
Und spiegelt sich im Wein. Im Walde spricht
Mit Kindern eine unsichtbare Frau.
Aus einem Dorf im Tale lärmt Musik
Sonntäglich her und klingt nach Schweiß:
Dort draußen unterm schrägen Sonnenblick
Dampft sommerliche Welt noch schwer und heiß.
Hier aber atmet Waldlaub und Gestein,
Weht Unschuld klösterlich und Feierabend,
Den Bissen Brot, die kühle Schale Wein
Mit holder Zaubertraumkraft fromm begabend.
Farnkraut am Wege duftet scharf und strenge,
Schon wird im Holz der Siebenschläfer wach,
Die erste Fledermaus jagt durchs Gestänge
Gekreuzter Aste ihrem Raube nach.
Und nun stirbt Laut um Laut und Licht um Licht,
Der Tag dahin, und aus den Bäumen quillt
Wie Harz und Honig duftend, schwer und dicht
Herab die Nacht, die mütterlich uns stillt.
Es löschen mit dem Tag die Namen aus,
Mit denen wir geordnet unsre Welt:
Platane, Ahorn, Esche, Felsen, Haus
Schmelzen in Eines, hingegeben fällt
Die bunte Vielfalt an der Mutter Brust
Zurück und in der Kindheit dumpfe Lust.
Kraut duftet bang und Pilz, ein Waldkauz schreit,
Das Laubgewirr der Bäume taumelt sacht. . .
Wie selig duftet doch Vergänglichkeit!
Wie sehnt sich Geist nach Blut, und Tag nach Nacht!
Hermann Hesse.
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