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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 14.1934

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Heft 1
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Bircher-Benner, Max: Gegen Fleisch und gegen Zucker
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0052

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Gegen Fleisch und gegen Zucker
Von
Dr. Bircher-Brenner (Zürich)
Unsere Epoche des Fortschritts ist an den Aufgaben menschlicher Ernährungs-
praxis mit bedeutender Unachtsamkeit vorbeigegangen. Man darf sagen, daß
das Veterinärwesen für den Tierstand ernährungshygienisch besser sorgt als die
Menschen für ihr eigenes ErnährungsSystem. Und doch ist rationelle Ernährung
wichtiger als Medizin. Durch Ernährungsschäden entstehen sehr viele Krankheiten,
wird der Körper untüchtig und Läsionen leichter zugänglich. Ein Grundfehler
unseres heutigen Ernährungssystems ist der übermäßige Verbrauch von Fleisch und
Zucker. Das ist ein Mißstand, der fast schon hundert Jahre dauert. Die Ärzte
des 19. Jahrhunderts standen noch unter dem Einfluß einer chemischen Wissen-
schaft, deren Erkenntnisse heute als irreführend festgestellt sind. Man achtete
überaus auf die chemischen Bestandteile der Nahrung und betonte die Nahrhaftig-
keit einzelner Nahrungsmittel, wie Schokolade und Kakao.
Man weiß heute, daß diese Dinge keinesfalls so nützlich sind, sondern weit
mehr Schaden anrichten, und daß es zum Beispiel ganz verkehrt ist, Kindern
Kakao zu geben. Es wirkt geradezu bizarr, wie stark sich dieser Irrtum durch-
gesetzt hat. Schokolade z. B. gehört zum eisernen Bestandteil des Ausflugsproviants,
und das ist eine ebenso allgemeine Auffassung wie jene, daß ein ordentliches Mittag-
essen ohne Fleisch nicht denkbar ist. Trotz des Notstandes unserer Zeit hat sich
in der letzten Epoche der Zuckerkonsum um das Neunfache, der Fleischkonsum
um das Vierfache gesteigert. Und das ist sehr unzuträglich. Dazu kommt die Ein-
führung der Konserven. Auch hier immer wachsender Konsum. Wenn die Ver-
braucher wüßten, wieviel schädliche Stoffe einer solchen Konserve beigefügt werden,
daß z. B. Kupfer dazukommt, um den Sachen eine schöne Färbung zu geben,
würden sie die Finger von diesen Blechbüchsen gern lassen. Ein schwerer Mangel
unseres ErnährungsSystems äußert sich in der Verdrängung des schlichten Voll-
brotes durch Weißbrot. Weißmehl aber ist gesundheitlich weitaus weniger zu-
träglich als die Bestandteile des Vollbrotes.
Im allgemeinen ißt der Mensch überhaupt viel mehr, als er sollte. Schädlich
sind auch die Reizmittel, die aus einem nur dunkel empfundenen Bedürfnis heraus
verlangt werden. Kochsalz und verschiedene scharfe Gewürze z. B., die alles eher
als gesundheitlich nützlich sind, Alkohol, Kaffee und Tee sind Nervenreizmittel
ohne jeden Nährwert. Bei einer solchen „Irrtümer- oder Mangelnahrung“, bei
der die obigen Mittel und Mittelchen ihre Rolle spielen, leidet der ganze Organis-
mus. Die Zähne verlieren damit von ihrer Härte, und dazu kommt noch der Um-
stand, daß gekochte Speisen weniger gekaut werden müssen, wodurch der Mensch
das Lustgefühl am Kauen langsam verliert und die Speisen förmlich herein-
schlingt, was wieder eine sehr unzuträgliche Erscheinung ist und auch das Gebiß
schädigt.
Die Bekämpfung der verfehlten Ernährungssysteme geschieht nicht mit der not-
wendigen Eindringlichkeit und Umfassung. Wo zum Beispiel, wie in der Frage
des Kochsalzes, eine Richtung den Gebrauch dieses überflüssigen Schärfungsmittels
bekämpft, geschieht das ziemlich einseitig, und man übersieht, daß neben dem
Kochsalz eine ganze Reihe von heute gebräuchlichen Zutaten und Nahrungsmitteln
vorhanden ist, deren Verwendung für die menschliche Gesundheit durchaus schädlich
ist. Es fehlt an einer entsprechenden Ausbildung derÄrzte. Die medizinische Disziplin

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