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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 14.1934

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Heft 1
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Wiegler, Paul: Leben Bizets
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0058

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Leben Bizets
Von
Paul Wiegler
Die Bizets sind musikalischer Pariser Mittelstand. Der Gatte erteilt Ge-
sangstunden, die Gattin ist die Schwester der Pianistin Delsarte.
Alexandre Cesar Leopold, so wird der am 25. Oktober 1838 in Paris
geborene Sohn der Eheleute bei der Zivilbehörde eingetragen. Man nennt
ihn dann Georges, nach seinem Paten, einem Freund der Familie. Das
vierjährige Kind lernt von der Mutter die Noten. Wenn es sich beschäf-
tigen soll, hört es durch die Tür dem Unterricht des Vaters zu. Einmal,
Georges ist im achten Jahr, läßt Herr Bizet ihn Solfeggien singen, und
mühelos klettert die kleine Stimme von Tonart zu Tonart. Der Vater
blickt sich nach ihm um. Die Augen des Knaben träumen irgendwohin,
statt vom Blatt zu lesen. Er wiederholt, was er erlauscht hat, aus dem
Gedächtnis.
Den Neunjährigen führt Herr Bizet, beraten von einem Musiker der
Oper, zu Meifred, einem Leiter des Konservatoriums. Meifred spottet
über das unansehnliche Wunderkind. Aber auf die Bitte des Papas setzt
er sich ans Piano und schlägt Akkorde an. Georges, den Rücken zum
Instrument, weiß jeden Dreiklang sofort, und Meifred, hingerissen, prophe-
zeit ihm Ruhm. Der alte Zimmermann, der noch die Tradition Cherubinis
vertritt, wählt ihn sich zum Schüler und unterweist ihn in Fuge und Kontra-
punkt. Doch Zimmermann ist müde, und so gibt er ihn an den zweiund-
dreißigjährigen Charles Gounod ab, von dem die Oper schon eine „Sapho“
gespielt hat. In der Klavierklasse und in der Orgelklasse zeichnet Bizet
sich aus. Jacques Fromental Halevy, der Schöpfer der „Jüdin“, nimmt
ihn in seine Kompositionsklasse. Die Akademie der Schönen Künste er-
kennt ihm für eine Kantate einen Preis zu; einen zweiten, nicht
einen ersten, weil er noch so jung sei. Aber einen ersten Preis gewinnt
er bei der Operettenkonkurrenz der Bouffes-Prisiens, deren Direktor
Offenbach ist, in einem „Doktor Mirakel“, einem Liebes- und Verklei-
dungsspaß mit der „Hoffmanns Erzählungen“ vorgreifenden Figur im
Titel. Für „Clovis und Clotilde“ senden die Akademiker, in ihren
grünen Palmenfracks sich feierlich versammelnd, Bizet, den Laureaten
von 1857, nach Rom.
Der Rom-Preis, in der Zeit Napoleons gegründet, mit dem Zwang eines
zweijährigen Aufenthalts, ist ein offizieller Unsinn. Berlioz hat geseufzt:
„Von allen Künstlerexistenzen ist keine trauriger als die eines fremden
Musikers, der verdammt ist, dort zu wohnen“; denn tatenlos werde in der
Ewigen Stadt seine Phantasie. Bizet, ein Student mit weichem Gesicht,
Bart, Haarschopf und Zwicker an der Schnur, ist naiver. Froh ist er über
die Reise nach Lyon, Avignon, Nlmes, Arles, Marseille, Nizza, Genua,
Pisa, Lucca, Florenz; und froh schreibt er, als er angelangt ist: „Ich atme
tief die Wonnen von Rom, die mich mehr reizen als die von Capua. Was

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