Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 14.1934
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0730
DOI issue:
Heft 10 - Bauern
DOI article:Bartheel, Carla: In der Heide
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In der Heide
Von
Carla Bartheel
VV/er hat nicht Sehnsucht, sich einmal nur im Jahr von allem zu befreien,
** von der Großstadt, ihrem Lärm und Getriebe, vom Komfort, vom
Pläneschmieden, von Geld- und Berufssorgen, allein zu sein mit seinem
besseren, unbeleidigten Ich. Ich will in die rote, stille Heide — ich will
in ein Heidedorf, nach Müden.
In der Abenddämmerung komme ich an. Das ländliche Bild zieht wie
Frieden in mich ein. Ich sehe den Kühen zu, die aus dem klaren Oertzefluß
trinken, die hellgrünen, bewässerten Wiesen leuchten im letzten Schein
der Sonne — ich gehe über kleine Brücken, an sauberen Häusern vorbei.
Abseits vom Dorf erklettere ich einen Berg, um . . . ach, die erste rotbraune
Heidefläche — noch nicht die weite, unendliche Heide, nur ein kleiner
Flecken Heide umschließt mich, ich taste ihn mit den Augen immer wieder
liebkosend ab; das Heidekraut steht schon herb gefärbt im kalten Abend-
lichte vor mir, aber es empfängt mich wie ein Langersehntes.
Der schlichte Lönsstein steht hier. Als der Herr von der Leine noch
dichtete, liebte und trank, kannten ihn wenige, die frommen Heidbauern
am allerwenigsten — jetzt ist er durch das Denkmal dem Dorf verbunden,
und viele pilgern zu dem Stein.
Jetzt wohnt eine andere Heidedichterin hier; sie versteht es besser mit
den schwer zugänglichen Heidjern; sie haben sie „angenommen“. Ich
frage nach Felicitas Rose. „. . . da gehn Sie mal gradeaus, rechts hinter
der Brücke ist ein Busch, und da liegt sie, die Feli. . .!“ — An einem
Gartenzaun steht „Zum billigen Ginsterbusch“. Jemand sagte, die Werke
der Dichterin atmeten so süßen, starken, vollen Duft wie die blühende
Heide selber. Es würde ihr wohl nichts nützen, den wortkargen Heidjer
„aushören“ zu wollen. Aber sie sitzt geduldig stundenlang neben ihm
und liest in seinem Gesicht, aus seinen Bewegungen und seiner Schweig-
samkeit.
Abseits vom Dorf quartiere ich mich in einem stillen Gasthaus ein,
hinterm Haus liegt der Karpfen- und Schleienteich. Ich gehe auf der
Dorfstraße spazieren, an Feldern vorbei. Kartoffeln werden gebuddelt,
die schwarze Erde, die Rüben riechen herb und würzig.
Auf den endlosen Landstraßen ziehen Tippelbrüder in zerschlissenen
Hosen. Es war schön in Schlesien, in der Heide, im Holsteinschen, die
Bewohner sind freigebig, aber die geizigen Saubayern! Auf den Wander-
502
Von
Carla Bartheel
VV/er hat nicht Sehnsucht, sich einmal nur im Jahr von allem zu befreien,
** von der Großstadt, ihrem Lärm und Getriebe, vom Komfort, vom
Pläneschmieden, von Geld- und Berufssorgen, allein zu sein mit seinem
besseren, unbeleidigten Ich. Ich will in die rote, stille Heide — ich will
in ein Heidedorf, nach Müden.
In der Abenddämmerung komme ich an. Das ländliche Bild zieht wie
Frieden in mich ein. Ich sehe den Kühen zu, die aus dem klaren Oertzefluß
trinken, die hellgrünen, bewässerten Wiesen leuchten im letzten Schein
der Sonne — ich gehe über kleine Brücken, an sauberen Häusern vorbei.
Abseits vom Dorf erklettere ich einen Berg, um . . . ach, die erste rotbraune
Heidefläche — noch nicht die weite, unendliche Heide, nur ein kleiner
Flecken Heide umschließt mich, ich taste ihn mit den Augen immer wieder
liebkosend ab; das Heidekraut steht schon herb gefärbt im kalten Abend-
lichte vor mir, aber es empfängt mich wie ein Langersehntes.
Der schlichte Lönsstein steht hier. Als der Herr von der Leine noch
dichtete, liebte und trank, kannten ihn wenige, die frommen Heidbauern
am allerwenigsten — jetzt ist er durch das Denkmal dem Dorf verbunden,
und viele pilgern zu dem Stein.
Jetzt wohnt eine andere Heidedichterin hier; sie versteht es besser mit
den schwer zugänglichen Heidjern; sie haben sie „angenommen“. Ich
frage nach Felicitas Rose. „. . . da gehn Sie mal gradeaus, rechts hinter
der Brücke ist ein Busch, und da liegt sie, die Feli. . .!“ — An einem
Gartenzaun steht „Zum billigen Ginsterbusch“. Jemand sagte, die Werke
der Dichterin atmeten so süßen, starken, vollen Duft wie die blühende
Heide selber. Es würde ihr wohl nichts nützen, den wortkargen Heidjer
„aushören“ zu wollen. Aber sie sitzt geduldig stundenlang neben ihm
und liest in seinem Gesicht, aus seinen Bewegungen und seiner Schweig-
samkeit.
Abseits vom Dorf quartiere ich mich in einem stillen Gasthaus ein,
hinterm Haus liegt der Karpfen- und Schleienteich. Ich gehe auf der
Dorfstraße spazieren, an Feldern vorbei. Kartoffeln werden gebuddelt,
die schwarze Erde, die Rüben riechen herb und würzig.
Auf den endlosen Landstraßen ziehen Tippelbrüder in zerschlissenen
Hosen. Es war schön in Schlesien, in der Heide, im Holsteinschen, die
Bewohner sind freigebig, aber die geizigen Saubayern! Auf den Wander-
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