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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 14.1934

DOI Heft:
Heft 10 - Bauern
DOI Artikel:
Bartheel, Carla: In der Heide
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0731

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schein bekommen sie überall einen Schlafplatz auf dem Heuboden an-
gewiesen; mit den Hühnern gehtcs schlafen und auf beim ersten Hahnen-
schrei. Vielleicht verdient man sich das Essen mit Tagesarbeit. Bei der
Kartoffelernte beschäftigt der Bauer mindestens zehn Leute vierzehn volle
Tage hindurch, wer durchhält, kriegt einen Taler extra. Aber der Körper,
der Arbeit entwöhnt, macht oft schlapp, der Rücken ist zum Zerbrechen
müde beim dauernden Sichniederbeugen zur duftenden Erde, manche
murren, manche haben Humor und sind's zufrieden und halten durch.
Gerade jetzt sind die Tippelbrüder in die Arbeitshäuser eingezogen oder
verdingen sich als Knechte, sie wollen gut arbeiten im Sommer, damit sie
der Bauer im Winter behält; im Sommer hat das letzte Wort der Knecht,
im Winter der Herr.
Aber wo ist die weite, unendliche, ersehnte, erträumte Heide? Sie hat
sich noch nicht ranrücken lassen an die laute Landstraße, sie läßt sich
nicht bestaunen wie ein Museumsstück; sie erschließt sich nur dem, der
die langen schlechten Sandwege nicht scheut. Der Besinnliche, Hellhörige
wird ihren Zauber verspüren, der Oberflächliche wird sie arm und langweilig
finden. Um die Heide ganz zu genießen, muß man erst das Alleinsein
lernen. Ich wanderte von morgens bis abends, ohne einem Menschen zu
begegnen.
Hinterm Dorf kommt der Wald, helle Moospolster leuchten auf, den
Sandweg säumt Heidekraut, unter zerzausten Kiefern steht eine Krippe,
hineinlegen möchte man sich! Verschwiegene Tannen stehen wie im
Märchen, die Welt ist nicht mehr da — nirgends mehr etwas Häßliches!
Und hinterm Wald ist gleich die richtige Heide, die „Unendlichkeit“
Traumbefangen geht man durch die Einsamkeit des roten Krautes. Zeitlos
ist man hier, und man bleibt stehen und ermißt die Weite kreisum nicht.
Bis zu jedem Horizont ist Heide, Heide gespannt. Man ist allein auf der
Welt. Und geht man versonnen weiter, gibt plötzlich der Boden unter
den Füßen nach, gelbliches Gras hat sich unters Kraut gemischt, man
tapst und weicht immer tiefer ein, hilflos, es ist unheimlich, die Stille
fängt an zu singen, die Luft zirpt an den Telegraphendrähten und schwingt
sich wie Musik um die Holzpfähle — Tümpel glitzern auf, ein Druck
beklemmt den Kopf, in allen Gliedern ist Müdigkeit — ist es die Luft,
die aus dem Moore wie aus einem altgewordenen Grabe heraufgeistert. . . ?
Nimmt das tückische Labyrinth jemals ein Ende?
Am Ausgang der Heide halten Wacholderbeer-Büsche Wache. Junge
Birken schillern, eingezäunte Wiesen mit schwarzweißen Kühen sind
plötzlich da, Obstbäume, vereinzelte Äcker sind erste Vorboten eines Dorfes.
Graue Heidschnucken sollen fett werden und bimmeln auf grünem Gras.
„Warum laufen die Tiere so schnell von einer Grasstelle zur anderen?“
Der alte Schäfer strickt an grauen Wollhandschuhen. „Das weiß ich auch

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