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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 14.1934

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Heft 5 - Kriminalistik
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Fenners, Artur A.: Mord in Sofia
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0426

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Mord in Sofia
Von
Artur A. Fenners
TAie bulgarische Hauptstadt mit ihren goldkuppligen Kathedralen und dem
- sauberen Klinker-Pflaster der Innenstadt hat Kultur. An die Primitivität
des flachen Landes erinnert nur der sanfte Knoblauchduft der Straßenbahn-
wagen, der sich auch in der „City“ nicht ganz verliert und auf jeder Fahrt in
die Außenbezirke neu aufgefrischt wird. In den Nachmittags- und Abend-
stunden walzt über das gelbe Pflaster eine ungezählte Menge lustwandelnden
Volkes und man wird an das Vorkriegsidyll eines deutschen Mittelstädtchens
erinnert.
Nichts deutet darauf hin, daß diese freundliche Straße vielleicht am Abend
von dem Blut eines Menschen besudelt sein wird, eben eines der wie die anderen
dort herumflanierenden Menschen. Vielleicht ist dieser Mensch ein Jemand,
um den sich die Öffentlichkeit nie gekümmert hat, vielleicht aber auch eine
gewichtige Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die unausdenkbar wäre
ohne die zwei Gefolgsleute, die sich bemühen, in auffälliger Form Harmlosig-
keit auszustrahlen. Ihre Harmlosigkeit steht in umgekehrt proportionalem Ver-
hältnis zu ihrem Kampfwert: ihre Hände umklammern in den Taschen die
Schäfte von vier ungesicherten Revolvern. Sie sind Leibwächter, die von der
Polizei geduldet werden und an die das Volk gewöhnt ist. Wenn aber em
Geheimauftrag es will, so wird der unauffällige Spaziergänger oder der noch
so gut bewachte Politiker am Abend ein toter Mann sein im Auftrag der Revo-
lutionäre Michailoffs oder deren Gegenspielern der Protogeroff-Gruppe, zweier
mazedonischen Geheimorganisationen, die bisher noch immer mächtiger als
die Polizei und konsequent bis zum Tode waren. Hie Michailoff — hie Proto-
geroff — das ist das Problem, das jeden Tag Sofia mit Blut besudelt, das Problem,
das von der großen Politik herkommt, das Problem Mazedonien!
Jedes dieser Einzeldramen spielt auf hochpolitischem Untergrund: Maze-
donien ist gegen den Willen seiner Bevölkerung in drei Teile aufgeteilt, Griechen-
land besitzt das Gebiet an der Ägäis, Bulgarien hat einen Landstreifen an seiner
Westgrenze, das Hauptgebiet aber hat sich Jugoslawien einverleibt. Mit den
Bulgaren verbindet die Mazedonier eine Art Heimat- und Verwandtschafts-
gefühl, mit Griechenland hält man Ruhe, um die Schlagkraft nicht zu ver-
zetteln, alle Aktionen der revolutionären Geheimorganisationen mit ihren
Freischärlern, den Komitadschis, richten sich gegen Jugoslawien. Man hat
dort die Mazedonier in jeder Weise und mit allen Mitteln m den jugoslawischen
Staat einzugliedern versucht, sogar ihren Namen hat man ihnen aberkannt;
man nennt sie dort: Südserben. Diese Namensänderung hat viel von den
rührenden Zügen der Coue-Methode; sie werden serbisch und serbischer und
immer serbischer — so wenigstens redet man es sich in Belgrad ein. Wenn nur
die Attentate nicht wären!
Ein hochgebildeter Mazedonier, Professor und Gelehrter, in Deutschland
und Frankreich erzogen, hat es zu erklären versucht:
„Wie kann ein Volk, daß in drei Staaten eine Minderheit bildet, einen
politischen Kampf führen, wie kann man den Zentren, von denen die euro-
päischen politischen Strömungen gelenkt werden, einen Begriff von unseren

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