Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 14.1934
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0035
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Heft 1
DOI article:Pelz, Peter: Mode - ein Kampf bis aufs Messer
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physiologische Tatsache erkannt und anerkannt, die em — besonders für
Frauen — verhängnisvolles und gefährliches Moment der Unsicherheit in die
Beziehungen der Geschlechter brachte und die auf Arterhaltung und Aufzucht
gestellte weibliche Natur zu instinktiven Abwehrmaßnahmen veranlaßte.
*
Was sich nun vollzog, war ein naturgewollter Selbststeuerungsprozeß, gegen
den selbst höchstgespannte sittliche Forderungen nichts einzuwenden haben
sollten, da er in gleichem Maße der Erhaltung der Familie wie der der ehelichen
Gemeinschaft diente. Ich meine das plötzlich in schärfstem Tempo, alles
Dagewesene weit hinter sich lassende, mit Elementargewalt hervorbrechende
Verwandlungsbedürfnis der Frau und die stürmische Gangart des Mode-
wechsels, der Form, Linie, Farbe, Umriß, Gewicht und Haltung kaum länger
als drei Monate in gleicher Art bestehen läßt und auch die weibliche Haar-
farbe in den Bereich unablässigen Wandels einbezieht. Es ist durchaus kurz-
sichtig, die unendlich einfallsreiche, vor Produktivität überschäumende Frauen-
mode mit so materialistischen Motiven begründen zu wollen, als da sind:
Geldgier und Geschäftsinteresse der Modemacher und Fabrikanten, oder mit
so oberflächlichen, wie mit dem Vorwurf der weiblichen Eitelkeit und Gefall-
sucht. Daß angesichts eines so würgenden allgemeinen Notstandes, der all-
seits zu höchster Einschränkung nötigt und selbst am Lebenswichtigsten zu
sparen zwingt, gerade die Frauenmode tropische Üppigkeit zeigt und allen
ihren Ansprüchen Befriedigung zu schaffen vermag, beweist, daß es sich hier
um einen elementaren Naturvorgang, um einen Verzweiflungsakt aus tiefsten
Ursachen handelt, um einen von weiblicher Seite unerbittlich geführten Kampf
bis aufs Messer gegen die steigenden polygamischen Neigungen des Mannes,
der den wirtschaftlich bedingten Entgang an häuslichem Behagen und be-
quemer Lebensführung durch erweiterte erotische Emotionen wettzumachen
sucht; der, nun einmal aus der Würde gedrängt und dem wirtschaftlichen
Abenteuer preisgegeben, auch der Vorteile des würdelosen Abenteurertums
teilhaftig werden möchte und, bei völlig veränderter Lebenseinstellung, der
Fremdheit auf allen Gebieten — auch auf dem der Erotik — größere Glücks-
chancen und höheren Lustgewinn abgewinnen zu können glaubt. Nichts anderes
hat im tiefsten Grunde die stürmische Gangart des weiblichen Modewechsels
zu bedeuten als: eine nach allen Richtungen ausgebaute, lückenlos durch-
organisierte Aktion gegen die drohende erotische Vagabondage der Männer zu
sein. Verwandlung, Neuheit, Fremdheit ist ihr Sinn, Wiedergewinnung der
gefährdeten Stabilität in der Beziehung der Geschlechter ihr Ziel. Verfechter
einer streng monogamischen Moral werden gut tun, gegen die ewig wechselnde,
jeder Ruhe entbehrende Frauenmode kein tadelndes Wort mehr zu sagen,
wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, mit ihren eigenen Grundsätzen in Wider-
spruch zu geraten.
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Frauen — verhängnisvolles und gefährliches Moment der Unsicherheit in die
Beziehungen der Geschlechter brachte und die auf Arterhaltung und Aufzucht
gestellte weibliche Natur zu instinktiven Abwehrmaßnahmen veranlaßte.
*
Was sich nun vollzog, war ein naturgewollter Selbststeuerungsprozeß, gegen
den selbst höchstgespannte sittliche Forderungen nichts einzuwenden haben
sollten, da er in gleichem Maße der Erhaltung der Familie wie der der ehelichen
Gemeinschaft diente. Ich meine das plötzlich in schärfstem Tempo, alles
Dagewesene weit hinter sich lassende, mit Elementargewalt hervorbrechende
Verwandlungsbedürfnis der Frau und die stürmische Gangart des Mode-
wechsels, der Form, Linie, Farbe, Umriß, Gewicht und Haltung kaum länger
als drei Monate in gleicher Art bestehen läßt und auch die weibliche Haar-
farbe in den Bereich unablässigen Wandels einbezieht. Es ist durchaus kurz-
sichtig, die unendlich einfallsreiche, vor Produktivität überschäumende Frauen-
mode mit so materialistischen Motiven begründen zu wollen, als da sind:
Geldgier und Geschäftsinteresse der Modemacher und Fabrikanten, oder mit
so oberflächlichen, wie mit dem Vorwurf der weiblichen Eitelkeit und Gefall-
sucht. Daß angesichts eines so würgenden allgemeinen Notstandes, der all-
seits zu höchster Einschränkung nötigt und selbst am Lebenswichtigsten zu
sparen zwingt, gerade die Frauenmode tropische Üppigkeit zeigt und allen
ihren Ansprüchen Befriedigung zu schaffen vermag, beweist, daß es sich hier
um einen elementaren Naturvorgang, um einen Verzweiflungsakt aus tiefsten
Ursachen handelt, um einen von weiblicher Seite unerbittlich geführten Kampf
bis aufs Messer gegen die steigenden polygamischen Neigungen des Mannes,
der den wirtschaftlich bedingten Entgang an häuslichem Behagen und be-
quemer Lebensführung durch erweiterte erotische Emotionen wettzumachen
sucht; der, nun einmal aus der Würde gedrängt und dem wirtschaftlichen
Abenteuer preisgegeben, auch der Vorteile des würdelosen Abenteurertums
teilhaftig werden möchte und, bei völlig veränderter Lebenseinstellung, der
Fremdheit auf allen Gebieten — auch auf dem der Erotik — größere Glücks-
chancen und höheren Lustgewinn abgewinnen zu können glaubt. Nichts anderes
hat im tiefsten Grunde die stürmische Gangart des weiblichen Modewechsels
zu bedeuten als: eine nach allen Richtungen ausgebaute, lückenlos durch-
organisierte Aktion gegen die drohende erotische Vagabondage der Männer zu
sein. Verwandlung, Neuheit, Fremdheit ist ihr Sinn, Wiedergewinnung der
gefährdeten Stabilität in der Beziehung der Geschlechter ihr Ziel. Verfechter
einer streng monogamischen Moral werden gut tun, gegen die ewig wechselnde,
jeder Ruhe entbehrende Frauenmode kein tadelndes Wort mehr zu sagen,
wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, mit ihren eigenen Grundsätzen in Wider-
spruch zu geraten.
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