Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 14.1934

DOI Heft:
Heft 4 - Berlin
DOI Artikel:
Grossmann, Rudolf: Berlin N.N. und O.O.: Fahrten mit Zille in und um Berlin
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0331

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ftol>Iene litten; her SBirt am Schenktifch beobachtet fcßarf jeben 91eu--
eintretenben, ob feiner ein Spißel fei.
*
®a waren gleich h^uter Slleyanberplaß bie brei maffigen fett= unb
wafferfüchtigen grauen, bie bie Steine Steßkneipe faß ganz au^füllten. Sin
ber ^nebricß^gracßt führte er mich zu ben breitfchultrigen Sftatrofen unb
irgenbwo in Vertin 0 in einen Steller, wo Verge von ^albökopffcßäbeln
unter ben 3Üfcß getürmt waren. (£3 war eine Spezialität be$ £okal3;
S!alb£köpfe würben in (Effig abgebräunt, abgefcßlürft, abgenagt, au^gefaugt,
unb bie Knochen unb Schabet flogen bann in abgekürztem Verfahren unter
ben ^ifcß.
*
Sin einer £ür raffelt eine Steife auf, nachbem -Sitte ba3 Stichwort gefagt
hatte. (Sine große ®ogge beßhnupperte un£. ®a unten war baS SteenbezvotW
ber Vorbeftraften. Sftan grölte Subenlieber unb Spottreime auf Staats-
anwalt unb Polizei.
*
3e fpäter es wirb, um fo öfter ging Sitte an ben 3afch, wo bie fogenannten
Vuletten lagen, geßackte 'Jteifcßklöße, bie in feiner hinteren 9locktafcße ver--
fcßwanben. 3e heller ber $:ag burch ben Ventilator unb bie befcßlagenen
Scheiben graute, um fo bicker würben Silte^ 9£ockßhöße. — <3)ie Vuletten
waren zur Säßmung feiner ^rau beftimmt. Söfegelb — weil er erft früh-
morgens zu ißr zurücfkam.
Oft führten unfere gememfamen (Entbeckerfaßrten in baS Vorftabtgebiet
— in baS ßanbgebiet — ba, wo bie Stabt leifer atmet, wo ße unbekümmert
ihr Ceben im Elnterroif führt. 3)ahin, wo enblofe Strafen, auf benen an
langen, langen Sonntagen Vürger ztvecferlöft trotten, in bie Sterne zeigen
— unb wo bunkle Stabtkanäle enben, ba wo bie Spree mit ihren frönen
Ufern oft mißßanbelt wirb, wenn fie in traurigen ^abrifgegenben fcßmutßge
feicßte Qlbwäjfer mit ficß führen muß.
Sn ben lebten Sahren feinet SebenS war Sille mehr gezwungenermaßen
in Verlin oft auf ben großen Sillebällen anwefenb. (Er fühlte fich
nie recht wohl; ba£ „VHljöß" war ihm zu geleckt. Unb einmal paffierte eS,
baß man einen zu urwüchfig berben Verliner an bie Sufi feßte. — (ES war
ein Srrtum. — (Erft fpäter merkte man, baß man ben (Gefeierten felbft hinaus-
beförbert ßatte.
*
Sn Verlin 91 unb 0 unb in ber Vorftabt war SilleS Seicßenßift zu 3aufe;
aber von jenem anberen, bem gefchminkten Verlin, wollte er nichts wißen.
®aS war baS Verlin ber fortwäßrenben (Erneuerung, in baS ebenfo viele
Söforten führten zur Äölle unb zum Ätmmel, zu ^ollßeit unb (Ernft, zu
(Elenb unb (Gelb, zu unb Übermorgen — zu Vabplon unb 9^ew S^ork.
^roßbem glich biefe£ Verlin nur fich fßlbft, wenn e£ auch eiu bißchen
Zit bewußt aufgezäumt wirb unb äußerlich ein Slllerwelt^geficht
Sille liebte nicht biefe£ burchrafte, burchraffelte, reklamefchreienbe Verlin
mit bem Slllerwelt^geficht; er liebte al$ echter Sbplliker bie Vefinnung auf
ba$ VoWtümIid>e, ba$ Urberlinerifche.

231
 
Annotationen