Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 14.1934
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0343
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Heft 4 - Berlin
DOI article:Günther, Herbert: Berliner Denkwürdigkeiten und Kuriositäten
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richtig. Der Krogel ist der älteste Handelshof Berlins, sein Name aus dem Alt-
wendischen „Cruwel“ noch älter und bedeutet etwa: Bucht an einem Wasserarm,,
an dem gebadet werden kann. Hier stand das älteste Berliner Badehaus, bis es
vom Magistrat wegen öffentlicher Unzucht geschlossen wurde. Denn dort bedienten
„der Stadt Töchter, die an der Unehre saßen ", mit geschorenen Haaren und kurzem
Mäntelchen die Badenden, und wie wenig gesellschaftsfähig das Etablissement
gewesen sein muß, beweist: Kaum war 1335 Berlin von dem Bann gelöst, der
nach Ermordung des Propstes Nikolaus von Bernau über die Stadt verhängt war
(das Sühnekreuz vor der Marienkirche erinnert daran), als sich die Bürger einer
neuen Bluttat schuldig machten, wieder an einem Gefolgsmann des Herzogs Rudolf
von Sachsen, der sie für sich gewinnen wollte, einem Geheimschreiber Konrad
Schütz, und zwar, weil er eine Bürgerfrau gefragt hatte, ob sie ihn in das Bad
am Krögel begleiten wolle. Die Beleidigung sprach sich in Windeseile herum, man
stürmte das „Hohe Haus' in der Klosterstraße, riß den Bösewicht von der Tafel
seines Herrn und ruhte nicht eher, als bis er enthauptet war. Lustiger sind die
beiden Prellböcke am Krögeleingang, denen echt Berliner Humor Gesichter und
Haube aufgesetzt hat: Spiel der Phantasie mitten im platten Alltag. Jetzt haben
die Ritter nur noch den Rang von „Eisernen Schutzmännern“.
* •
Im alten Berlin gab es noch keine Schlachthöfe. Die Bauern, die ihr Vieh zur
Stadt brachten, trieben es in ähnliche Sackgassen wie den Krögel hinein, in denen
es beisammenbleiben mußte. In der Verlängerung der Waisenstraße läuft noch
heute einer dieser sogenannten „Bullenwinkel“ spitz auf den edlen Chor der Kloster-
kirche zu, und ein anderer zieht sich von der letzten Zugbrücke Berlins, der reiz-
vollen Jungfernbrücke, aus am Wasser entlang.
*
Der ganze schwere Block des „Roten Schlosses“ ruht auf Pfeilern. Das sieht
man hier und noch überraschender von seinem Treppenhaus: statt des erwarteten
Hinterhofes haben wir Wasser unter uns und statt des Kellers Pfähle. Es fließt
unter den Mauern hindurch und vereinigt sich mit der Spree erst wieder hinter
dem Nationaldenkmal.
*
„An der Fischerbrücke 6“ ist eine Straße und doch £ezne, ist also ein Haus.
Sie verbindet aber diese Straße „An der Fischerbrücke“ mit der Fischerstraße und
hat eine beträchtliche Länge, ist also eine Straße. Wer die hohle Gasse durch-
wandert, verläßt sie der Fischerstraße zu durch den Treppenflur eines Hauses, in
der anderen Richtung durch ein winziges Türchen.
*
Der „Wüsterhausensche Bär“, ein kreisrunder Festungsturm von 1718 in den
Anlagen um das Märkische Museum, hatte einst die hochpolitische Aufgabe, eins
der vier Stauwehre des Stadtgrabens — zwischen der heutigen Neuen Jakobstraße
und Splittgerbergasse — vor feindlichem Übergang zu schützen. Heute ist es ein
Schuppen.
*
Das bekannteste Alt-Berliner Wahrzeichen ist wohl der Neidkopf, Heiligegeist-
straße 38. Nach der Auffassung einiger Gelehrter bedeutet er das Anrechtszeichen
des Hausbesitzers auf freie Aussicht nach dieser Fensterseite, nach Meinung anderer
ein Zeichen, „um die bösen Geister, Neid und Mißgunst zu bannen“, so ähnlich
3*
243
wendischen „Cruwel“ noch älter und bedeutet etwa: Bucht an einem Wasserarm,,
an dem gebadet werden kann. Hier stand das älteste Berliner Badehaus, bis es
vom Magistrat wegen öffentlicher Unzucht geschlossen wurde. Denn dort bedienten
„der Stadt Töchter, die an der Unehre saßen ", mit geschorenen Haaren und kurzem
Mäntelchen die Badenden, und wie wenig gesellschaftsfähig das Etablissement
gewesen sein muß, beweist: Kaum war 1335 Berlin von dem Bann gelöst, der
nach Ermordung des Propstes Nikolaus von Bernau über die Stadt verhängt war
(das Sühnekreuz vor der Marienkirche erinnert daran), als sich die Bürger einer
neuen Bluttat schuldig machten, wieder an einem Gefolgsmann des Herzogs Rudolf
von Sachsen, der sie für sich gewinnen wollte, einem Geheimschreiber Konrad
Schütz, und zwar, weil er eine Bürgerfrau gefragt hatte, ob sie ihn in das Bad
am Krögel begleiten wolle. Die Beleidigung sprach sich in Windeseile herum, man
stürmte das „Hohe Haus' in der Klosterstraße, riß den Bösewicht von der Tafel
seines Herrn und ruhte nicht eher, als bis er enthauptet war. Lustiger sind die
beiden Prellböcke am Krögeleingang, denen echt Berliner Humor Gesichter und
Haube aufgesetzt hat: Spiel der Phantasie mitten im platten Alltag. Jetzt haben
die Ritter nur noch den Rang von „Eisernen Schutzmännern“.
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Im alten Berlin gab es noch keine Schlachthöfe. Die Bauern, die ihr Vieh zur
Stadt brachten, trieben es in ähnliche Sackgassen wie den Krögel hinein, in denen
es beisammenbleiben mußte. In der Verlängerung der Waisenstraße läuft noch
heute einer dieser sogenannten „Bullenwinkel“ spitz auf den edlen Chor der Kloster-
kirche zu, und ein anderer zieht sich von der letzten Zugbrücke Berlins, der reiz-
vollen Jungfernbrücke, aus am Wasser entlang.
*
Der ganze schwere Block des „Roten Schlosses“ ruht auf Pfeilern. Das sieht
man hier und noch überraschender von seinem Treppenhaus: statt des erwarteten
Hinterhofes haben wir Wasser unter uns und statt des Kellers Pfähle. Es fließt
unter den Mauern hindurch und vereinigt sich mit der Spree erst wieder hinter
dem Nationaldenkmal.
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„An der Fischerbrücke 6“ ist eine Straße und doch £ezne, ist also ein Haus.
Sie verbindet aber diese Straße „An der Fischerbrücke“ mit der Fischerstraße und
hat eine beträchtliche Länge, ist also eine Straße. Wer die hohle Gasse durch-
wandert, verläßt sie der Fischerstraße zu durch den Treppenflur eines Hauses, in
der anderen Richtung durch ein winziges Türchen.
*
Der „Wüsterhausensche Bär“, ein kreisrunder Festungsturm von 1718 in den
Anlagen um das Märkische Museum, hatte einst die hochpolitische Aufgabe, eins
der vier Stauwehre des Stadtgrabens — zwischen der heutigen Neuen Jakobstraße
und Splittgerbergasse — vor feindlichem Übergang zu schützen. Heute ist es ein
Schuppen.
*
Das bekannteste Alt-Berliner Wahrzeichen ist wohl der Neidkopf, Heiligegeist-
straße 38. Nach der Auffassung einiger Gelehrter bedeutet er das Anrechtszeichen
des Hausbesitzers auf freie Aussicht nach dieser Fensterseite, nach Meinung anderer
ein Zeichen, „um die bösen Geister, Neid und Mißgunst zu bannen“, so ähnlich
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