Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 14.1934
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0408
DOI Heft:
Heft 5 - Kriminalistik
DOI Artikel:Shaw, Bernard: Zum Thema: Verbrechen und Strafe
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0408
brechens einkassiert hat, doch immer noch den Verbrecher als einen
Schuldner behandelt. Selbst ein so sophistischer Weltmann wie Oscar
Wilde meinte, durch die zwei Jahre Gefängnis mit der Welt abgerechnet
zu haben und berechtigt zu sein, als unbeschriebenes Blatt von vorn zu
beginnen. Aber die Welt fuhr fort, ihn in den Bann zu tun, als habe sie
ihn überhaupt nicht bestraft.
Das war unvermeidlich, aber es war unehrlich. Wenn wir absurd genug
sind, uns bei Verbrechen auf ein Vergeltungssystem einzulassen, sollten
wir wenigstens ehrlich zu Werk gehen und eine gültige Quittung erteilen,
wenn wir bezahlt wurden. Wenn wir das täten, würden wir bald einsehen,
daß das Geschäft unpraktisch und lächerlich ist, denn keine Partei kann
Zahlung leisten. Keine Entlastung, welche die Behörden erteilen, kann dem
Ex-Gefangenen eine angemessene Stellung verschaffen; und keine Sühne,
die ein Dieb oder Mörder durch Leiden tut, kann ihn davon befreien, ein
Dieb oder ein Mörder zu sein. Und niemand weicht dieser Beweisführung
so sehr aus wie der Dieb selber. Menschliche Selbstachtung verlangt so
verzweifelt danach, die Sünde im Fegefeuer abgewaschen zu sehen, daß
wir bereit sind, uns den phantastischsten Zeremonien, Beschwörungen und
Prüfungen zu unterwerfen, um unsere scharlachroten Seelen weißer als
Schnee zu machen. Wir ziehen es natürlich vor, unsere Sünden einem
Sündenbock oder dem Kreuz aufzuladen, wenn unsre Nächsten uns so
leicht davonkommen lassen; aber wenn sie damit nicht einverstanden sind,
dann wollen wir lieber uns selber reinigen, indem wir eine Strafe erleiden,
als daß wir uns von unserm Gewissen quälen lassen.
Das ist die tatsächliche Basis des Strafgesetzes in dem menschlichen
Aberglauben. Deshalb sagt ein entlassener Sträfling, wenn wir uns weigern,
ihn zu beschäftigen, unbedingt, daß das, was er getan habe, bezahlt sei
und daß wir kein Recht hätten, es ihm jetzt noch vorzuwerfen, nachdem
er die darauf stehende Strafe abgebüßt habe.
Da wir dieser Beweisführung nicht zustimmen können, sollten wir in
Erwägung ziehen, ob wir die Strafe vollziehen dürfen. Ich spreche nicht
dafür, daß die Beweisführung des Sträflings anerkannt werden soll, ich
spreche dafür, daß dieser Handel niemals abgeschlossen werden dürfte.
Ich bin unbarmherziger als das Strafgesetz, weil ich den Wahn des Übel-
täters zerstören will, daß es eine Vergebung der Sünden gibt. Was getan
ist, kann nicht ungetan gemacht werden; und der Mensch, der stiehlt, muß
ein Dieb bleiben, bis er ein anderer Mensch wird, ganz einerlei, welche
Wiedergutmachung oder Sühne er auf sich nimmt. Ein Strafsystem be-
deutet ein Vergebungssystem: die beiden sind unzertrennlich. Angenommen,
wir seien, wenn ich dir etwas Böses tue, quitt, sobald du mir etwas ebenso
Böses tust, so bist du damit gezwungen zuzugeben, daß zwei Schwarze
ein Weißes geben. Unser Strafsystem ist ein organisierter Versuch, aus
zwei Schwarzen Weiß zu machen. Der gesunde Menschenverstand müßte
sich hartnäckig gegen den Glauben wehren, daß das Böse beseitigt werden
kann, indem man es verdoppelt. Aber der gesunde Menschenverstand ist
nicht so logisch; und auf diese Weise haben wir das gegenwärtige groteske
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Schuldner behandelt. Selbst ein so sophistischer Weltmann wie Oscar
Wilde meinte, durch die zwei Jahre Gefängnis mit der Welt abgerechnet
zu haben und berechtigt zu sein, als unbeschriebenes Blatt von vorn zu
beginnen. Aber die Welt fuhr fort, ihn in den Bann zu tun, als habe sie
ihn überhaupt nicht bestraft.
Das war unvermeidlich, aber es war unehrlich. Wenn wir absurd genug
sind, uns bei Verbrechen auf ein Vergeltungssystem einzulassen, sollten
wir wenigstens ehrlich zu Werk gehen und eine gültige Quittung erteilen,
wenn wir bezahlt wurden. Wenn wir das täten, würden wir bald einsehen,
daß das Geschäft unpraktisch und lächerlich ist, denn keine Partei kann
Zahlung leisten. Keine Entlastung, welche die Behörden erteilen, kann dem
Ex-Gefangenen eine angemessene Stellung verschaffen; und keine Sühne,
die ein Dieb oder Mörder durch Leiden tut, kann ihn davon befreien, ein
Dieb oder ein Mörder zu sein. Und niemand weicht dieser Beweisführung
so sehr aus wie der Dieb selber. Menschliche Selbstachtung verlangt so
verzweifelt danach, die Sünde im Fegefeuer abgewaschen zu sehen, daß
wir bereit sind, uns den phantastischsten Zeremonien, Beschwörungen und
Prüfungen zu unterwerfen, um unsere scharlachroten Seelen weißer als
Schnee zu machen. Wir ziehen es natürlich vor, unsere Sünden einem
Sündenbock oder dem Kreuz aufzuladen, wenn unsre Nächsten uns so
leicht davonkommen lassen; aber wenn sie damit nicht einverstanden sind,
dann wollen wir lieber uns selber reinigen, indem wir eine Strafe erleiden,
als daß wir uns von unserm Gewissen quälen lassen.
Das ist die tatsächliche Basis des Strafgesetzes in dem menschlichen
Aberglauben. Deshalb sagt ein entlassener Sträfling, wenn wir uns weigern,
ihn zu beschäftigen, unbedingt, daß das, was er getan habe, bezahlt sei
und daß wir kein Recht hätten, es ihm jetzt noch vorzuwerfen, nachdem
er die darauf stehende Strafe abgebüßt habe.
Da wir dieser Beweisführung nicht zustimmen können, sollten wir in
Erwägung ziehen, ob wir die Strafe vollziehen dürfen. Ich spreche nicht
dafür, daß die Beweisführung des Sträflings anerkannt werden soll, ich
spreche dafür, daß dieser Handel niemals abgeschlossen werden dürfte.
Ich bin unbarmherziger als das Strafgesetz, weil ich den Wahn des Übel-
täters zerstören will, daß es eine Vergebung der Sünden gibt. Was getan
ist, kann nicht ungetan gemacht werden; und der Mensch, der stiehlt, muß
ein Dieb bleiben, bis er ein anderer Mensch wird, ganz einerlei, welche
Wiedergutmachung oder Sühne er auf sich nimmt. Ein Strafsystem be-
deutet ein Vergebungssystem: die beiden sind unzertrennlich. Angenommen,
wir seien, wenn ich dir etwas Böses tue, quitt, sobald du mir etwas ebenso
Böses tust, so bist du damit gezwungen zuzugeben, daß zwei Schwarze
ein Weißes geben. Unser Strafsystem ist ein organisierter Versuch, aus
zwei Schwarzen Weiß zu machen. Der gesunde Menschenverstand müßte
sich hartnäckig gegen den Glauben wehren, daß das Böse beseitigt werden
kann, indem man es verdoppelt. Aber der gesunde Menschenverstand ist
nicht so logisch; und auf diese Weise haben wir das gegenwärtige groteske
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