DOI Heft:
Heft 5 - Kriminalistik
DOI Artikel:Schwarz, Georg: Fall Stavisky
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0415
Behörden wichtige Dokumente verspätet zuleiten oder vorenthalten ... Und
weil wichtige Belege aus den Akten verschwunden sind, muß die Republikanische
Garde das Palais de Justice bewachen, während nächtens das Stockwerk, das
die Akten birgt, taghell erleuchtet gehalten wird. Ein früherer Justizminister
wird der Bestechlichkeit geziehen, weil er em „Honorar“ von 50 000 Franken
zur Beeinflussung der Justiz nahm, ohne den Gauner überhaupt jemals gesehen
zu haben . . . Nun wartet alles gespannt darauf, ob Rechtsanwalt Gaulier, der
mehr als ein Jahrzehnt Staviskys Advokat war und alle Fäden des Netzes von
Betrug, das Monsieur Alexandre über das Land geworfen hatte, kennt, zum
Reden kommen wird. Er hat sich bereit erklärt, offen und rückhaltlos zu be-
kennen, wenn die Behörden ihn von seinem Berufsgeheimnis als Anwalt ent-
binden. Vorläufig liegt Gaulier jedoch, obgleich inhaftiert, seelisch und physisch
erschöpft, von Weinkrämpfen geschüttelt, m einer Klinik . . .
*
Längst ist der Fall Stavisky aus einer kriminellen Angelegenheit eine Affäre
des Parlamentarismus in Frankreich überhaupt geworden. „Echo de Paris“
stellt fest, die Parteien seien vollkommen kompromittiert, und meint, daß für
Frankreich die Zeit der antiparlamentarischen, antidemokratischen, halb-
militärischen Verbände im Anbruch sei. „Die Tatsachen sind Tatsachen . . .
Sie zeigen klar die ungeheuren Umformungen an, deren Zeugen wir sind.
Wir sind mit einem Wort in eine revolutionäre Periode emgetreten, da der
kleinste Fehler der Führer, die kleinste Ungeschicklichkeit der Truppen, der
kleinste Zwischenfall auf der Straße das Feuer in das Pulverfaß werfen kann.
Aber was man noch nicht hervorbrechen sieht, insbesondere auf der Rechten,
das ist eine wahrhaft revolutionäre Lehre, die der Mussolinis oder Hitlers
vergleichbar wäre.“ Wird das Ende des Stavisky-Skandals das Ende der
klassischen, bürgerlichen Republik sein?
Karabinieri
Lindgen
weil wichtige Belege aus den Akten verschwunden sind, muß die Republikanische
Garde das Palais de Justice bewachen, während nächtens das Stockwerk, das
die Akten birgt, taghell erleuchtet gehalten wird. Ein früherer Justizminister
wird der Bestechlichkeit geziehen, weil er em „Honorar“ von 50 000 Franken
zur Beeinflussung der Justiz nahm, ohne den Gauner überhaupt jemals gesehen
zu haben . . . Nun wartet alles gespannt darauf, ob Rechtsanwalt Gaulier, der
mehr als ein Jahrzehnt Staviskys Advokat war und alle Fäden des Netzes von
Betrug, das Monsieur Alexandre über das Land geworfen hatte, kennt, zum
Reden kommen wird. Er hat sich bereit erklärt, offen und rückhaltlos zu be-
kennen, wenn die Behörden ihn von seinem Berufsgeheimnis als Anwalt ent-
binden. Vorläufig liegt Gaulier jedoch, obgleich inhaftiert, seelisch und physisch
erschöpft, von Weinkrämpfen geschüttelt, m einer Klinik . . .
*
Längst ist der Fall Stavisky aus einer kriminellen Angelegenheit eine Affäre
des Parlamentarismus in Frankreich überhaupt geworden. „Echo de Paris“
stellt fest, die Parteien seien vollkommen kompromittiert, und meint, daß für
Frankreich die Zeit der antiparlamentarischen, antidemokratischen, halb-
militärischen Verbände im Anbruch sei. „Die Tatsachen sind Tatsachen . . .
Sie zeigen klar die ungeheuren Umformungen an, deren Zeugen wir sind.
Wir sind mit einem Wort in eine revolutionäre Periode emgetreten, da der
kleinste Fehler der Führer, die kleinste Ungeschicklichkeit der Truppen, der
kleinste Zwischenfall auf der Straße das Feuer in das Pulverfaß werfen kann.
Aber was man noch nicht hervorbrechen sieht, insbesondere auf der Rechten,
das ist eine wahrhaft revolutionäre Lehre, die der Mussolinis oder Hitlers
vergleichbar wäre.“ Wird das Ende des Stavisky-Skandals das Ende der
klassischen, bürgerlichen Republik sein?
Karabinieri
Lindgen