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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 14.1934

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Heft 6/7 - Ferien und Reisen
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Ramus, Pierre: Bei den Irren
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0522

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Bei der Wanderung durch viele Säle, in denen sie meist in Betten liegen,
durch Anstaltshöfe, wo sie Gartenarbeit verrichten, oder durch die Wohn-
zimmer der leichter Kranken und Genesenden, die da gemütlich beisammen
sitzen, frage ich, ob nicht bestimmte Gruppen besser als wir sie, die wir uns
nur an ihrem Ausdruck halten können, sich untereinander verstehen, ob nicht
nur ein anderes Weltbild sie von uns trennt, von dem aus gesehen sie — gro-
tesker Gedanke — uns für verrückt halten könnten. Denn unser Weltbild ist
ja auch vorgestellt, existiert nur in unserem Gehirn. (Vielleicht fehlt ihnen
nur die simple Fähigkeit des Nachkontrollierens.) — Dann seh ich sie wieder
ganz isoliert, ganz dissoziat, ohne Zusammenhang unter sich. Trotzdem:
einiges spricht doch für Verständnis füreinander, für zeitweise vernünftiges
Bewußtsein, das oft grotesk anmutet.
Ich stehe zwischen zwei Betten, zeichne eine Frau, die mit gerötetem Ge-
sicht zu toben beginnt, an den Bettplanken rüttelt. „Sei ruhig, dummes Weib,‘
ruft ihre Nachbarin herüber, „der Herr hält dich sonst noch für verrückt“.
Oder: ein dementer Greis beginnt plötzlich zu schreien, schlägt um sich, er
wird — die Wärter sind gerade nicht im Saal — von den Mitkranken gepackt
und in den Nebensaal geschoben. ,Wir haben ihn beruhigt“, meinen sie, „er
ist noch nicht lange da“.
Im Garten draußen erblicke ich in der Frühlingssonne im schwarzen Geh-
rock den Rechtsanwalt. Er fegt altes Laub zusammen. Ich kenne ihn schon
von einem früheren Besuch. Ein Renommierfall von Schizophrenie, für die
Ärzte typisch in seinen Kapriolen und Gedankensprüngen. Als ich ihn wieder
sehe, schlägt er einen regelrechten Purzelbaum nach rückwärts, versichert
mich seiner Sympathie — ich weiche etwas zurück; denn bei der Gefühls-
ambivalenz dieser Schizophrenen kann man trotzdem im nächsten Moment
eine Ohrfeige bekommen. Kaum hatte er mich jetzt von draußen wieder ge-
sehen, sprang er mit einem Satz an das Parterregitterfenster und krampfte sich
da fest. „Da bist du ja, Generalsohn!“ schrie er und ließ einen Wortschwall
auf mich los. Die Halsadern schwollen an, und er sah aus mit seinen hängenden
Rockschößen wie eine große Fledermaus. Komisch, ich war drinnen, und er
klebte draußen dran.
Bei den Frauen gehts noch lebhafter zu wie bei den Männern, die weniger
sprechen und sich langsamer bewegen. Auch im Irrsinn sind die Frauen uns
Männern überlegen, das mehr Assoziative ihres Gedankenablaufes kommt
ihnen dabei zugute.
Wie em böser Kindesmagdtraum tänzelt langhalsig, ganz hager, Frau Laule
herum, wie eine barocke Tanzfigur verzwirbelt und verschraubt sie ihre Ex-
tremitäten. Die Ärzte nennen das Manierismus. Ihre inneren Gesichte, ihre
Verschrobenheit ist so groß, daß es ihr Arme und Beine wie bei einer Besessenen
herumreißt, daß dieser Überschuß an falsch geleiteter Energie sich in Be-
wegungen entladen muß.
Andere machen instinktiv Abwehrbewegungen, spreizen wie gegen den
bösen Blick zwei Finger dem Besucher entgegen.
Im nächsten Saale liegt eine junge Frau im Bett, gerade eingeliefert, ihre
Züge zeigen noch die frischen Spuren gehabten furchtbaren Erlebens. Daneben
hegt eine Melancholische mit schlaffen, zerquälten Zügen, hängenden Gliedern,
der Geist, der sie niederhält, wird ihr auch zu körperlicher Melancholie.
Melancholische erkennt man leicht an der Stellung der Augenbrauen, die
sie dauernd schräg stellen am Nasenwurzelende, aufwärtsziehen, so daß die

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