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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 14.1934

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Heft 6/7 - Ferien und Reisen
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Bercovici, Konrad: Die Weisheit der Ungelehrten
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0532

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Das ist tiefer und feiner als alles, was während hundert Jahren aus
den Federn unserer Dichterlinge geflossen ist.
Fred, mein Gärtner, erklärte seiner Frau die drahtlose Telegraphie in
folgender Weise:
„Zuerst muß ich dir die Telegraphie durch den Draht erklären. Stelle
dir einen großen Hund mit einem Schwanz vor, der mit diesem Schwanz
bis zum einen Ende des Dorfes und mit dem Kopf zum andern Ende
reicht. Kannst du dir einen so großen Hund vorstellen ?“
„Gewiß“, erwiderte die Frau.
„Nun, wenn du den Schwanz ziehst, dann bellt der Kopf. Das ist
Telegraphie durch den Draht.
„Aber was ist drahtlose Telegraphie ?“ drängte die Frau.
„Dasselbe — nur ohne den Hund“, war Freds Antwort.
Ein altes rumänisches Gesetz, das Bauern erließen, bestraft einen
weißen Mann, der ein Pferd stiehlt, mit fünf Jahren Gefängnis. Wenn
aber ein Zigeuner überführt wird, ein Pferd gestohlen zu haben, wird er
nur mit sechs Monaten Gefängnis bestraft. Das Gesetz erläutert, daß
sechs Monate Haft für einen Zigeuner ebensoviel bedeuten wie fünf Jahre
für einen weißen Mann.
Vor einigen Jahren war ich zufällig bei einem „Manlaslo“, einem
Zigeunergericht, anwesend. Man urteilte einen Mann wegen Vielweiberei ab.
„Aber weshalb ?“ fragte ich. „Euer Stamm ist doch polygamisch ?“
„Ja“, antwortete der Häuptling, „aber sein Stamm ist es nicht. Er
hat das Gesetz seines Stammes gebrochen, und wir richten ihn nach den
Regeln seines Stammes.“
Es ist unnötig, auf die Erkenntnis hinzuweisen,, daß die Moral eine
Frage der Rasse und der geographischen Lage ist.
„Jede wahre Liebe stirbt. Nur was nie gelebt hat, stirbt nicht. Alles,
was brennt, wird zur Asche. Aber was schmilzt, wird wieder hart und
kann wieder schmelzen“, sagte ein anderer Zigeuner.
Ich lobte einer dalmatinischen Bäuerin gegenüber die Intelligenz ihres
Sohnes. Der Junge, der nie zuvor in seinem Leben ein Automobil gesehen
hatte, erlernte es innerhalb weniger Tage, ein solches zu lenken.
„Nur wenn Vater und Mutter Narren sind, taugen die Kinder auch
nicht viel mehr als ihre Eltern“, meinte sie.
Eines Tages wird jemand alle Volksweisheit registrieren und daraus ein
Moralgesetz, eine soziale Gerechtigkeit formen, Regeln, die wir alle unter-
schreiben können. Ich will nicht schließen, ohne zu wiederholen, was mir
einst ein tschechischer Schneider sagte:
„Von drei Söhnen, die ich habe, sind zwei ernste Menschen, und einer
ist so leicht, daß er nach oben gelangt ist: er ist ein erfolgreicher Mann.“
„Sie meinen . . . ?“ fragte ich.
„Ich meine, daß nur das, was leichter ist als fließendes Wasser, oben
bleibt“, erklärte er ungeduldig.
Das war alles, was er über den Erfolg zu sagen wußte.

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