Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 14.1934
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0618
DOI issue:
Heft 8/9 - Utopie U.A.M
DOI article:Fülöp-Miller, René: Sabbatai Zewi, der "König der Juden"
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Paris, in Livorno, in Wien, allerorten spielen sich jetzt dieselben
Szenen ab: die Männer lassen ihre Geschäfte, die Frauen Kinder
und Hauswirtschaft im Stich, und alles tanzt in einem Rausch
fassungsloser Begeisterung. Durch die Judenviertel sämtlicher
europäischer Städte wälzen sich singende, tanzende Menschen-
haufen, an jedem von Juden bewohnten Ort werden die Berichte
aus Smyrna öffentlich verlesen, überall schließen sich die
Läden, verschenken reiche Leute ihr ganzes Hab und Gut.
Scharen von Büßenden, kleine Kinder mit darunter, baden im
tiefsten Winter in den Flüssen, um sich auf das Heilsreich vor-
zubereiten; die hebräischen Druckereien können dem Bedarf
an Bußübungsbüehern kaum nachkommen.
In Ungarn decken die Juden schon die Dächer ihrer Häuser
ab und rüsten zum Aufbruch ins Gelobte Land. An der schotti-
schen Küste wird ein Schiff mit seidenen Segeln und Tauen
vom Stapel gelassen und nimmt, mit jüdischen Matrosen be-
mannt, den Kurs nach dem Mittelmeer.
Aus Livorno macht sich mit großem Gepränge die Dirne Sarah
auf die Fahrt zum Messias. Als kleines Mädchen haben einst
fromme Juden sie auf dem Friedhof eines polnischen Dorfes
gefunden, wie sie, nur mit einem Hemd bekleidet, aufgelösten
Haares über die Gräber hintänzelte, und schon damals hat sie
in verstocktem Eigensinn erklärt, sie sei von Gott zur Braut des
Messias bestimmt. Ihr ganzes Leben ist seither auf dieses eine
Ziel gerichtet gewesen, und während sie rastlos ganz Europa
durchwandert und sich jedem Manne hingegeben hat, ist sie
doch stets auf der Suche nach dem Messiasbräutigam gewesen.
Jetzt aber ist auch für sie der große Augenblick der Erfüllung
gekommen: ihr Wahn, den sie so trotzig durchs Leben getragen,
soll nun zur Wirklichkeit werden. Von einer Schar frommer
Juden geleitet, reist sie unter feierlichen Zeremonien nach dem
fernen Smyrna, wo sie als Königin der Juden mit dem von Gott
gesandten Erlöser über das auserwählte Volk herrschen soll.
Der Mann aber, dessen Auftreten diesen ganzen ekstatischen
Taumel der Judenschaft hervorgerufen hat, der vierundzwanzig-
jährige Sabbatai Zewi, ist der Sohn eines kleinen Smyrnaer
Geflügelhändlers. Gleich vielen anderen Judenjünglingen hat
auch er sich mit der Kabbala beschäftigt und er weiß über ihre
Lehre manches Mystisch-Dunkle zu erzählen; doch nichts an
seinen bisherigen Taten und Reden hat jemals gewöhnliche
irdische Maße überschritten.
Der begeisterte Glaube, den Sabbatai Zewi mit seinem messia-
nischen Anspruch findet, beruht ganz und gar auf der leiden-
schaftlichen Glaubensbereitschaft, auf der bis zum Übermaß
gesteigerten Erlöser-Sehnsucht seiner Rasse. Daß eines Tages
der von den Propheten Verheißene doch kommen und sein Volk
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Szenen ab: die Männer lassen ihre Geschäfte, die Frauen Kinder
und Hauswirtschaft im Stich, und alles tanzt in einem Rausch
fassungsloser Begeisterung. Durch die Judenviertel sämtlicher
europäischer Städte wälzen sich singende, tanzende Menschen-
haufen, an jedem von Juden bewohnten Ort werden die Berichte
aus Smyrna öffentlich verlesen, überall schließen sich die
Läden, verschenken reiche Leute ihr ganzes Hab und Gut.
Scharen von Büßenden, kleine Kinder mit darunter, baden im
tiefsten Winter in den Flüssen, um sich auf das Heilsreich vor-
zubereiten; die hebräischen Druckereien können dem Bedarf
an Bußübungsbüehern kaum nachkommen.
In Ungarn decken die Juden schon die Dächer ihrer Häuser
ab und rüsten zum Aufbruch ins Gelobte Land. An der schotti-
schen Küste wird ein Schiff mit seidenen Segeln und Tauen
vom Stapel gelassen und nimmt, mit jüdischen Matrosen be-
mannt, den Kurs nach dem Mittelmeer.
Aus Livorno macht sich mit großem Gepränge die Dirne Sarah
auf die Fahrt zum Messias. Als kleines Mädchen haben einst
fromme Juden sie auf dem Friedhof eines polnischen Dorfes
gefunden, wie sie, nur mit einem Hemd bekleidet, aufgelösten
Haares über die Gräber hintänzelte, und schon damals hat sie
in verstocktem Eigensinn erklärt, sie sei von Gott zur Braut des
Messias bestimmt. Ihr ganzes Leben ist seither auf dieses eine
Ziel gerichtet gewesen, und während sie rastlos ganz Europa
durchwandert und sich jedem Manne hingegeben hat, ist sie
doch stets auf der Suche nach dem Messiasbräutigam gewesen.
Jetzt aber ist auch für sie der große Augenblick der Erfüllung
gekommen: ihr Wahn, den sie so trotzig durchs Leben getragen,
soll nun zur Wirklichkeit werden. Von einer Schar frommer
Juden geleitet, reist sie unter feierlichen Zeremonien nach dem
fernen Smyrna, wo sie als Königin der Juden mit dem von Gott
gesandten Erlöser über das auserwählte Volk herrschen soll.
Der Mann aber, dessen Auftreten diesen ganzen ekstatischen
Taumel der Judenschaft hervorgerufen hat, der vierundzwanzig-
jährige Sabbatai Zewi, ist der Sohn eines kleinen Smyrnaer
Geflügelhändlers. Gleich vielen anderen Judenjünglingen hat
auch er sich mit der Kabbala beschäftigt und er weiß über ihre
Lehre manches Mystisch-Dunkle zu erzählen; doch nichts an
seinen bisherigen Taten und Reden hat jemals gewöhnliche
irdische Maße überschritten.
Der begeisterte Glaube, den Sabbatai Zewi mit seinem messia-
nischen Anspruch findet, beruht ganz und gar auf der leiden-
schaftlichen Glaubensbereitschaft, auf der bis zum Übermaß
gesteigerten Erlöser-Sehnsucht seiner Rasse. Daß eines Tages
der von den Propheten Verheißene doch kommen und sein Volk
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