Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 14.1934
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0709
DOI Heft:
Heft 10 - Bauern
DOI Artikel:Grossmann, Rudolf: Südtiroler Bauern
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0709
wo er wohnt und ob er ein Holzfäller ist oder ein Kornbauer oder ob er
Weinberge und Obstbau hat. Das prägt sich aus in der Farbe ihrer Ge-
sichter, in ihren Augen, in ihrem Bartwuchs, wenn sie laut singend hinter
dem Allerheiligsten hergehen, mit den Rosenkränzen in den hölzernen
Händen. Auch die Frauen sind ganz mit dem Stück Erde verbunden, auf
dem sie leben. Sie gehen, getrennt von den Männern, zu dritt oder viert
nebeinander in der Prozession, in Gruppen nach ihren Siedlungen und
halten sich an dem kleinen Finger.
In Brixen sitzt seit einem Jahrtausend der Fürstbischof, und das
Priesterseminar ist dort, das durch Jahrhunderte hindurch die großen,
geistlichen Stellen Österreichs besetzte. Die Bauern des Brixener Bistums
sind die scheuesten von allen und kennen nur ihr Feld und ihre Familien.
Die Frauen halten sich selbst im Sommer bei heißer Feldarbeit an die
Vorschriften, die Röcke nicht zu hoch zu gürten und ihre Ärmel nicht
aufzuschlagen. Ganz im Gegensatz zu den Nordtiroler Bauern kommt
selten ein unverheiratetes Mädchen zum Tanz, gibt es keine derben
Schnadahüpfeln. Die jungen Männer spielen Sonntags Kegel, man sieht
sie fast immer unter sich. Aber der Gemüsegarten unter den Fenstern
der Gitschen (Madeln) ist manchmal doch am Morgen zertrampelt und
von dem Spalier sind Sprossen abgebrochen.
Ein Zugereister wird nicht vertraut mit ihnen, und man kann nicht
erfahren, was der Bauer zu sagen hat, man findet ihn eintönig und
plump. Dabei haben sie schwere Hintergründe und kramen in entlegenen
Gedanken. Manchmal erfährt man das von einem der Pfarrer, die ja
selbst meistens Bauernsöhne sind. Aber auch mit ihnen kommt man selten
zu einem Gespräch, am ehesten noch in einem der Bäder, wenn das
sprudelnde Wasser die Körper auf gefrischt hat und man auf der Terrasse
bei einer halben Rot zusammensitzt. Dann entdeckt man, daß es unge-
heuer seltsame Käuze unter ihnen gibt, abseitige Gelehrte, besonders
Linguisten. Fallmerayer, der entdeckte, daß in Griechenland doch noch
alte Griechen wohnen, ist aus dem Geschlecht. Die seltsamsten wohnen in
einer Art Anstalt, wohin die Priester gebracht werden, die ihren Dienst
nicht gut versehen haben. Einer ist da, der trägt einen Rock, den er viel-
leicht seit seiner Primiz nicht mehr gewechselt hat, er geht in riesigen,
schweren Bergschuhen, die schon eine Weile früher um die Ecke kommen,
ehe er selbst erscheint, und hat einen vogelkleinen Kopf und ganz weiße
Augenlider. Der spricht Chinesisch und Japanisch und kann es schreiben
und beherrscht noch einige malaische Dialekte. Aber er kann sein Wissen
nicht zusammenfassen, und so lebt er allein für sich in seiner Anstalts-
stube, in der er sich kaum mehr vor Bücherstapeln rühren kann.
Einen gesegneten Appetit haben die Südtiroler Bauern, und fast von
allen Tälern erzählt man dieselbe Geschichte von dem Knecht und dem
dreißigpfündigen Fisch, den ein Wirt in der Eisack gefangen hatte. Der
hatte zu einem Großbauern gemeint, daß sein Knecht den Fisch auf ein-
mal aufessen könnte, und der Großbauer hatte es bezweifelt und dagegen
gewettet. Da trug man dem Knecht in der Wirtsstube den Fisch auf,
und um es ihm leichter zu machen, hatte man ihn in kleine Stücke
zerlegt, die teils gekocht, teils gebacken und teils als Salat angerichtet
waren. Der Knecht machte sich darüber, und als er in einer Stunde fertig
2
481
Weinberge und Obstbau hat. Das prägt sich aus in der Farbe ihrer Ge-
sichter, in ihren Augen, in ihrem Bartwuchs, wenn sie laut singend hinter
dem Allerheiligsten hergehen, mit den Rosenkränzen in den hölzernen
Händen. Auch die Frauen sind ganz mit dem Stück Erde verbunden, auf
dem sie leben. Sie gehen, getrennt von den Männern, zu dritt oder viert
nebeinander in der Prozession, in Gruppen nach ihren Siedlungen und
halten sich an dem kleinen Finger.
In Brixen sitzt seit einem Jahrtausend der Fürstbischof, und das
Priesterseminar ist dort, das durch Jahrhunderte hindurch die großen,
geistlichen Stellen Österreichs besetzte. Die Bauern des Brixener Bistums
sind die scheuesten von allen und kennen nur ihr Feld und ihre Familien.
Die Frauen halten sich selbst im Sommer bei heißer Feldarbeit an die
Vorschriften, die Röcke nicht zu hoch zu gürten und ihre Ärmel nicht
aufzuschlagen. Ganz im Gegensatz zu den Nordtiroler Bauern kommt
selten ein unverheiratetes Mädchen zum Tanz, gibt es keine derben
Schnadahüpfeln. Die jungen Männer spielen Sonntags Kegel, man sieht
sie fast immer unter sich. Aber der Gemüsegarten unter den Fenstern
der Gitschen (Madeln) ist manchmal doch am Morgen zertrampelt und
von dem Spalier sind Sprossen abgebrochen.
Ein Zugereister wird nicht vertraut mit ihnen, und man kann nicht
erfahren, was der Bauer zu sagen hat, man findet ihn eintönig und
plump. Dabei haben sie schwere Hintergründe und kramen in entlegenen
Gedanken. Manchmal erfährt man das von einem der Pfarrer, die ja
selbst meistens Bauernsöhne sind. Aber auch mit ihnen kommt man selten
zu einem Gespräch, am ehesten noch in einem der Bäder, wenn das
sprudelnde Wasser die Körper auf gefrischt hat und man auf der Terrasse
bei einer halben Rot zusammensitzt. Dann entdeckt man, daß es unge-
heuer seltsame Käuze unter ihnen gibt, abseitige Gelehrte, besonders
Linguisten. Fallmerayer, der entdeckte, daß in Griechenland doch noch
alte Griechen wohnen, ist aus dem Geschlecht. Die seltsamsten wohnen in
einer Art Anstalt, wohin die Priester gebracht werden, die ihren Dienst
nicht gut versehen haben. Einer ist da, der trägt einen Rock, den er viel-
leicht seit seiner Primiz nicht mehr gewechselt hat, er geht in riesigen,
schweren Bergschuhen, die schon eine Weile früher um die Ecke kommen,
ehe er selbst erscheint, und hat einen vogelkleinen Kopf und ganz weiße
Augenlider. Der spricht Chinesisch und Japanisch und kann es schreiben
und beherrscht noch einige malaische Dialekte. Aber er kann sein Wissen
nicht zusammenfassen, und so lebt er allein für sich in seiner Anstalts-
stube, in der er sich kaum mehr vor Bücherstapeln rühren kann.
Einen gesegneten Appetit haben die Südtiroler Bauern, und fast von
allen Tälern erzählt man dieselbe Geschichte von dem Knecht und dem
dreißigpfündigen Fisch, den ein Wirt in der Eisack gefangen hatte. Der
hatte zu einem Großbauern gemeint, daß sein Knecht den Fisch auf ein-
mal aufessen könnte, und der Großbauer hatte es bezweifelt und dagegen
gewettet. Da trug man dem Knecht in der Wirtsstube den Fisch auf,
und um es ihm leichter zu machen, hatte man ihn in kleine Stücke
zerlegt, die teils gekocht, teils gebacken und teils als Salat angerichtet
waren. Der Knecht machte sich darüber, und als er in einer Stunde fertig
2
481