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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 14.1934

DOI issue:
Heft 10 - Bauern
DOI article:
Häberlein, Justus: Deutsches Barock und Rokoko
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https://doi.org/10.11588/diglit.62258#0727

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Pesne, der Schweriner Mathieu und der Hannoveraner Ziesenis.
Unbekannt waren auch bisher die für die Kuppeln von Kirchen und
Schlössern bestimmten Skizzen der großen Freskanten des 18. Jahr-
hunderts. Wir nennen nur Holzer, Maulbertsch, Kremserschmidt,
Zeiller, Mathias Günther, Januarius Zick. Da unsere Augen für das
deutsche Rokoko noch nicht genügend geschult sind, so sieht der
Laie zunächst nur gleiches, wo im Grunde grolle Verschiedenheit
herrscht. Das ausgehende 18. und das beginnende 19. Jahrhundert
sind durch Graff, Hackert, den Wiener Porträtisten Abel und Amer-
ling gut vertreten.
Siilpsychologisch ist diese Epoche des deutschen Barock und Ro-
koko auch für unsere Zeit von Interesse. Man hat in unseren Tagen,
wenn man von moderner Kunst spricht, oft von Formzertrümmerung
gesprochen und in ihr die Endentwicklung einer im Abgleiten be-
griffenen Kultur gesehen. Man hat das Abweichen von der Norm
als krankhafte Überspitzung gedeutet. Doch beobachtet man ähn-
liches bei Stilwandlungen früherer Zeiten, die ihren Sinn nur ent-
hüllen, wenn man sie als Vorwegnahme gleichzeitiger oder folgen-
der weltlicher Geschehnisse teleologisch betrachtet. So sind die
körperlosen Gestalten der Präraphaeliien im Quatrocento nur aus
ihrer Zeit verständlich. So läfjt sich auch aus der Siilwandlung, die
das Barock und das Rokoko darstellt, heute aus der Distanz der
Jahrhunderte eine ähnliche Erscheinung aufzeigen. Aber das Barock
mit seiner Vorliebe für Asymetrie, seiner Abweichung von über-
kommenen Formen, stellt trotz der Verschnörkelung, die an sich
selbst fast erstickte, eine Selbstzerstörung dar, die schöpferisch war
und die, wie Max Dessoir in seinen ästhetischen Schriften über den
Zusammenhang des Barock mit dem deutschen Geist fesistellt, durch
das Gewaltsame und das Gegensätzliche dem deutschen Geist sehr
nahesteht.
Während alle Renaissancekunst von vorn gesehen werden will,
vis-ä-vis-Vorstellung vorausseizt, will das Barock rund herum er-
faßt werden. Jede Kunst, die auf das Geistige ausgeht, hat die Nei-
gung, die anschauliche Form zu zerstören, weil keine anschauliche
Form dem Geistigen gerecht wird. Es ist wohl möglich, daß alle
Übersteigerungen, wie z.B. dasln-die-Länge-Ziehen derFiguren, die
Kugelstirnen der mittelalterlichen Madonnen aus dieser, dem Künst-
ler nur unterbewußten Intention herstammen. Vielleicht ist es auch
ein Zeichen deutschen Wesens, Gleichmäßigkeit, Ausgeglichenheit
und Harmonie der anschaulichen Form gering zu achten gegenüber
dem Wunsch, Geistiges, Verborgenes zum Ausdruck zu bringen.
Wo das Barock mehr auf die Ganzvorstellung zielt, hat im Rokoko
das Detail seine Selbständigkeit. Daß die Rokokobilder im Ger-
manischen Museum typisch deutsch sind, ist auf dem ersten Blick
nicht ersichtlich. Man sieht zunächst nur die genießerische Pose, die
Leichtigkeit und Unbeschwingtheit, das Vorherrschen eines Geistes,

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