Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1925-1926
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Behrendt, Walter Curt: Die Situation des Kunstgewerbes
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Heinrich Tessenow, Dresden Schlafzimmer
Ausführung; Deutsche Werkstätten, Dresden-Hellerau
wickelten Formgebung einen neuen ent-
scheidenden Zug unseres Lebens sichtbar,
und darum sprechen sie so stark und un-
mitttelbar zu unserer Anschauung. Die
Architektur steht jetzt im Begriff, auch
ihren Gestaltungswillen an dem neuen Le-
bensgefühl der Zeit von Grund auf neu zu
orientieren. Unter Abkehr von aller For-
malistik, von allem Schnörkelhaften und
nur Dekorativen sucht sie — auf verschie-
denen Wegen — zu jenem Prinzip organi-
schen Gestaltens durchzudringen, das für
die industrielle Arbeit heute bereits zur
anerkannten Regel geworden ist. Und
überall in der Welt sind inzwischen die
ersten gelungenen Versuche dieser neuen,
auf das Herausarbeiten des Wesenhaften
gerichteten Formgestaltung zu finden.
Nicht auf die Besonderheiten der raum-
schaffenden Mittel kommt es bei diesen
denkwürdigen architektonischen Versuchen
an. Nicht die betonte Horizontale oder der
bewußte Verzicht auf das Ornament sind
dabei das Entscheidende, sondern es han-
delt sich in der Architektur, wie überall in
der gestaltenden Arbeit, um eine neue Ge-
staltungsweise, die gegenüber der bisher
geltenden auf anders gearteter, wesens-
verschiedener Basis operiert. Auf einer
neuen geistigen Basis, die durch das be-
sondere Lebensgefühl der Zeit bestimmt
ist. Und darum war auch dem Kunstge-
werbe mit der zuletzt ausgegebenen Parole
„Form ohne Ornament" keine wirksame
Hilfe geboten. Diese verführerische Pa-
role, von bloßem Gleichklang eingegeben,
trifft nur unwesentliche Aeußerlichkeiten.
Der Kern des neuen Gestaltungsproblems
wird damit nicht berührt, und statt eine
geistige Orientierung zu bieten, beschwört
sie, als Schlagwort begriffen, nur die Gefahr
eines neuen modischen Formalismus herauf.
IV
Das Lebensgefühl der Zeit ist auf das
Wesentliche gerichtet. Es erstrebt die
Reinheit der Form als letzten vollendeten
40
Ausführung; Deutsche Werkstätten, Dresden-Hellerau
wickelten Formgebung einen neuen ent-
scheidenden Zug unseres Lebens sichtbar,
und darum sprechen sie so stark und un-
mitttelbar zu unserer Anschauung. Die
Architektur steht jetzt im Begriff, auch
ihren Gestaltungswillen an dem neuen Le-
bensgefühl der Zeit von Grund auf neu zu
orientieren. Unter Abkehr von aller For-
malistik, von allem Schnörkelhaften und
nur Dekorativen sucht sie — auf verschie-
denen Wegen — zu jenem Prinzip organi-
schen Gestaltens durchzudringen, das für
die industrielle Arbeit heute bereits zur
anerkannten Regel geworden ist. Und
überall in der Welt sind inzwischen die
ersten gelungenen Versuche dieser neuen,
auf das Herausarbeiten des Wesenhaften
gerichteten Formgestaltung zu finden.
Nicht auf die Besonderheiten der raum-
schaffenden Mittel kommt es bei diesen
denkwürdigen architektonischen Versuchen
an. Nicht die betonte Horizontale oder der
bewußte Verzicht auf das Ornament sind
dabei das Entscheidende, sondern es han-
delt sich in der Architektur, wie überall in
der gestaltenden Arbeit, um eine neue Ge-
staltungsweise, die gegenüber der bisher
geltenden auf anders gearteter, wesens-
verschiedener Basis operiert. Auf einer
neuen geistigen Basis, die durch das be-
sondere Lebensgefühl der Zeit bestimmt
ist. Und darum war auch dem Kunstge-
werbe mit der zuletzt ausgegebenen Parole
„Form ohne Ornament" keine wirksame
Hilfe geboten. Diese verführerische Pa-
role, von bloßem Gleichklang eingegeben,
trifft nur unwesentliche Aeußerlichkeiten.
Der Kern des neuen Gestaltungsproblems
wird damit nicht berührt, und statt eine
geistige Orientierung zu bieten, beschwört
sie, als Schlagwort begriffen, nur die Gefahr
eines neuen modischen Formalismus herauf.
IV
Das Lebensgefühl der Zeit ist auf das
Wesentliche gerichtet. Es erstrebt die
Reinheit der Form als letzten vollendeten
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