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Heidelberger Zeitung — 1864 (Juli bis Dezember)

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Nr. 231-256 Oktober
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Htidklberger Ititlmg.

R» 2LL. Donnerstag, rs. October L8KL.

Bestelluiigeil auf die „Heidelderger
Zeitung" nebst Beilage „Heidelber-
ger Familienblätter" fur das uiit 1.
October 1884 bego.ineue 4. Quartal
werde« fortwährend angenommen.

Die Expedition

Der Zollvercin

ist jetzt in seinem vollen Umsange wicderher-
gestellt. ohne datz zwischen Oesterrcich und
Preußen bisher eine Verständigung in der
handelspolitischen Frage erziett worden wäre;
»ielmehr sind die handelSpolitischen Bcstrebun-
gen Oesterreichs bis jetzt als gescheitcrl zu be-
trachten. Fassen wir in Kürzc die ganzc Sach-
lage nochmals objcctiv zusammcn: Oesterreich
wurde durch den sranzösisch-prcnßijchcn Han-
delSvcrtrag mit dcm handelspvlitischcn AuSsästust
»on Deulschland bcdroht. da der Art 21 des>
setben Frankreich dic Stcllung ber mcistbcgün-
stiglen Nation einräumt, so daß jede Bcgünsti-
gung, welche Oesterreich gewährl werden würde,
von selbft auch Frankreich zu Glltc kam. Au-
ßerdem ist der Taris dcs sranzöstsch-preußifchen
Vcrtrags so sreihäudlerijch uud mituutcr so
wenig gcgcnseitig, daß Ocsterrcich mit einem
solchen Tarise uumvglich in eincn eugeu Ver-
band mit dem Zollvcrein treten zu können jchien.
ES jchlug daher seinen Beitritt zu dem Zoll-
verein mit dem Ancrbieten vor, seincn cigencn
Taris jenem deS Zollvercins anzupasscn.

Dic oeutschen Südstaatcn gingcn auch sast
alle »us den öslerreichischeu Vorjchlag ein —
war er dcn mcisten derselben doch aus politi-
schen Gründcn, um dem preußischen Macht-
sphäre nicht ganz zu versaUen, und im Jntc-
resse ihrer noch schutzbedürftigcn Jndustric uicht
univillkommen. Für Oesterreich war die Lage
der Dinge daher eine Zcit lang nicht ungün-
ftig, uno cs hatte Chancen, ans Grund der
Propositionen vom 10. Juti 1862 cin mittel-
curopäisches Zollgebiet von 70 Millionen im
Nerein mik Deutschland zu bilden. — Abcr dic
Propaganda, welche die Freihandclsidce durch
sich selbst macht, die unläugbaren materiellen
Bedürsnisje mancher deutschen Staatcn fz. B.
SachsenS), die Unterschicde der volkswirthschaft-
lichcn Zusläude in dcn beiden Zollgebieten, das
Scheilern dcs Fürstentags, und dic der jchleö-
wig-holsteinischen Tagessrage anfänglich nicht
sehr gcneigte ojlcrrcichijche Politik brachten ciuen
Umschlag in jeiner Anfangs günstigcn «itua-
tion hervor. Schon die crste Münchener Zoll-
conferenz im October v. I. zeigte, daß Oestcr-

reichs Gönner sich sehr vermindert hatten, nnd
osfenbart zugleich noch weitcr cinen bemerkens-
werthen Widerspruch zwischen OesterreichS volks-
wirthschastlichen Bednrfnissen und den übrigen
deutschen Staaten.

Endtich vor wenigen Monaten crfolgte der
Beitritt der meisten deutschen Staatcn zum
Zollverein auf Grund des preichisch - sranzösi-
schen Handelsvertrags; nur Hannover, Äur-
hcsscn, Hessen-Darmstadt, Nassau, Würtemberg
und Baicrn dissontirten uoch. Aber niit dem
ebenfallS bald erfolgten Abfalle Kurhessens und
Hannovers war der wirksamste Druck. welchen
Oesterreich auf Preußcn vermöge der östlichen
Lage dieser beiden Staaten üben konnte, ge-
schwunden, und der Zolleinigungsplan mußte
von Sciten des Erstercn destnitiv anfgehoben
werden. Oesterreichs Strcbcn ging nnn nur
noch dahin, wenigstenS cine solche Stcllung
fich zu ichasscn, in welcher dic Aufrcchthaltung
seiner bisherigcu Situalion gcgenüber dem
Zollverein durch Erneucrung deS Handels-
vertragS ermöglicht wcrdcn solltc. Zn dieser
Richtung bewegten stch auch die Resultate der
zwcilcn Münchener Zollconfcrenz; die jetzigen
Pragcr Zvllbesprechungen ader sind auf cin
skhr enges Terrain eingcschrünkt. Ocsterreich
verlangt nur noch Aufrcchthaltung bes Rechtcs
auf künftige ZoUeinigung und ausnahmsweise
Zollbegünstigung bczüglich der österrcichischen
Weine und Glaswaaren.

Auf der Gewährung dieser Forderungen be-
steht Oesterrcich deshalb so zähe, weil sie allcin
seine handelspolitischeAusschlicßung ausDeutsch-
land hindern. Ohne sic würdc Oesterreich zum
Zollvercine wie jeder andere fremde Slaat
lrctcn, uno daS engerc Band, welcheS nach
dem Fcbrnarvertrage beide handelspolitischk»
Körper noch umschlingen soll, wäre zerrissen.

Die Prager Zollbesprcchungeu scheinen aber
gcrade aus diejen Gründen noch zu kcinem
Ergebnisse geführt zu haben, wenn auch die
Nachricht, daß jene gcscheitert seien, vcrfrüht
war, und eS kann dahcr heute noch Niemand
genau beurtheilen, wie sich OcsterrcichS Ber-
hältniß zu dem neu errichteten Zollverein ge-
stalten wird. —

* Politische Umschan.

Die Zeitung „Jtalia militare" will wissen,
aus dcr Halbinsel stehe ein Amnestiedecret bc-
züglich der Vorfälle von Aspromonte in AuS-
jicht. Den meistcn Verurtheilten soll die Strafe
ganz erlassen, dcm Reste diesclbc gemildert
wcrden.

Nach den officiösen Blättern verwirst Garü
baldi förmlich die Convention und wird gegen
fie als Deputirter des italienischen Parlaments
Opposition machen.

Der russische „Jnvalide" bringt eine schau-
derhafte Bercchnung der Zahl der Kaukasier,
welche aus ihrem Baterlandr fortgczogcn sind.
ES sind danach nicht weniger als 400,000
Menschen.

Aus Cochinchina kommt die Nachricht, daß
der ärgste Gegner dcr Franzosen in cinem
Kampfe getödtet worden sei.

Zin Gchlesmig-Hotsteitt'fchen
Sache.

Eckernförde, 5. Oct. Heute ist die Ar-
tillerie beschäftigt, unsere Strandbatterien zu
desarmiren. Munition nnd Holzmaterial wird
nach der Schiffbrücke gefahren und daselbft in
Schifsen verladen, wclchc es, dem Vernehmcn
nach, nach Sonderburg (um der Befestigung
von Aisen zu dienen) bringen sollen. Ob auch
dic Kanonen dorthin geschifft oder jübwärts
gehen sollen, ist noch unbestimmt; wenigstens
verlautet über das Berbleiben noch nichts.

Aus Holstein, 8. Octbr. Jn Kiel ist
gestcrn eine bedeutungsvolle Wahlschlacht ge-
schlagen worden. Die Nichtung, die seithcr im
fchleswig-holsteinischen Verein daselbst hcrrschte,
ist verdrängt, Vorstand und eventuelle Delcgirte
find mit großer Mehrheit aus mehr preußen-
freundlich, aber durchaus nicht aunexionistifch
grstnnten Münnern zufammcngefetzt worden.
Man wollte entschieden zeigen, daß die anderc
Nichtung nicht die der Stadt Kiel ist. War
es doch so weit gekommen, daß Männer, wie
Schlichting, Kaufm. Lange, Krufe, Dr. Stein-
dorsi von dort gar nicht mehr, weil nicht ge-
wählt, als Delegirte zu den Delegirlenversamm-
lnngen erschienen. Namentlich hatte jene Rich-
tung dem Ansschuß in der Anschlußfrage starke
Opposition gemacht und am 25. Juli haupt-
fächlich auch, freilich nur mit 100 gegen 98,
zu dem Sicg der Ansicht beigetragen, welche
an Stelle der bekannten Formulirung bezüglich
des Anschlusses das von der Landesvertretung
zu bestimmende „ Aequivalent" setzte. Vor
Kurzem hatte sie in Kiel an Stelle der vom
Ausschuß empfohlenen Erklärung bezüglich der
Friedensverhandlungen gegen eine starke Min-
derheit eine cigene, unnöthig verschärfte Neso-
lution durchgesetzt. Fcrner wurden nur An-
hänger dieser Nichtung zur letzten Delegirten-
versammlung vom 26. Septbr. gewählt. Die
Sehne war, wie es scheint, zu straff gespannt

Die Erploffon bei Crith.
(Schluß.)

Erjth und Umgegend aber bedrohte noch rtne
Gesahr, grgen dcren Schrrcken das furchtbare Un-
heil, welckcs schon geschehrn, in NlchtS verschwun-
drn wäre. Wir haben erwähnt, daß in dcn Themst-
damm dte Erplosion einen Bruch von etwa 1W
Fuß Brette eingeriffen hatte. Bekanntlich ftetgt die
Meerfluth bis über London hinaus den Themse-
strom aufwärts; ware cs, als das Ercignlß nntrat,
gerade Fluthzeit gewesen, die ungehcurrn Waffer-
maffen batten sich durch ben klaffenden Riß auS
dem Flußbette weit hinaus in das Land ergoffen,
über ganze Ortschaflen Tod und Verderbe» brin-
grnd. Nun galt es also, zeitig vorzubeugcn. Dte
Ersten an Ort und Stelle waren tn der Nähe br,
schästigtc Drainit.Arbeitrr; mit schnrüeck Entfchluß
machten sie fich an's Werk. Ihre schwoiche Kraft
hätte aber nicht zum hundertsten Theile hingeretcht»
und bald erhielten sie Unterftützung. Nach Wool-
wich war an dte Mtlitärbehörden telegraphirt wor-

Füsiliere den Andrang unberufrner Menschenhaufen
abzuwehren hattr. Die grfürchtete Fluth machte
sich bemerkbar; Zoll um Zoll wuchs das Wasser
am Uferrande empor, von den leitenden Jngenieur-
Osficieren mtt nicht geringer Sorge beobachtet;
aber mit der Fluth und ihr um ein Weniges vor-
aus hob sich auch die ihr von den unermüdltchen
Arbettrrn gesrtzte Schranke. Als uck drei Uhr
Nachmittags dte Strömung den Mpfel ihrer Höhe
erretchte, fand ihr Druck, obwöhl die Wogen, von
dem starten Winde gepeitscht, mit ungehcurer Kraft
auf daS Ufer anstürckten, cinen genügenden Wider-
stand; mehrere Tausend Säcke Sand, etne Unmasse
Stcine und Balken füllten die Bresche auS. Aber
fast um rineS Haarrs Breite, und die Gefahr wärr !
übrr daS Land etngebrochest. Alle Anstrengungen i
hatten eben hingcreicht, um den Damm zu ciner ,
Höhe von acht bis 10 Zoll über die Stromesfläche !
aufzuführen. Um halb fünf Uhr konnte man das
Lanb in SicheVheit rrklären, und die Artilleristcn

wurden durch eine Truppe von 500 Marinesoldaten'
abgelöst, welche das Werk zu Enve führen sollten.
In der Nacht jedoch gab ein Theil der neuen Ein-
dämmung nach; dte 150 Mann, die noch beschäf-
tigt waren, konnten die wachsenden Riffe nicht zeitig
genug ausfüllen, und wieder mußte nach Woolwich
telegraphirt werden. Wieder kamen Abtheilungen
Artillerie und Pioniere an, und den Sonntag hin-
durch wiederholte sich das belebte und zugleich be-
ängsttgende Schauspiel bes vorigen Tages. Den
Truppen gebührt das höchste Lob für ihre umfich-
tige unablässige Thatigkeit; ohne sie wäre daS Nn-
heil gewiß nicht abzuwenden gewesen. Einfache Erd-
arbeiter, militärischer Schulung entbehrend, hätten
es unmöglich gefunden, auf so beschränktem Terrain
in solch großer Anzahl von mehreren Hunderten zu
arbeiten. Zwei Eompagnien Füfiliere und etwa
zweihundert aus der Hauptstadt requirtrte Polizisten
btldeten einen Zaun um den Ort, eine durchaus
uncrläßliche Vorsichtsmaßregel, da Erith und Um-
gegend und natürlich vorzugSweife dte nächste Nahc
der Unheilsstätte von dichten Menschenmaffen wtm-
melten. AaS L ndon allein hatte die Neugierbe
mebr als 50,000 Mcnschen hrrbeigrlockt.
 
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